Donnerstag, 25. April 2024

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Adria-Fähre in Seenot
"Eine dramatische Erfahrung"

Die Rettungsaktion in der Adria verlaufe koordiniert, sagte Christian Stipeldey von der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger im DLF. In Einzelfällen müssten die Geretteten psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, da die Notsituation wohl lange nachwirken werde.

Christian Stipeldey im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 29.12.2014
    Der Sprecher der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), Christian Stipeldey, stellt sich am Donnerstag (28.07.2011) in der Seenotleitung Bremen auf einem Museums-Rettungskreuzer vor
    Christian Stipeldey von der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger hält die Rettungsaktion in der Adria für koordiniert. (dpa / picture-alliance / Ingo Wagner)
    Christian Stipeldey rät den Menschen auf der "Norman Atlantic", sich "vertrauensvoll in die Hände der Besatzung" zu begeben. Sich selbstständig in Sicherheit zu bringen, hält Stipeldey für zu gefährlich. Die Rettung verlaufe koordiniert ab, so Stipeldey. Dass sie so lange andauere, liege auch an dem schlechten Wetter im Unglücksgebiet.
    Rettungsschiffe müssten aufpassen, damit sie nicht selbst in Not geraten. Hubschrauber könnten nur wenige Menschen gleichzeitig in Sicherheit bringen - und müssten häufiger zurück an Land, um zu tanken.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es ist die andere Katastrophe, die die Welt am Ende dieses Jahres 2014 in Atem hält, die Fährkatastrophe in der Adria. Auf dem Fährschiff Norman Atlantic ist gestern Morgen ein Feuer ausgebrochen, seitdem treibt das Schiff mehr oder weniger führerlos im Meer. Noch immer sind etwa 100 Passagiere an Bord und die Rettung dieser Passagiere wird vor allem durch die heftigen Stürme erschwert. Und bei uns am Telefon ist jetzt Christian Stipeldey, er ist Sprecher der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Wir erreichen ihn in Bremen, schönen guten Tag, Herr Stipeldey!
    Christian Stipeldey: Guten Tag!
    Armbrüster: Herr Stipeldey, was genau macht diese Rettung so schwer?
    Stipeldey: Eigentlich drei schwierige Faktoren, die hier zusammenkommen. Zum Ersten sind es sehr viele Menschen, die gleichzeitig in Sicherheit gebracht werden müssen, also gleichzeitig in einer Notlage sind; zum Zweiten Feuer an Bord, das ist immer sehr gefährlich für ein Schiff; und zum Dritten das schlechte Wetter.
    Armbrüster: Aber könnte man nicht irgendwie denken, innerhalb von 24 Stunden sollte es möglich sein, in einem Meer mitten in Europa 200 Leute von einem Schiff runterzuholen?
    Stipeldey: Wir können hier aus Deutschland vom grünen Tisch aus die Verhältnisse nur sehr schwer einschätzen. Es ist immer schwierig, wenn das Wetter eine Rettungsaktion erschwert, das ist grundsätzlich auf See bei jedem Notfall ein Problem. Es ist eben anders als ein Rettungswagen an Land, der mal eben an den Straßenrand fährt. Man muss Helfer erst mal vor Ort hinbringen und sie müssen dann auch adäquat eingesetzt werden können. Schiffe, die sich zur Hilfe anbieten, können beispielsweise bei Seegang nicht einfach irgendwo längsseits gehen, ohne sich selbst in große Gefahr zu bringen.
    Armbrüster: Das heißt, es gibt auch keine richtig wendigen Rettungsboote, die auch bei schwerer See nah an ein Schiff heranfahren können, vielleicht irgendwelche Luftmatratzen ins Wasser werfen können, dass Leute runterspringen können, und diese Leute dann einsammeln?
    Stipeldey: Natürlich, unsere italienischen Kollegen haben auch sehr gute Rettungsboote. Ich habe jetzt gerade von Schiffen gesprochen, die sich zur Hilfe anbieten, weil sie in dem Seegebiet ohnehin unterwegs sind. Rettungsboote selbst haben natürlich das Problem, die sind viel kleiner als Fähren, die müssen große Höhenunterschiede überwinden. Und dazu müssen Fähren natürlich ihre eigenen Rettungsmittel einsetzen können. Wir haben eben im Beitrag gehört, dass das erschwert war möglicherweise dadurch, dass technische Systeme an Bord ausgefallen sind, durch den Brand vielleicht. Auch das können wir alles nur mutmaßen von hier aus.
