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ADHS-Gen identifiziert

Eine Arbeitsgruppe des Nationalen Gesundheitsinstituts in den USA hat ein Gen entdeckt, das einen erheblichen Beitrag zur Entstehung der Aufmerksamkeitsdefizit-Störung ADHS leisten soll. Die Forscher haben dazu eine isoliert lebende Bevölkerungsgruppe in Kolumbien untersucht.

Von Kristin Raabe | 24.02.2010
    Unkonzentriertheit, Impulsivität und extreme Unruhe - Kinder mit diesen Symptomen sind im Alltag meist nicht in der Lage, eine Sache zu Ende zu führen. Eine Bastelarbeit, ein Spiel, die Hausaufgaben - alles bleibt angefangen liegen. Im Klassenraum springen sie über Tische und Bänke, beim gemeinsamen Abendessen mit der Familie bleiben sie nie länger als ein paar Minuten sitzen. Das sind die Symptome einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung, kurz ADHS. Die Ursachen dafür sind vor allem genetisch bedingt. Etwa 70 bis 80 Prozent tragen Gene zum Ausbruch von ADHS bei. Diese Gene zu finden war schon lange der Traum des deutschen Genetikers Maximilian Münke. Bei einer isoliert lebenden Bevölkerungsgruppe in Kolumbien, den Paisas, hatte er die Chance dazu:

    "Der Traum war deshalb erfüllbar bei den Paisas, weil die Paisas große Familien haben. Die haben zwischen 8 und 16 Kindern und was die Paisas auch haben im Gegensatz zu anderen Einwohnern in Kolumbien, die haben eine höhere ADHS-Rate, etwa 20 bis 25 Prozent der Paisas haben ADHS im Gegensatz zur Restbevölkerung, da ist es so zwischen fünf und zehn Prozent."

    Die Urahnen der Paisas sind im 16. Jahrhundert aus Spanien nach Kolumbien ausgewandert. Dort haben sie in den Anden gesiedelt und jahrhundertelang sehr isoliert gelebt. Weil es in ihren Reihen so viele Kinder mit ADHS gibt, waren sie nur allzu gerne bereit, Proben für eine genetische Untersuchung abzugeben. Maximilian Münke suchte im gesamten Genom nach Gensequenzen, die überproportional häufig bei Familienmitgliedern mit ADHS vorkamen.

    "Das hat uns tatsächlich gezeigt, dass auf einem Chromosom, nämlich an Chromosom 4 eines der Gene lokalisiert ist, von dem wir jetzt wissen, dass es mit ADHS zu tun hat."

    Das betroffene Gen auf Chromosom 4 ist das sogenannte Latrophilin-3-Gen. Es führt zwar nicht unbedingt zum Ausbruch von ADHS, steigert das Risiko allerdings so erheblich, wie kein anderer bislang bekannter genetischer Faktor.

    "Wenn jemand, diese Variante hat, die ADHS bei den Paisas auslöst, bedeutet das, das sein oder ihr Risiko ADHS zu haben 20 bis 30 Prozent höher ist, als in der Restbevölkerung, die nicht diese Variante hat."

    Die riskante Latrophilin-3-Genvariante kommt nicht nur bei den Paisas vor: Maximilian Münke und seine Kollegen haben Tausende von Proben aus den USA, Deutschland, Spanien und Norwegen untersucht. Bei Ihren Studien fanden die Forscher auch Hinweise, warum bei etwa einem Viertel der ADHS-Patienten Medikamente nicht wirken.

    "Der Grund dafür kann sein, dass im Latrophillin-3-Gen Varianten da sind, wo die Kinder dann nicht auf diese Medikamente reagieren."

    Einige Patienten probieren über Monate, manchmal Jahre immer wieder neue Medikamente. Das könnte ihnen vielleicht erspart bleiben, wenn ein Gentest für die entsprechende Latrophilin-3-Genvariante vorhanden wäre. Die Betroffenen wüssten dann von vornherein, dass Medikamente bei ihnen nicht wirken können. Auf welche Weise das Latrophilin-3-Gen das ADHS-Risiko steigert und wie bestimmte Varianten die Wirkung von Medikamenten blockieren, ist allerdings noch unklar. Sicher ist vor allem eins. Es steht für einen Rezeptor, der an Nervenzellen sitzt. Besonders häufig findet sich dieser Rezeptor in den für Aufmerksamkeit und Impulskontrolle wichtigen Hirnteilen und die arbeiten bei vielen ADHS-Patienten nicht richtig.