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Ägypten
Die eiserne Faust des Generals

Unter Ägyptens Präsident Abd al-Fattah as-Sisi wird die Opposition erbarmungslos verfolgt. Schon der Verdacht, regimekritisch zu sein, könne Verhaftung und Folter nach sich ziehen, beklagen Kritiker. Internationale Beobachter gehen von mehr als 60.000 politischen Gefangenen aus.

Von Martin Durm | 25.01.2019
    Kairo: Häftlinge aus Gefängnis entlassen, 14. März 2017
    "Es kann jeden treffen, der irgendwie Kritik am Regime übt." - Im Bild: Ein Häftling wird in Kario aus der Haft entlassen (imago / Ahmed Gomaa)
    Sie haben ihn schon drei Mal abgeholt. Einmal zerrten sie ihn am helllichten Tag aus einem Straßencafé. Die beiden anderen Male nahmen sie ihn zuhause fest. Die Männer waren maskiert. Sie schlugen Türen und Schränke kaputt, nahmen mit, was sie kriegen konnten – Geld, Papiere, Computer – und verschleppten ihn dann mit verbunden Augen zur Staatssicherheit. Dreimal, sagt Amr, er habe gelernt, wie man Zeiten der Gefangenschaft übersteht:
    "Ich denke dann an alle, die ich liebe, die mir etwas bedeuten. Ich halte mich an Erinnerungen fest, an allem, was gut ist. Ich sage mir, dass mir das ja schon mal passierte und dass es auch diesmal vorbei gehen wird. Dass ich wieder frei kommen werde."
    Engagement für Menschenrechte als Verbrechen
    Im Ägypten des Jahres 2019 ist es fast nicht mehr möglich, Leute wie Amr zu treffen. Zu groß ist die Angst vor einem Regime, das weder Kritik noch Gegnerschaft duldet. Internationale Beobachter gehen von mehr als 60.000 politischen Gefangenen aus; nicht nur Moslembrüder, sondern auch liberale Politiker, Blogger, Journalisten oder NGO-Mitarbeiter wie Amr.
    Wir haben seinen Namen verändert, auch der Ort, an dem wir uns treffen, muss unbekannt bleiben. Nur soviel: Er ist Mitte 20, ein junger, weltoffener Mann, der nach seinem Studium an der Universität Kairo bei einer Menschenrechtsorganisation angestellt wurde. Das war sein Verbrechen.
    "Für eine NGO zu arbeiten, heißt, dass Du dafür früher oder später bestraft wirst", sagt Amr. Mich haben sie bei der Staatsicherheit erstmal zwei Stunden lang mit Stöcken geschlagen. Hals, Ohren, Bauch, Beine, überall… Sie haben mir mit einem Gewehrkolben die Nase gebrochen und mich dann mit Elektroschocks gefoltert. Danach brachten sie mich zum Staatsanwalt. Ich hab ihm gesagt, was sie mit mir gemacht haben. Er hat dann Untersuchungshaft angeordnet."
    Seit 2013 ist Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi an der Macht. Die Art, wie er sie ausübe, sei so brutal, dass er manchmal sogar dem gestürzten Autokraten Hosni Mubarak hinterher trauere, meint der Regimegegner Khaled Dawoud. Mubarak habe wenigstens noch ein wenig Luft zum Atmen gelassen:
    "Heute gibt es keinen Raum mehr für Leute, die sich für Menschenrechte engagieren oder für Oppositionsparteien oder für freie Medien", sagt Dawoud. "Seit Mai 2018 werden Blogger verhaftet, nur weil sie die politische Lage auf Facebook oder Twitter kommentierten. Leute kommen ins Gefängnis, weil sie etwas gepostet haben und man ihnen vorwirft, das sei ein Umsturzversuch. Es kann jeden treffen, der irgendwie Kritik am Regime übt."
    In der Haft gebrochene Menschen
    Die schiere Masse der Gefangenen stellt den Staatssicherheitsapparat vor ein Unterbringungsproblem. In den Jahren unter Sisi wurden nach Informationen von Amnesty International 19 neue Gefängnisse in Ägypten gebaut, zwei davon können angeblich insgesamt 30.000 Häftlinge fassen.
