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ADHS trifft nicht nur Kinder

Wenn es Kindern schwer fällt, sich nur für wenige Minuten zu konzentrieren, wenn sie nicht einen Moment lang ruhig sitzen können, dann könnte ADHS dahinter stecken, eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Ungefähr die Hälfte aller Zappel-Philippe nimmt einige der Symptome mit ins Erwachsenenalter.

Von Arndt Reuning | 06.05.2008
    Gut die Hälfte aller ADHS-Kinder schleppt diese Störung mit ins Erwachsenenleben. Das heißt: Ungefähr vier Prozent der volljährigen US-Amerikaner zeigen Symptome, die typisch sind für ADHS. Allerdings wandelt sich der Charakter der Störung im Laufe der Jahre, sagt Prof. Stephen Faraone von der SUNY Upstate Medical University in Syracuse.

    "Die Symptome ändern sich mit dem Lebensalter. Bei Erwachsenen geht das überaktive, impulsive Verhalten zurück. Hingegen nimmt die Unaufmerksamkeit zu. Erwachsene mit ADHS lassen sich leichter ablenken, sie haben Probleme damit, ihren Alltag zu organisieren und vorausschauend zu planen. Aber sie springen nicht auf und laufen einfach hin und her. Obwohl sie weiterhin impulsiv sein können. Zum Beispiel, indem sie in Gespräche hineinplatzen, was zu Problemen in ihrer Beziehung führen kann."

    Und nicht nur das. Erwachsene mit ADHS haben überdurchschnittlich häufig Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, werden auch öfters arbeitslos und verursachen mehr Verkehrsunfälle. Allerdings: Nicht immer muss eine Konzentrationsschwäche oder innere Unruhe ein sicheres Zeichen für ADHS sein. Besonders dann nicht, wenn solche Symptome keine Vorgeschichte in der Kindheit haben.

    "ADHS betrachten wir nicht als eine Störung, die im Erwachsenenalter ausbricht. Jemand, der bis zum Alter von 22 Jahren keine Symptome gezeigt hat, und sich dann aber plötzlich wie ein ADHS-Patient verhält, den würden wir trotzdem nicht dazurechnen. Die momentan gültigen Kriterien für die Diagnose schreiben vor, dass die Störung vor dem siebten Lebensjahr begonnen haben muss. Darüber lässt sich natürlich streiten. Es gibt Studien von mir und ein paar anderen Wissenschaftlern, die nahelegen, dass das zu eng gefasst ist. Wir sehen, dass die Störung sich nicht nur in der Kindheit entwickeln kann, sondern auch im Jugendalter."

    So schwierig es für die Experten ist, einen genauen Beginn für ADHS festzulegen, so mühsam ist es auch, sich auf die Suche nach den Ursachen zu begeben. Einige Risikofaktoren sind bekannt: Wenn die Mutter während der Schwangerschaft raucht oder Alkohol trinkt, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind später einmal an ADHS erkrankt. Probleme während der Schwangerschaft oder bei der Geburt können ebenfalls dazu beitragen. Besonders hoch ist das Risiko, wenn der Vater oder die Mutter schon selbst unter ADHS gelitten haben. Ein Hinweis darauf, dass die Störung vererbt wird. Und tatsächlich haben die Mediziner eine ganze Reihe von Risikogenen gefunden. Erbanlagen, die zum Beispiel die Entwicklung des Gehirns beeinflussen oder die Signalweiterleitung in den Nervenbahnen.

    "Wir wissen jetzt ziemlich genau, dass es nicht nur eine einzige Ursache für ADHS gibt. Früher dachte man: vielleicht gibt es da ein einzelnes Gen, das eingeschaltet sein muss, um ADHS zu bekommen. Oder es liegt daran, dass man die falschen Lebensmittel isst. Seit dreißig Jahren versuche ich, den Ursachen auf die Spur zu kommen. Es hat sich gezeigt, dass das kein leichtes Unterfangen ist. Was wir sicher wissen: Alle Ursachen, die bereits entdeckt worden sind, liefern jede für sich nur einen geringen Beitrag zur Störung."

    Durch die Vielzahl der möglichen Ursachen, die sich zudem auch gegenseitig beeinflussen, fällt eine Vorhersage schwer, ob ein ADHS-Kind die Störung hinter sich lassen kann oder ins Erwachsenenalter mitnimmt. Die Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit ADHS unterscheidet sich kaum voneinander: am besten wirkt eine Kombination aus Verhaltenstherapie und Medikamenten, zum Beispiel Methylphenidat. In den USA ist schon eine Reihe von Medikamenten für erwachsene ADHS-Patienten zugelassen. In Deutschland kann Methylphenidat im Rahmen eines sogenannten Heilbehandlungsversuches verschrieben werden.

    "Den Eltern von ADHS-Kindern oder Erwachsenen, die darunter leiden, rate ich: Das ist eine Störung, für die es viele effektive Behandlungsmethoden gibt. Das ist eine von den Störungen, die wir Psychiater gut behandeln können. Und deshalb würde ich alle dazu ermuntern, sich nach professioneller Hilfe umzusehen."