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"Adler & Söhne Literaturproduktion"

Schriftsteller gelten als einsame Wortkämpfer, als Sisyphos-Gestalten, die sich ihre Werke im stillen Kämmerlein abringen. Von diesem Bild scheinen sich jüngere Autoren lösen zu wollen. So haben die Senkrechtstarter Saša Stanišić und Thomas Pletzinger ihre Schreibtische in einem kommunikativen Umfeld aufgestellt. Sie gehören zu den Mitbegründern von "Adler & Söhne Literaturproduktion", einer achtköpfigen Bürogemeinschaft am Prenzlauer Berg in Berlin. Christoph Vormweg hat sich dort umgeschaut.

Von Christoph Vormweg | 25.11.2008
    " Es wurde uns zugetragen von den Vorbesitzern, dass dieser Ort hier schon ein Ort mit literarischer Tradition ist. "

    Thomas Pletzinger, der im Frühjahr 2008 mit "Bestattung eines Hundes" sein vielbeachtetes Romandebüt vorgelegt hat …

    "Also hier war früher zum Beispiel ein Zigarrenladen drin, hier soll Heiner Müller immer Zigaretten und Zigarren gekauft haben, das wurde uns gesagt, und dann war hier lange Zeit nach der Wende, waren hier Atelierräume von einer Künstlergruppierung drin. Und dann wurde das vom Tropen Verlag übernommen, der ja jetzt nach Stuttgart gezogen ist. Und jetzt führen wir diese Tradition – in gewisser Weise jedenfalls – fort und bilden uns dann ein, dass hier der Zigarrenrauch noch in den Räumen hängt von Heiner Müller."

    Geraucht wird heute nicht mehr im Erdegeschoß der Berliner Senefeldstraße 31. Hohe, weiße Wände in allen Büros. Zwei Räume gehen nach hinten hinaus, zwei nach vorne. In jedem stehen zwei Schreibtische. Die Einrichtung ist karg. Nur das Notwendigste. Die im Sommer 2008 gegründete Gemeinschaft für Literaturproduktion ist noch im Aufbruch, die Namenspatronin gerade unterwegs.

    "Die jüngste und physisch kleinste Person in unserem Büro ist Katharina Adler, und da dachten wir: Es passt ganz gut, dass sie die Mutter der Kompanie wird. Und ja, deswegen heißt es "Adler & Söhne". Mittlerweile haben wir auch einen Adler im Schaufenster stehen: Earl, den Adler."

    Kennen gelernt haben sich Thomas Pletzinger und Katharina Adler am Literaturinstitut in Leipzig. Dort verkehrten sie bald als Vierergruppe: mit Saša Stanišić, der 2006 mit seinem Erstling "Als der Soldat das Grammophon reparierte" für Furore sorgte, und mit Benjamin Lauterbach:

    "Es hat sich schon dort in Leipzig herausgestellt, dass wir relativ gut zusammen arbeiten können, nämlich dass wir uns zum Teil in Cafés, die nicht so gut besucht waren, getroffen haben. Manchmal hatte jeder seinen Tisch, manchmal saß man sich an einem Tisch gegenüber, der Laptop war aufgeschlagen und man schrieb, und man las sich vielleicht nach ein, zwei Stunden auch mal eine kleine Passage vor, bei der man sich unsicher war, oder fragte sich mal gegenseitig nach einem Wort. Und das war ein Modell, was sehr gut funktionierte, und jetzt waren nacheinander alle fertig mit ihrem Studium dort und zogen in verschiedene Städte. Saša zog nach Graz als Stadtschreiber, Katharina Adler hat ein Stadtmagazin in München übernommen, und Thomas musste sehr intensiv für seinen Debütroman arbeiten und zog dafür nach Hagen, zumindest die meiste Zeit, und ich eben nach Frankfurt, um dort zu arbeiten, und dann haben wir gemerkt, wie sehr uns das fehlt und hatten die Idee, doch zusammen eine Bürogemeinschaft aufzumachen, wo wir im Grunde weiterführen, was in Leipzig angefangen hatte. "

    Sich über die eigenen Texte auszutauschen, Kritik zuzulassen und für sich zu Nutze zu machen: auch das lernt man am Literaturinstitut in Leipzig. Frei nach der Devise: Eitelkeiten halten nur auf. Gegenlesen gehört deshalb zum Alltag. So hat Benjamin Lauterbach, dessen erster Roman kurz vor dem Abschluss steht, die Romane von Saša Stanišić und Thomas Pletzinger vorlektoriert. Neid auf ihren Durchbruch kommt bei dem 33-jährigen aber nicht auf.

    " Für mich ist es in keinster Weise belastend - aber das mag auch daran liegen, dass ich die beiden schon lange kannte, bevor irgendeine Rakete hoch ging oder - wie Saša genannt wurde - der Autorenkomet den Literaturbetrieb bereicherte. Wir haben ja schon in Seminaren gesessen im Literaturinstitut, bevor irgend welche größeren Erfolge da waren. Ich glaube, wenn da Missgunst oder irgendein Druck oder irgendwas in der Art herrschen würde, dann hätten wir das auch alle gar nicht gemacht."

