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Ägypten
"Es gibt keinen Grund, einen Mann wie Sisi zu loben"

Die meisten Flüchtlinge aus Afrika kommen über Libyen nach Europa. Die Situation dort ist auch Thema beim Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Ägypten. Nahost-Experte Michael Lüders bezweifelt aber, dass Ägypten Einfluss auf Libyen nehmen kann. Präsident Abd al-Sisi versuche dennoch, daraus Profit zu ziehen, sagte Lüders im DLF.

Michael Lüders im Gespräch mit Dirk Müller | 02.03.2017
    Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi
    Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi (AFP/ Simon Maina)
    Dirk Müller: Die Kanzlerin in der ägyptischen Hauptstadt. Gespräche mit Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi. Wie kann die Migration im Nahen Osten, in Afrika reduziert werden? Am Telefon begrüße ich nun den Politikwissenschaftler und Islamwissenschaftler Michael Lüders. Guten Tag.
    Michael Lüders: Schönen guten Tag. Hallo!
    Müller: Herr Lüders, ist das ein guter Verhandlungspartner für Deutschland?
    Lüders: Na ja, man kann sich die Verhandlungspartner nicht notwendigerweise aussuchen. Aber natürlich ist der ägyptische Präsident Sisi ein sehr harter Kandidat, denn er hat aus Ägypten ein Land gemacht, in dem es Freiheitsrechte eigentlich nicht mehr gibt. Es gab unter Mubarak schon wenig Freiheiten, aber unter Sisi gibt es noch sehr viel weniger. Es wird keinerlei Opposition geduldet. Es sitzen mindestens 40.000 Menschen, die meisten von ihnen ohne Anklage im Gefängnis. Menschen verschwinden täglich spurlos in Ägypten. Und vor allem betreibt die Regierung Sisi eine Wirtschaftspolitik, die nicht geeignet ist, die Probleme des Landes zu lösen. 90 Millionen Einwohner hat das Land, rund die Hälfte lebt am Rande oder unterhalb der Armutsgrenze. Arbeitsplätze werden kaum geschaffen und die Perspektiven für Ägypten sind in jeder Hinsicht düster.
    Der Nahost-Experte Michael Lüders.
    Der Nahost-Experte Michael Lüders. (Imago / allefarben-foto)
    "Alles sehr viel schlimmer geworden durch den Militärputsch"
    Müller: Demnach ist alles noch schlimmer geworden?
    Lüders: Es ist leider, muss man sagen, alles noch sehr viel schlimmer geworden durch den Militärputsch des Militärs im Sommer 2013. Seither hat die ägyptische Militärjunta – als solche muss man sie wohl ansehen – es nicht vermocht, einen Wirtschaftsplan aufzulegen, der etwa kleine oder mittelständische Unternehmen fördert oder sich Gedanken macht über die Frage, wie kann man Arbeitsplätze schaffen. Die Politik Sisis läuft darauf hinaus, eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die eigentlich nur die Interessen der oberen Zehntausend bedient. Vor allem sind es Angehörige des Militärs. Das Militär ist der größte Unternehmer im Land, der größte Großgrundbesitzer. Es besitzt zahlreiche Fabriken und Produktionsstätten. Gleichzeitig entwickelt sich aber im Lande nichts. Sisi weiß das alles auch, sagt sich aber, man wird uns schon nicht fallen lassen, weder die Staaten im Westen, noch Saudi-Arabien, der wichtigste Geldgeber Ägyptens, denn wir sind schlicht und ergreifend "too big to fail", genau wie bestimmte Banken auch. Niemand hat ein Interesse daran, dass Ägypten kollabiert mit seinen 90 Millionen Einwohnern.
    Müller: Sagt sich al-Sisi, sagen Sie gerade, Herr Lüders.
    Lüders: Ganz genau so.
    Müller: Und der Westen sieht das genau so, wie Sie es jetzt beschrieben haben?
