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Adventzeit an der Wiener Staatsoper
Märchenhaftes Familienprogramm

Regisseur Adrian Noble und Dirigent Christian Thielemann haben bei der aktuellen Inszenierung von "Hänsel und Gretel" vor allem auf eine familienfreundliche Version gesetzt, fernab von den üblichen Missbrauchsdeutungen. Das Premierenpublikum war begeistert. Dennoch gab es am Ende des Abends ein ungelöstes Rätsel.

Von Jörn Florian Fuchs | 20.11.2015
    Für Christian Thielemann kommt das Weihnachtsfest in diesem Jahr rund einen Monat früher und die Bescherung fällt äußerst üppig aus. An der Wiener Staatsoper durfte sich Thielemann nämlich ein Stück wünschen und auch bei den Sängern hatte er sicherlich ein gewichtiges Wort mitzureden. Dazu gibt es noch einen ziemlich milden Regisseur, der Engelbert Humperdincks Märchenoper ebenso familienfreundlich wie repertoiretauglich in Szene setzte.
    Wer sich rar macht, wird gefeiert
    Das Publikum empfing den Dirigenten gleich zu Beginn mit geradezu wütendem Sehnsuchtsapplaus, viele Wiener sähen ihn liebend gern als Chef der Staatsoper oder zumindest als regelmäßigen Gastmaestro. Doch Thielemann macht sich bekanntlich rar, nach der "Hänsel und Gretel"-Premiere dirigiert er nur drei Folgevorstellungen sowie zwei Mal Verdis "Otello" in einer Neuinszenierung bei den Salzburger Osterfestspielen – das waren dann schon die Premierentermine dieser Saison.
    Anregung der Nachfrage durch gezielte Verknappung des Angebots könnte man das wohl nennen.
    Bei seinem Wiener Wunschstück macht der rare Thielemann erfreulicherweise alles richtig und steigert den Orchesterklang sehr schön von leicht französisch inspirierten Farbmischungen hin zu stärkeren, kräftigeren Tönen im letzten Drittel. Wirklich laut und pompös wird alles in der Hexenküche, wo die Wagner- und Richard Strauss-Doyenne Michaela Schuster der Knusperhexe lockend frivole, aber auch sehr rabiate Wuttöne verleiht – ein interessantes, eigenwilliges Rollendebüt.
    Das Geschwisterpaar ist mit Daniela Sindrams kämpferischem Hänsel und Ileana Toncas klar klagender Gretel gut besetzt. Die beiden verirren sich getreu dem Textbuch im Wald, der vor allem aus schattigen, teils beweglichen Ästen besteht. Beim Schlafen unter freiem Himmel blickt ein gütiger Videomond auf das Geschwisterpaar herab. Das Knusperhäuschen ist hübsch pittoresk, die Hexenwohnung schön windschief und detailreich ausgepinselt.
    Rätselhaft bleibt, warum Regisseur Adrian Noble die Sache auf einer Weihnachtsfeier anno dazumal beginnen lässt. Man sieht sich Dias von Weltwundern wie der Großen Mauer oder dem Eiffelturm an, als plötzlich der Projektor Feuer fängt. Zwei kleine Kinder gucken neugierig in die Flammen und plötzlich taucht eine Hexe als Scherenschnitt auf. Danach öffnet sich der Raum und die beiden werden in die einschlägige Märchenwelt hinein gezogen, erscheinen dann jedoch nur noch einmal kurz in der Mitte und beim Erlösungsschluss.
    Es fehlt an konsequenter Umsetzung
    Dass Noble keine neue Deutung des Stücks liefern möchte, etwa wie einige seiner Kollegen das Thema Kindesmissbrauch in den Vordergrund stellt, geht ja in Ordnung. Wenn man allerdings nur eine Grundidee hat, sollte man diese zumindest konsequent umsetzen. Davon abgesehen ist diese Produktion gute Unterhaltung mit einigen tollen Bühneneffekten und dezenten Videoergänzungen – sauberes, britisches Regiehandwerk eben.
    Auf der Premierenfeier sagte Staatsopernintendant Dominique Meyer über den da offenbar bereits ins Hotel zurückgeeilten Christian Thielemann, man habe etliche weitere Pläne miteinander. Die Augen der sich an Schnitzel und Wein labenden Gäste glänzten daraufhin fast so sehr wie beim Anblick der von bösen Knusperhexereien befreiten Kinderlein.