    "Zu uns kommen neben all den Folteropfern inzwischen auch viele junge Leute, die nicht mal mehr über die Gewalt in den Gefängnissen klagen", sagt Aida sei al-Dawla vom sogenannten Nadeem-Center.
    Das Zentrum für Folteropfer wurde vor zwei Jahren vom Staat dichtgemacht, aber seine Mitarbeiter betreuen noch immer traumatisierte Ex-Häftlinge in Kairo.
    "Wir haben es mit Menschen zu tun, die völlig orientierungslos sind. Sie waren zwei, drei Jahre eingesperrt und finden sich nicht mehr in der Welt zurecht. Ihnen ist alles fremd geworden, sie wissen nicht mehr, wohin mit sich."
    Ägypten – acht Jahre nach dem arabischen Frühling. Viele von denen, die 2011 auf dem Tahrir-Platz für ein freies, besseres Leben kämpften, wurden danach in Gefängniszellen gebrochen.
    Das Regime bestreitet die Vorwürfe
    Das sei alles erfunden, erklärt das Regime, es gebe keine systematische Folter, allenfalls ein paar Einzelfälle.
    "Die Regierung lügt", sagt Aida Seif al-Dawla. "Die Berichte der Opfer stimmen durchweg überein. Zum Beispiel, wie sie unabhängig voneinander die Ankunft in den Haftanstalten beschreiben: Wenn die Transport-Vans ankommen und sie aussteigen und reingehen müssen… sie nennen das 'Taschrifa' – Empfangsfeier."
    Amr hat das drei Mal erlebt:
    "Wenn Du ankommst, gibt es eine Empfangsparty – so nennen die das. Die Neulinge werden rasiert und entkleidet. Dann bilden die Wächter eine Art Gasse. Da müssen wir dann durch, während die Wächter mit Schläuchen und Elektrokabeln auf uns eindreschen. Sie meinen, wir sollten vom ersten Tag an die eiserne Hand des Regimes spüren."
    Gute Beziehungen zu Deutschland
    Vergangenen Oktober war Ägyptens Machthaber auf Staatsbesuch in Berlin. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz bezeichnete Kanzlerin Merkel die Beziehungen als "sehr eng und sehr vielschichtig". Dazu zählt auch die deutschen Rüstungsexporte, die im sich allein im Jahr 2017 auf 428 Millionen Euro beliefen. Ägypten zählt zu den Top-Empfängern deutscher Wehrtechnik außerhalb der EU; erst vor wenigen Wochen hat der Bundessicherheitsrat den Verkauf einer Fregatte im Wert von einer halben Milliarde Euro genehmigt. Es läuft gut für Sisi, sagt der Oppositionelle Khaled Dawoud, das Chaos in der arabischen Welt scheint sein Regime zu legitimieren:
    "Länder wie Syrien, Irak, Libyen, Jemen drohen zu zerbrechen. Also sagt Sisi seinen westlichen Gesprächspartnern, dass es nur sein autoritärer Regierungsstil ist, der Ägypten ein ähnliches Schicksal erspart. So verkauft er das. Er sagt: Ich bin in dieser Region der einzige Garant für Stabilität, zu mir gibt es keine Alternative. Aber wie sollte eine Diktatur Ägyptens Probleme lösen?"
    Amr ist seit einem Jahr wieder frei. Er bewegt sich vorsichtig in der Stadt, und er muss jederzeit damit rechnen, wieder verhaftet zu werden. Ohne Anklage, ohne Prozess, ohne etwas verbrochen zu haben. Wie beim letzten Mal.
    "Der, der mich folterte, sagte kurz vorher zu mir: 'Ich hab nichts Persönliches gegen dich, das Problem ist nur, dass sich hier unsre Wege kreuzen.' Er mache hier nur seine Arbeit, sagte er. Und bevor er anfing, fragte er noch: 'Glaubst Du an Gott.' Da hab ich 'ja' gesagt."