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Adam Fischer dirigiert Beethoven
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Eine neue Gesamteinspielung der Beethoven-Sinfonien. Mit Blick auf das bevorstehende Beethoven-Jubiläumsjahr und der zu erwartenden CD-Flut, scheint das nicht besonders originell. Doch mit Kompromisslosigkeit und Risikobereitschaft setzen Dirigent Adam Fischer und das Dänische Kammerorchester Maßstäbe.

Am Mikrofon: Christoph Vratz | 23.06.2019
    Der Dirigent Adam Fischer
    Der ungarische Dirigent Adam Fischer ist Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper (Alexander Basta)
    Musik: Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 1 C-Dur, op. 21
    Am Klavier hatte er schon eingehend mit der viersätzigen Form experimentiert, in frühen Streichquartetten hatte er sich mit der Mehrstimmigkeit vertraut gemacht, und nun, mit 29 Jahren, sollte endlich eine erste Sinfonie folgen, sozusagen als Visitenkarte für ein größeres Publikum. Schon gleich mit dem Beginn seiner C-Dur-Sinfonie setzt Ludwig van Beethoven eine Marke: zwei mutige Akkorde, ein Septakkord, also dissonant, gegensätzlich zusammengesetzt aus gezupften Streichern und langgezogenen Bläserklängen. Auf die langsame Einleitung folgt ein "Allegro con brio", eine typische Satzbezeichnung des jungen Beethoven: mit Feuer.
    Musik: Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 1 C-Dur, op. 21
    Reise ins Risiko
    Auf engstem Raum durchschreitet Beethoven ein weites dynamisches Spektrum: geheimnisvoll leise, dann die Aufrauhung zum Sforzato und schließlich Fortissimo. Adam Fischer und das Dänische Kammerorchester deuten bereits in diesen ersten Takten von Beethovens Sinfonie op. 21 an, wo die interpretatorische Reise hingehen soll: ins Risiko. Nur ja keine Kompromisse, nur ja nichts Halbgares. Beethoven sah sich selbst als musikalischer Revolutionär, und das soll man bitte auch hören. Bezeichnend ist daher der dritte Satz, von Beethoven zwar noch mit Menuett überschrieben, doch vom Gestus her handelt es sich bereits um ein Scherzo. Und genauso lässt Fischer sein Orchester auch spielen: straff im Tempo, schroff in den Kontrasten, pulsierend im Rhythmus und an einigen Stellen ragen die Trompeten heraus wie Blitze.
    Musik: Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 1 C-Dur, op. 21
    Derzeit entsteht mit Adam Fischer und den Düsseldorfer Symphonikern ein Gustav Mahler-Zyklus. Der Dirigent sieht auch diese Musik in der weiteren Tradition der Wiener Klassik. Viel direkter schließt sich diese Beethoven-Einspielung an zwei bereits zurückliegende Großprojekte an, die Fischer sämtlichen Sinfonien von Haydn und Mozart gewidmet hatte. Zunächst entstanden zwischen 1987 und 2001 die 104 Haydn-Sinfonien mit der Österreichisch-Ungarischen Haydn-Philharmonie, darauf folgte ab 2006 Mozart mit dem Dänischen Kammerorchester, das damals noch "Nationales Kammerorchester Dänemarks" hieß und an den dänischen Rundfunk angeschlossen war. Doch dann setzte sich 2014 die Kulturministerin des Landes über eine Empfehlung des Parlaments hinweg und beschloss, das damals 75 Jahre alte Orchester zu liquidieren. Erst eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne ermöglichte den Fortbestand unter der Bezeichnung "Dänisches Kammerorchester".
    Wenn man nun diese Gesamteinspielung mit Beethovens Sinfonien hört, kann man nur von einem Glücksfall sprechen, dass dieses Ensemble weiterhin besteht. Die Musiker folgen ihrem Dirigenten in jede Richtung, und Adam Fischer wendet die Erkenntnisse und Möglichkeiten einer historisch orientierten Aufführungspraxis konsequent an. Er setzt auf einen insgesamt schlank besetzten Klangkörper, auf Vibrato-armes Spiel bei den Streichern, auf forsche Akzente und auf Tempi, die sich zwar an Beethovens eigenen Metronom-Angaben orientieren, diese jedoch nicht zum Dogma erheben. Wie genau all das in diese Produktion einfließt, hört man exemplarisch am Beginn der "Eroica":
    Musik: Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 3 Es-Dur, op. 55
    Die raschen Tonwiederholungen bei den Streichern lassen einen nervös-flirrenden Charakter entstehen, der sich deutlich absetzt von den kurzen Staccato-Tönen im Tutti. Fischer reizt die dynamische Bandbreite einmal mehr komplett aus, nicht jedoch um des überwältigenden Effekts willen, sondern aus dem historischen Verständnis heraus, dass dieses Werk bei seiner ersten Aufführung am 7. April 1805 etwas völlig Neuartiges darstellte. Allein der Umfang dieser Es-Dur-Sinfonie übertraf den seiner klassischen Vorläufer à la Haydn und Mozart um das Doppelte. Was Zeitgenossen, mehr oder weniger ratlos, als "kühne und wilde Phantasie" einordneten, dokumentiert sich in einer weiträumigen Formanlage und in einer gewagten Klangsprache. Wenn im langsamen Trauermarsch der erste Abschnitt in einen Dur-Teil übergeht, klingt das bei Adam Fischer wie eine natürliche Metamorphose des rhythmischen Materials. Die bohrenden Triolen im äußerst fahl gespielten Trauermarsch-Thema wandeln sich in eine lyrische Bewegung, von der sich einzeln die arios-melancholische Oboenstimme abhebt. Doch die Idylle entpuppt sich spätestens beim Fortissimo als Scheinidylle.
