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Adelheid und Moses an der Adria

Der italienische Ort Pesaro ist die Heimatstadt von Gioacchino Rossini. Dort findet alljährlich das Opernfestival zu Ehren des Komponisten statt. Trotz des Publikumszuspruchs bleibt jedoch die szenische Realisation von Rossinis Opern auch dort ungelöst.

Von Bernhard Doppler | 14.08.2011
    Pesaro und das Rossini-Festival - das ist eine Erfolgsgeschichte, denn die Heimatstadt des Komponisten ist zu einem internationalen gesellschaftlichen Ereignis geworden. Und tatsächlich kommen die Gäste aus allen Teilen der Welt, um ein Festival zu sehen, dass seit 25 Jahren die wichtigsten Namen der Musikszene aufbietet, Abbado, Pollini, Ronconi, um nur einige wenige zu nennen.

    Vom Rossini-Festival, vor 32 Jahren in Pesaro begründet, ist unbestritten die Wiederbelebung der italienischen Oper des frühen 19. Jahrhunderts, der Oper des Belcanto ausgegangen. In Pesaro wurden ja nicht nur lange vergessene Rossini-Opern neu entdeckt, sondern auch gemeinsam mit der Fondazione Rossini und der Accademia rossinina die Aufführungs- und Gesangspraxis erforscht und neu bewertet. Was nach 32 Jahren nach wie vor ungelöst bleibt, ist die szenische Realisation von Rossinis Oper. Zur Festivaldramaturgie gehört es, einer traditionellen Inszenierung eine des aktualisierenden Regietheaters gegenüberzustellen. In "Adelaide di Borgogna", die zum ersten Mal in Pesaro szenisch aufgeführt wird, ist der Held der Oper der deutsch-italienische Kaiser Otto I., der Ende des zehnten Jahrhunderts in Canossa Erbstreitigkeiten durch Heirat regelt, eine Hosenrolle, gesungen in Uniform des 19. Jahrhunderts und mit schwerem Helm von Daniella Barcellona.

    Da in Italien 2011 150 Jahre "Einigung Italiens" gefeiert werden, zeigt Regisseur Pier´Alli eine Art historischen Comics, der auf dieses Datum Bezug nimmt. Denn einbezogen ins Geschehen sind Videoclips in einer äußerst altbackenen Ästhetik, die das Mittelalter und die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts miteinander verbinden: Helden, die nicht mit Waffen, sondern mit Schirmen zu kämpfen haben. Manchmal lässt Jessica Pratt in der Titelrolle durch besonders zarte Pianissimi aufhorchen. Doch der lahme Witz, und die wenig zündende musikalische Interpretation halten den Zuschauer auf Distanz. Den Part des zeitgenössischen Musiktheaters spielte Graham Vick. Vor vierzehn Jahren hatte er im alten Sportpalast in Pesaro "Moïse et Pharaon" inszeniert und ihn dabei in eine alte jüdische Bibliothek verwandelt. Nun in der neuen modernen Sportarena, ein Festspielort, der so gar nicht einem Opernhaus des 19. Jahrhunderts entspricht, die Vorstufe "Mosè in Egitto", eine azione tragico sacra:

    "Ich habe diesen ganzen Platz benützt, man wird den Chor und die Sänger im Parkett sehen, man sieht hinter die Bühne, es gibt Leben hinter der Bühne wie nach dem Hurrican 'Kathrina' in New Orleans, als alle in eine Sportshalle gegangen sind."

    Kein Bibelstoff, sondern ein Politthriller. Und während "Moïse et Pharaon" die Geschichte aus der Perspektive der Hebräer erzählt, ist es nun die der von göttlichen Plagen heimgesuchten Ägypter. Kleinbusse mit Terroristen werden vorgefahren, eine Raum mit Notmatratze und Kaffeeautomat ist Nachrichtenstudio der Revolutionäre, in Internetcafés wird gearbeitet, Aufständische werden gefoltert. Dazwischen Politiker und Agitatoren. Insbesondere der Pharao und seine Familie, die immer Versprechungen an die Ägypter geben und sie zurücknehmen, eine Bühne, die Alex Esposito eindrucksvoll als moderner Pharao zu nutzen weiß.

    Roberto Abbado kostet die spannungsreichen Ambivalenzen, die immer wieder in melancholische Stimmungen münden, aus. Herausragend Dimitri Korschak als Pharaonensohn und Sonja Ganassi als Hebräerin, ein Liebespaar, das konfliktreich in das politische Geschehen und seine Katastrophen hineingezogen wird. Neu ist solches Regietheater natürlich schon lange nicht mehr, aber eine Wiederaufnahme von 2009 "La scala di seta" zeigt, dass man in Pesaro inzwischen auch einen neuen jungen Regisseur aufgebaut hat: Damiano Michiellietto. Die "farsa comica" "La scala di seta" zeigt ein verheiratetes und dennoch heimlich miteinander lebendes Paar. In Pesaro, berühmt auch durch seine Möbelindustrie, leben sie wie Figuren in einem Ausstellungsobjekt für "Schöner Wohner." Vom Kaffeezubereiten, bis zum Fitnesstraining, vom Bügeln bis zum Spaghettikochen hat sich Michiellietto für jeden Ton eine Bewegung ausgedacht. Am Klavier werden die Rezitative wie für eine frühe Stummfilmkomödie begleitet. Musik und Theater hier gehen sie nahtlos Hand in Hand, von absurder Oberflächlichkeit, aber, wenn man will, auch voll abgründiger Wirbel.

    Infos:

    Rossini Festival Pesaro