    Lüders: Ich glaube schon, dass man in Kreisen der Bundesregierung erkennt, dass Ägypten ein schwieriger Kandidat ist. Aber andererseits glaubt man auch, mit Ägypten gute Geschäfte machen zu können. Wir erinnern uns vielleicht noch an den Besuch des damaligen Wirtschaftsministers Gabriel in Ägypten, der in Ägypten dann dem dortigen Militärmachthaber Sisi bescheinigte, doch eigentlich eine ganz interessante und gute Politik zu betreiben. Da hat er sehr viel Kritik für einstecken müssen. Aber nichts desto trotz: die wirtschaftlichen Interessen sind da. Es sind Milliarden-Investitionen getätigt worden deutscher Unternehmer. Das ist auch alles gut und richtig. Nur leider ist die ägyptische politische Führung nicht willens und nicht in der Lage, für eine gewisse Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen.
    Milliarden-Auftrag für Siemens in Ägypten
    Müller: Wenn Sie das gerade ansprechen, Michael Lüders. Wir hatten Sie, glaube ich, ein, zwei Minuten später erst erreicht. Wir haben zu Beginn der Sendung Sigmar Gabriel noch einmal zuhören können, tun wir vielleicht jetzt noch einmal:
    O-Ton Sigmar Gabriel: "Ägypten hat sich den Weg vorgenommen, das Land Schritt für Schritt zu demokratisieren, und dabei wollen wir Deutsche die Partner sein. Und ich finde, sie haben einen beeindruckenden Präsidenten."
    Müller: Ein beeindruckender Präsident. Wie hat er das gemeint, ernst gemeint?
    Lüders: Ja, da muss man ihn selber zu fragen. Ich denke schon, dass er diese Formulierung gewählt hat, vor allem, um den wirtschaftlichen engen Beziehungen Nachdruck zu verleihen. Vor allem hat die Firma Siemens dort einen Milliarden-Auftrag für die Energiegewinnung erhalten und setzt diesen Auftrag auch sehr kompetent um. Aber es offenbart im Umgang mit Ägypten doch, dass Politik immer so ein Drahtseilakt ist. Ägypten ist ein wichtiger Partner in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Aber man muss vielleicht den Bogen auch nicht überspannen. Es gibt keinen Grund, einen Mann wie Sisi zu loben, an dessen Händen nun wirklich viel Blut klebt.
    Müller: Heiligt das Geld immer noch die Mittel?
    Lüders: Diese Frage muss man den Politikern stellen. Man kann sich natürlich seine Geschäfts- und Gesprächspartner nicht immer aussuchen und natürlich ist ein Besuch in Finnland angenehmer als in Ägypten beispielsweise.
    "Militärische Interventionen helfen nicht"
    Müller: Die Geschäftspartner kann man sich doch aussuchen.
    Lüders: Sicherlich. Aber es gibt auch natürlich entsprechend Druck. Wir haben viele Probleme mit Ägypten, mit der Türkei und anderen. Und wenn wir uns vor Augen führen, dass Ägypten vor allem deswegen hofiert wird, weil es jetzt darum geht, die Flüchtlingsfrage irgendwie zu lösen – es gibt einen Flüchtlingsdeal mit der Türkei, jetzt soll es einen geben mit Ägypten, des Weiteren auch mit Tunesien -, dann stellt sich natürlich die Frage: Reicht es, immer nur die Symptome zu kurieren, oder muss man auch mal an die Ursachen herangehen? Wie kann eine konstruktive Partnerschaft mit den Ländern Nordafrikas aussehen? Das wäre eine Herausforderung, der zu stellen es sich lohnen würde. Die Militärputsche helfen nicht, die Dinge in eine ruhige Bahn zu bringen, ebenso wenig wie militärische Interventionen wie etwa im Nachbarland Libyen.
    Müller: Ist das das Faustpfand schlechthin von al-Sisi gegenüber Europa, dass er an einer Schlüsselstelle dort sitzt in Ägypten, wo er auch mit darüber bestimmt, wieviel Migration aus dem Nahen Osten in Richtung Europa kommt?