    Musik: Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 3 Es-Dur, op. 55
    Jung, hungrig, aufrührerisch
    Die Rezeption der neun Beethoven-Sinfonien hat im 21. Jahrhundert bereits zu mehreren herausragenden Gesamtaufnahmen geführt. Namentlich erwähnt seien die Einspielungen mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und Paavo Järvi ab 2004 und der drei Jahre später begonnene Zyklus des Gewandhausorchesters Leipzig unter Riccardo Chailly. Dieser neue Zyklus mit dem Dänischen Kammerorchester und Adam Fischer reiht sich auf diesem Niveau ein. Beethoven klingt hier jung, hungrig, aufrührerisch und ungemein dicht wie im Finale der Achten, wo Fischer den Trompeten-Stimmen immer wieder einen Signal-Charakter verleiht, der an den "Fidelio" erinnert. Die rasch wechselnden Motiv- und Stimmungs-Änderungen fügen sich auf dramaturgisch schlüssige Weise.
    Musik: Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 8 F-Dur, op. 93
    Wie waghalsig diese Beethoven-Sinfonien klingen können, zeigt Fischer, wenn er im strahlenden Schlusssatz der Fünften die Piccoloflöte einbindet. Was will sie uns sagen? Vielleicht, dass sie der Jubel-Stimmung die Krone aufsetzt oder aber sie ironisch kommentiert?
    Musik: Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 5 c-Moll, op. 67
    Adam Fischer ist der Spiritus rector dieser Aufnahme, daran kann kein Zweifel bestehen. Sein musikalisches Grundverständnis, ariose Bögen zu formen und dabei stets die Architektur des Ganzen im Blick zu behalten, hat schon seine Haydn- und Mozart-Editionen ausgezeichnet. Auch die Fähigkeit, Details nie nüchtern oder akademisch, sondern möglichst plastisch herauszuarbeiten, führt in dieser Einspielung zu einem ungemein lebendigen Musizieren. Das zeigt sich besonders in den Naturgewalten der Sturm-Szene in der "Pastorale". Die genaue Artikulation und die Sogkraft spontaner Spielfreude sind beispielhaft und verleihen der zerklüfteten Musik dennoch den Charakter von Einheit.
    Musik: Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 6 F-Dur, op. 68
    Beethoven beim Wort genommen
    Diese Edition, die aufnahmetechnisch ein gutes, wenn auch kein überragendes Niveau erreicht, lebt von der Grundeinstellung, mit der hier Beethovens Sinfonik zum Leben erweckt wird. Sie lässt erahnen, warum Beethoven von den Romantikern rasch zum Mythos erhoben wurde. So hatte man Musik bis dahin nicht gehört. Doch Fischer mystifiziert Beethoven nicht, er nimmt ihn, wenn dieser etablierte formale Ordnungen von Grund an neu denkt und mit Leben erfüllt, sozusagen beim Wort. Immer wieder sind es darüber hinaus Einzelheiten, die den Hörer gefangen nehmen, etwa wenn im Finale der Siebten ein wogendes Motiv erst durch die Geigen- und Bratschen-Stimmen wabert und dann sozusagen bei den Geigen hängenbleibt. Wie das spitz artikulierte "e" zu einem mehrfach wiederkehrenden Alarm- oder Hilferuf mutiert, hat man so selten gehört.
    Musik: Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 7 A-Dur, op. 92
    Ein großes Verdienst dieser Aufnahme ist, dass sie Beethoven nie einseitig darstellt. Beethoven ist nie nur der Heroe, der Düstere, der Grimmige. Der Hörer begegnet auch dem Lyriker Beethoven und sogar dem Humoristen. Am Beginn der Neunten jedoch dominiert das Geheimnisvolle. Was in der Begleitung oft wie ein diffuses Grundrauschen, wie ein Tremolo klingt, besteht in Wahrheit aus Sextolen, die Beethoven hier komponiert hat. Der "un poco maestoso"- Charakter stellt sich bei Fischer schon nach wenigen Takten ein. Dabei macht er deutlich, dass jedem noch so rhythmischen Motiv auch ein melodischer Gestus innewohnt. Lauert in diesem Moll also bereits ein Kern von jenem Optimismus, der später das Finale prägen wird?
    Musik: Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 9 d-Moll, op. 125
    Im Finale, bei dem lediglich das Solistenquartett Sara Swietlicki, Morten Grove Frandsen, Ilker Arcayürek und Lars Møller einige Wünsche offenlässt, verzichtet Fischer auf jene Bekehrungswut, wie sie gelegentlich plump nach außen gekehrt wird. Auf der anderen Seite verzichtet er auch auf eine "Alle-Menschen-haben-sich-lieb"-Heiterkeit. Fischers Weg besteht darin, das Grundlegende, Zentrale dieses Satzes, die humanistische Wucht der Schiller’schen Text-Vorlage nachdrücklich, aber ohne Übertreibungen zum Ausdruck zu bringen.
    Musik: Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 9 d-Moll, op. 125
    Das Dänische Kammerorchester und Adam Fischer haben eine neue Gesamtaufnahme der neun Sinfonien von Ludwig van Beethoven vorgelegt. Eine klare Empfehlung im Jahr vor dem 250. Geburtstag des Komponisten. Erschienen sind diese fünf CDs beim Label Naxos. Das Beiheft, das auch Anmerkungen des Dirigenten enthält, ist leider nur in dänischer und englischer Sprache verfügbar.
    Ludwig van Beethoven
    Complete Symphonies (1-9)
    Danish Chamber Orchestra
    Ltg.: Adam Fischer
    Label: Naxos (LC 05537)
    EAN: 0747313525133 (5 CD Box Set)