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Adeliger Wendehals

Charles-Maurice de Talleyrand verstand es, vielen Herren zu dienen. Vor und nach der französischen Revolution sicherte er sich in jedem der schnell wechselnden Regimes seinen Platz. Als er starb, stand der erfolgreiche Staatsmann im Ruf, ein Konjunkturritter zu sein.

Von Jochen Stöckmann | 17.05.2013
    Mit einem Klumpfuß war der 1754 in Paris geborene Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord geschlagen. Dieser körperliche Makel versperrte zwar die Militärkarriere, hinderte ihn aber nicht am Aufstieg zum wendigen Außenminister Frankreichs. Talleyrands Waffen waren seine häufig wechselnden Argumente, damit kam er weiter als mit jeder noch so schlagkräftigen Armee:

    "Mit Bajonetten kann man alles erreichen, aber man darf sich nicht auf sie setzen!"

    Zu Beginn des Revolutionsjahres 1789, noch unter Ludwig XVI., wurde der junge Mann aus bestem Hause Bischof. Als Abgeordneter in die Generalstände gewählt, forderte Talleyrand neben Presse- und Gewerbefreiheit vor allem die Verstaatlichung aller Kirchengüter. Nach der Schreckensherrschaft Robespierres, die er als Exilant in den USA überdauerte, avancierte der "Bürger" Talleyrand 1797 zum Außenminister in der Regierung des Direktoriums, behielt diese Position auch unter Napoleon und selbst nach dessen tiefem Fall als Berater von Ludwig XVIII. Mit dieser politischen Anpassungsfähigkeit brachte es der adelige Wendehals 1815 zum Spitzenreiter in der ersten Ausgabe des "Lexikons der Wetterfahnen". Er teilte sich den unrühmlichen ersten Platz mit Innenminister Joseph Fouché.

    "Es gibt eine Art Menschen, die gehören deshalb zu keiner Partei, weil ihnen das zu unbedeutend, unter ihren Interessen stehend ist – wie z. B. Talleyrand, oder sie sind erbärmliche Ichmenschen und ordnen die allgemeinen Interessen ihren niedrigen Berechnungen unter – wie z. B. Fouché."

    Eines hat der russische Revolutionär Alexander Herzen in seiner Typologie des politischen Konjunkturritters nicht erwähnt: Bei jedem Richtungswechsel geht Talleyrand auch persönliche Risiken ein. Etwa 1799 bei der Verschwörung vom 18. Brumaire zugunsten Bonapartes. Ein Misslingen dieses Staatsstreichs hätte ihn als Außenminister des damals regierenden Direktoriums vermutlich unter die Guillotine gebracht. Seinen Erfolg aber konnte der bedachtsam abwägende Politiker nutzen, um den ungestümen Armeegeneral zu beeinflussen und umzustimmen. Der Historiker Emmanuel de Waresquiel:

    "”Talleyrand beherrscht die Wahl des richtigen Zeitpunkts. Er weiß: ‚Bonaparte wäre verloren, würde er eine Viertelstunde zu früh entscheiden, was noch eine Viertelstunde später zu verhandeln wäre.‘ Dieser Mann des Abwartens ist so enorm wichtig, um die Diplomatie und auch die Innenpolitik Frankreichs wieder in Ordnung zu bringen.""

    Napoleon plant einen Feldzug nach dem anderen. Der Außenminister jedoch knüpft Kontakte zur jeweiligen Gegenseite, etwa in Preußen oder Österreich – und belehrt seinen neuen Dienstherrn:

    "Sire, mit Freunden verhandelt man nicht, sondern mit seinen Feinden!"

    Als Talleyrand dann aber direkt auf den russischen Zaren Alexander I. zugeht und ihn vor dem Expansionsstreben Napoleons warnt, grenzt das an Hochverrat. Doch dieser Akt der Illoyalität trägt Frankreichs oberstem Diplomaten jenes Vertrauenskapital ein, das sich 1815 nach Napoleons endgültiger Niederlage bezahlt macht. Beim Wiener Kongress wird Frankreich von den siegreichen Alliierten kaum ein Härchen gekrümmt. Talleyrands Erfolgsrezept: Während der Kongress tanzt, bittet der hinkende Herzog zu Tisch. Er schreibt an seinen neuen Herren Ludwig XVIII.:

    "Sire, ich brauche vor allem Pfannen und Töpfe, weniger Akten oder Instruktionen!"

    Auf den reaktionären Bourbonen folgte Louis Philippe, der Bürgerkönig. Auch unter diesem Herrscher sicherte sich Talleyrand seine Position, diesmal als Botschafter in Großbritannien. Und er zog nach diesem sechsten Regimewechsel, kurz vor seinem Tod am 17. Mai 1838 in Paris, das Resümee:

    "Ich habe niemals einem Ministerium oder einem Fürsten einen bösen Rat gegeben; aber ich habe mich nicht von ihrem Sturz mitreißen lassen. Nach einem Schiffbruch braucht man einen Steuermann, der die Opfer rettet. Ich bin geistesgegenwärtig, und ich bringe sie in einen Hafen; was für ein Hafen das ist, gilt gleich, wenn er nur Zuflucht bietet."