    Auch die vier Absolventen des Leipziger Literaturinstituts konnten dem Herdentrieb im deutschen Literaturbetrieb nicht widerstehen. Nur Berlin kam als Stadt für die Bürogemeinschaft in Frage. Aus Köln stieß Jan Valk hinzu, der als freier Journalist und Literaturlektor arbeitet und seit 2005 Mitherausgeber des Magazins "sprachgebunden" ist. Es wird vom deutschen Literaturfonds gefördert.

    " Die Schnittstelle hat sich schon ergeben über die Zeitschriftenarbeit, weil zumindest Thomas Pletzinger und Saša Stanišić Autoren sind, mit denen wir viel gearbeitet haben auch im Magazin-Kontext, also die beide auf ihre Weise das Magazin auch von Anfang an begleitet haben mit Texten, und daraus sind mit der Zeit also engere Bekanntschaften und Freundschaften entstanden und auch ganz viele Begegnungen in verschiedenen Kontexten."

    " Es sind ja nicht nur Gleichgesinnte, es sind ja auch wirklich Freunde. "

    Christine Bredenkamp, die Saša Stanišićs Erfolgsroman ins Schwedische übersetzte.

    "Das hilft mir aber auch mit der Arbeit, weil die auch gute Leute kennen, und da fallen immer gute Namen, die ich dann auch weiter nach Schweden bringen kann. Ich bin ja immer stets mit den schwedischen Verlegern in Kontakt. Also das ist schon ein sehr großer Vorteil, muss ich sagen – statt immer selber auf der Suche zu sein. Ich habe Juli Zeh nach Schweden gebracht – oder nicht der erste Roman, der war schon da, aber dann habe ich jetzt gerade "Schilf" eingereicht, wird Anfang des Jahres dann erscheinen -, dann habe ich "Tannöd" gemacht, jetzt mache ich den Nachfolger, und dann folgt auch "Feuchtgebiete" – das ist ne gute Mischung."

    " Natürlich ist auch der Netzwerkgedanke irgendwie Teil des Ganzen, ich glaube, acht Leute kennen auf jeden Fall mehr Kontaktpersonen, als einer alleine. Aber das ist nicht das primäre Ziel. Es geht eigentlich tatsächlich um die Arbeit, die wir hier miteinander verrichten können, also ich glaube, dass wir, wenn wir hier sind, uns einfach gegenseitig befruchten. Das merkt man schon, dass die Arbeit schneller vorangeht, wenn man mal einen Lektor einfach zu Rate ziehen kann. Und auch, wenn ein anderer Autor mal drüber guckt, und wenn man Ideen, bevor überhaupt geschrieben wurde, mal durchdiskutieren kann, ist das natürlich hilfreich.

    Ich erlebe es als sehr wohltuend, nicht nur zu Hause zu arbeiten. "

    Jan Valk.

    "Es war für mich klar, dass ich erst mal als Freier arbeiten möchte, und wenn das nur zu Hause stattfindet, ist es eine sehr einsame Arbeit, die – glaube ich – auf die Dauer eine extreme Verkauzungsgefahr mit sich bringt. Das ist schon so ein sehr einsamer Prozess, der gleichzeitig auch so ein bisschen die Gefahr birgt, dass man so eine völlige Vermischung von Leben und Arbeit hat, die auf die Dauer, glaube ich, strapaziert.
    Tatsächlich bedeutet das für mich, dass ich eine Anlaufstelle habe, wo ich jeden Tag hingehe, praktisch für mich simuliert, als hätte ich einen normalen Beruf. Zwecks Trennung von Arbeit und Privatleben habe ich jetzt mir einen Arbeitsraum gemietet und kann dann morgens zur Arbeit und abends nach Hause gehen, was eigentlich etwas ist, was man vom Schriftsteller eher nicht erwartet."

    Enge und Überfüllung droht nicht in der Bürogemeinschaft am Prenzlauer Berg. Denn die Literaturproduzenten von "Adler & Söhne" sind viel auf Reisen. So hat Thomas Pletzinger in diesem Jahr schon rund siebzig Lesungen hinter sich gebracht. Zusätzlich unterrichtet er "creative writing" am Literaturinstitut im Schweizerischen Biel und am Literaturhaus Hamburg. Denn für die Arbeit am nächsten Roman gilt es, sich finanzielle Freiräume zu schaffen. Auch Benjamin Lauterbach, der zwei Wochen im Monat als Wetterfrosch beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt arbeitet, bringt Opfer für die Literatur und für seinen Schreibtisch bei "Adler & Söhne Literaturproduktion":

    " Doch, das ist für mich finanziell ne Last. Es werden so um die 130 Euro im Monat sein, und gerade, wenn man so wie ich, immer zwei Wochen im Monat sich freihält, um schreiben zu können, und nur zwei Wochen arbeitet, ist das sogar ne Menge Geld. Aber am Ende ist es das auch wert, und wir sind auch schon am überlegen, wie man vielleicht hier Veranstaltungen machen könnte, und sich vielleicht die Monatsmieten darüber wieder reinholen könnte."