    Armbrüster: Ist das denn eigentlich immer unbedingt eine Katastrophe, wenn auf einer solchen Fähre ein Feuer ausbricht?
    Stipeldey: Ich glaube, hier kommen wirklich wie eingangs gesagt eben drei Faktoren zusammen: Das schlechte Wetter führt eben hier dazu, dass Hilfe nicht so schnell möglich sein kann, wie das bei besserem Wetter der Fall wäre. Das macht eine Rettungsaktion auf See grundsätzlich immer schwer vorhersehbar, wie sie sich entwickeln wird, weil sich die Wetterverhältnisse eben nicht im Voraus berechnen lassen.
    Armbrüster: Aber Feuer wird auf einer Fähre, nehme ich mal an, durch Schleusen zum Beispiel irgendwie im Zaum oder unter Kontrolle gehalten?
    "Sehr viele einzelne dramatische Situationen"
    Stipeldey: Es gibt Behörden, die dafür Vorgaben machen, wie Schiffe ausrüstungspflichtig sind. Das ist aber etwas, was wir als Seenotretter nicht beurteilen können.
    Armbrüster: Wenn wir uns jetzt mal vor Augen halten, was in so einer Katastrophe passiert, 100 Menschen an Bord eines solchen Schiffes, mit Feuerflammen möglicherweise, die da um sich schlagen. Was passiert da an einem solchen Schiff, was passiert da menschlich?
    Stipeldey: Sicherlich sehr viele einzelne dramatische Situationen. Für jeden, der so etwas miterlebt, ist das ja vermutlich die Premiere eines solchen großen Notfalls. Das ist für jeden eine besondere Situation. Man kann da nur raten, dass man sich in die vertrauensvollen Hände der Besatzung begibt. Wir haben eben im Beitrag ja gehört, dass es, so gut es eben unter den Umständen ging, ja offenbar koordiniert abgelaufen ist. Man hat keine Chance, man sollte keine Einzelaktionen starten, wenn man auf so einem Schiff letztlich mit vielen Menschen, aber letztlich ja doch alleine ist, sondern man hat keine andere Wahl als auf die Rettung zu warten.
    Armbrüster: Welche psychischen Folgeschäden hinterlässt denn so eine Katastrophe bei Schiffbrüchigen? Oder welche Folgeschäden kann so etwas hinterlassen?
    Die Seeausdauer von Hubschraubern ist sehr gering
    Stipeldey: Das erleben wir als Seenotretter immer nur vereinzelt, weil wir ganz selten noch näheren Kontakt zu Geretteten haben. Wenn wir Menschen aus gefährlichen Situationen auf See befreien, dann geben wir sie in die Obhut des Landrettungsdienstes und dann wird auch die psychosoziale Nachsorge dort durch andere Kräfte geleistet. Wir erfahren in wenigen Fällen darüber, wie es Menschen dann nachher geht. Wir wissen aber zum Beispiel durch Seenotretter, die selbst auch mal in eine gefährliche Situation gekommen sind, dass das schon lange nachschwingt, wenn man den Blanken Hans am eigenen Leib erlebt hat.
    Armbrüster: Wie wird eine solche Hilfe jetzt am wahrscheinlichsten durchgeführt, wenn es mit Schiffen, wie Sie gesagt haben, schwierig ist, mit kleinen Booten? Sind dann sozusagen Hubschrauber die einzige Wahl?
    Stipeldey: Das scheint so zu sein. Nach allem, was wir sehen, sind Hubschrauber da ja pausenlos im Einsatz. Hubschrauber haben eben das Problem, dass sie im Vergleich zu Schiffen relativ wenig Menschen gleichzeitig aufnehmen können und dass ihre Seeausdauer relativ gering ist im Vergleich zu einem Schiff. Das heißt, sie müssen schneller wieder tanken, das ist das Problem des Hubschraubers. Ideal ist immer die Kombination aus Schiffen und Hubschraubern. Und die Medienbilder, die uns hier erreicht haben, haben durchaus eben auch italienische Rettungsboote gezeigt, Rettungsboote, deren Bauart wir als Seenotretter auch kennen. Also auch richtige Rettungsboote, die speziell für diesen Zweck gebaut worden sind, sind dort im Einsatz.
    Armbrüster: Wenn wir jetzt das mal wirklich, wie Sie sagen, vom grünen Tisch aus beobachten, würden Sie sagen, die Rettungsaktion, wie sie abläuft und koordiniert wird auch zwischen den beteiligten Ländern, ist das vorbildhaft?
    Stipeldey: Mit aller Vorsicht kann man sicherlich sagen, dass das, was dort abläuft, koordiniert abzulaufen scheint.
    Armbrüster: Christian Stipeldey war das von der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Vielen Dank, Herr Stipeldey, für das Gespräch!
    Stipeldey: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.