Freitag, 29. März 2024


Adeus, Boipeba

Abreisetag: Zum letzten Mal fahren wir mit dem Schnellboot durch die Mangroven. Zu Hause in Köln beginnt dann die Radio-Arbeit: Aus 18 Stunden Material wollen wir Hörfunk-Reportagen und ein Feature bauen.

Von Jörg-Christian Schillmöller und Dirk Gebhardt | 12.08.2013
    Am meisten beeindruckt hat uns in den vergangenen Wochen Boipebas Unterbürgermeister Roberto: Mit seiner ruhigen und klugen Art hat er uns bei vielen Themen wertvolle Impulse gegeben. Oder die Krankenschwester Gilza - resolut, pragmatisch. Der Wanderführer Marcos, fröhlich, und besorgt um die Umwelt. Der deutsche Baptist Daniel Simon - konsequent als Missionar. Der Polizist Washington, aufrichtig in seinem Kampf gegen die Drogen.

    Gesundheit, Bildung, Sicherheit, Religion, Umwelt, Tourismus: Bei allen Themen bleiben offene Fragen. Was ist mit den vielen Frauen, die hier schon im Mädchenalter schwanger werden? Reicht ein neues Schulgebäude, um die Defizite in der Bildung in den Griff zu bekommen? Wird die Katholische Kirche es schaffen, ihre Gemeinde wieder zu vergrößern? Bleibt es bei den schönen Plänen, die Müllhalde zu beseitigen und (zum x-ten Mal) das Recycling einzuführen? Wird es einmal ein Drogen-Präventionsprogramm geben, das die Menschen ernsthaft in Anspruch nehmen?

    Unzufrieden sind wir mit den Recherchen zum Thema Korruption. Außer Gerüchten und Spekulationen haben wir keine belastbaren Informationen herausfinden können. Man hört in den Gesprächen vieles, aber es fehlte die zweite Quelle, um das Gehörte zu bestätigen.

    Sicher ist: Auch auf dem Archipel Tinharé gibt es Korruption, ob nun bei den Behörden oder in der Wirtschaft. Die Grenzen sind dabei fließend: Manch einer sagte uns, dass hier (genau wie in Köln zum Beispiel) eigentlich nichts ohne Beziehungen geht - seien es nun familiäre, freundschaftliche, politische oder geschäftliche. Geld muss gar nicht unbedingt fließen. Die Auftragsvergabe genügt schon.

    So scheinen - nur ein Beispiel - bei der Renovierung historischer Gebäude größere Summen veruntreut worden zu sein. Um diese Geschichten verlässlich zu recherchieren, müssten wir vermutlich ein halbes Jahr hier leben. Vieles bleibt uns als "Bewohnern auf Zeit" eben doch verschlossen.



    Andererseits gab es in den zweieinhalb Wochen nur eine einzige Situation, in der jemand nicht mit uns sprechen wollte (der Besitzer des schwimmenden Restaurants im Korallenriff vor der Küste). Alle anderen waren - frei von Misstrauen - dazu bereit, Auskunft zu geben und uns auch über Probleme und Misserfolge ihrer Arbeit zu berichten.
    Ein Junge schleppt schwere Säcke auf Boipeba
    Ein Junge schleppt schwere Säcke auf Boipeba (Dirk Gebhardt)
    Nicht vergessen werden wir die Abende auf dem Dorfplatz, an den Tischen vor dem kleinen Restaurant von Jorge Som: Dort haben wir - mit einem sehr unzuverlässigen WLAN - stundenlang gesessen und geschrieben, gegengelesen, Bilder bearbeitet, Slideshows und Videos abgesprochen, geschnitten, vertont und im Internet für www.dradio.de hochgeladen. Dank der Online-Redaktion in Köln klappte das irgendwie immer.

    Und immer wieder kamen auf dem Dorfplatz auch die Protagonisten unserer Geschichten vorbei und schauten uns über die Schulter. Die Neugier überwog, Skepsis war selten.

    Wir fragen uns, was aus Boipeba wird. Findet die Insel einen Mittelweg zwischen Tourismus und Nachhaltigkeit? Wird das umstrittene Feriendorf hinter dem Traumstrand von Cueira gebaut? Und noch ein zweites, weiter südlich, am Strand "Ponto dos Castelhanos"?



    Wenn sich Boipeba weiter entwickelt wie in den vergangenen zehn Jahren, dann dürfte es schon bald keine ungepflasterten Straßen mehr geben und vielleicht endlich eine funktionierende Kanalisation. Die Kehrseite: Es werden mehr Touristen kommen, und die Insel wird ihre Ursprünglichkeit verlieren.
    Dorfjugend in Boipeba
    Dorfjugend in Boipeba (Dirk Gebhardt)
    Die Politik muss eine Tourismusplanung entwickeln, die den Namen verdient. Der junge Dezernent Bruno Wendling könnte dabei eine wichtige Rolle spielen, wenn man ihn lässt.

    Immerhin gibt es schon einen Soundtrack für die Insel, und dessen Melodie ist so eingängig, dass wir sie immer wieder vor uns hinpfiffen. Sie stammt von Genivaldo, dem Bruder von Unterbürgermeister Roberto - und der Anfang seines Liedes "Inselreise" hat für uns hier jeden Tag einen Moment lang gestimmt.

    "Ich werde verreisen und tue das ohne Kompromisse. Ich fahre nach Boipeba, denn Boipeba ist das Paradies."

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    Jörg-Christian Schillmöller
    ist seit 2001 Nachrichtenredakteur beim Deutschlandfunk. Er war mehrfach für den Sender im Ausland auf Reportage-Reisen - zuletzt 2012 mit Dirk Gebhardt im Iran. Brasilien hat er im vergangenen Jahr entdeckt.

    Dirk Gebhardt ist Fotograf und Professor für Bildjournalismus an der FH Dortmund. Er arbeitet seit Frühjahr 2012 an einer Langzeit-Dokumentation über den Sertão, eine Trockenwüste im Nordosten Brasiliens. Fotografiert hat er neben Südamerika auch in Afrika und auf dem Balkan.
    Karte von Boipeba