    Lüders: Ja! Auf jeden Fall weiß er, daraus Profit zu ziehen, denn er weiß, dass die Europäer ihn als Ansprechpartner brauchen, und das bedeutet, dass er natürlich finanzielle Forderungen stellen kann. Das ist für sich genommen auch gar nicht mal illegitim. Nur leider werden diese finanziellen Forderungen, die er stellt und die wahrscheinlich auch erfüllt werden, nicht dazu dienen, die Probleme Ägyptens zu lösen, sondern lediglich die vielen Löcher der Wirtschaftspolitik in diesem Land, die vor allem aus Inkompetenz besteht, zu stopfen. Es wird also kein Weg beschritten werden, der in eine bessere Zukunft für die Millionen arbeitsloser Ägypter weist, sondern es wird sich das Militär selber die Taschen einmal mehr füllen. Und Sisi spekuliert darauf wie erwähnt, dass niemand, auch Deutschland nicht Ägypten fallen lässt, weil das Land einfach zu wichtig ist. Nur es ist eine Illusion zu glauben, dass Ägypten etwa auf die Verhältnisse in Libyen einen konstruktiven Einfluss nehmen könnte. Das ist nicht der Fall.
    "Es gibt in Libyen keine verlässlichen Ansprechpartner"
    Müller: Herr Lüders, weil Sie einen Vergleich ziehen auch mit der Türkei. Da hat es einen Milliarden-Deal gegeben. Im Gegenzug müssen die Türken, sollen die Türken dementsprechend die Flüchtlinge aufnehmen, im Grunde auch dann bewirtschaften, sich um die Flüchtlinge kümmern. Im Großen und Ganzen funktioniert das ja zumindest aus westlicher Sicht, auch aus Berliner Sicht. Ist das mit Ägypten ausgeschlossen?
    Lüders: Na ja, die Flüchtlinge kommen überwiegend nicht aus Ägypten. Es gibt auch Flüchtlingsboote, die in Ägypten selbst ablegen. Die sind aber von der Zahl her sehr überschaubar. Es sind etwa 2.500 schätzungsweise Flüchtlinge, die es aus Ägypten direkt geschafft haben nach Italien oder nach Griechenland. Aber der große Flüchtlingsstrom kommt natürlich aus Libyen - einem Land, in dem es keine funktionierende staatliche Ordnung mehr gibt. Und die Bundesregierung versucht, in Zusammenarbeit mit Tunesien und Ägypten auf die Verhältnisse in Libyen gewissermaßen auf einem Umweg Einfluss zu nehmen. Ob das gelingt, da darf man sehr, sehr skeptisch sein. Es gibt in Libyen keine verlässlichen Ansprechpartner in der Politik. Es ist alles ein riesiges Chaos dort. Insofern ist die Herausforderung für die Bundesregierung, für die Europäische Union in Sachen Ägypten und in Sachen Tunesien sehr viel größer, als es das im Falle der Türkei war. Der Deal ist natürlich auch umstritten, aber die Türkei ist ein funktionierender Staat. Das ist im Falle Ägyptens, im Falle Libyens vor allem kaum noch der Fall.
    "Symptome kurieren, nicht an die Ursachen herangehen"
    Müller: Danach wollten wir Sie auch noch mal fragen: Wie groß ist denn der Einfluss, die Einflussmöglichkeit von Kairo in Richtung Tripolis, in Richtung eines Staates, der gar kein Staat mehr ist?
    Lüders: Na ja. In Tripolis haben wir mittlerweile drei Regierungen, die sich gegenseitig nicht anerkennen. Die kleinste und unbedeutendste Regierung, die Libyen hat, die in Tripolis, das ist die, mit der die Europäische Union versucht, Deals zu machen. Man muss nur wissen, dass diese Regierung gerade mal ein Gebiet kontrolliert, das ein paar Stadtteile von Tripolis, der Hauptstadt umfasst, die üblichen Landesteile nicht. Insofern ist es natürlich sehr kühn zu glauben, dass eine libysche Regierung da die Dinge unter Kontrolle bringen könnte. Einfache Lösungen in der Flüchtlingsfrage gibt es nicht. Wir ernten jetzt gewissermaßen den Fluch der bösen Tat, nämlich eines sehr problematischen Regimewechsels in Libyen, damals als Gaddafi gestürzt wurde 2011. Jetzt haben wir die Quittung. Militärinterventionen haben immer den Nachteil, dass man zwar möglicherweise einen unliebsamen Machthaber loswird, aber danach ein Riesenchaos ausbricht und nicht mehr die staatliche Ordnung gewährleistet ist. Und vor diesem Problem steht die Europäische Union und das ist in Sachen Libyen nicht wirklich zu lösen. Es ist ein schwarzes Loch und da werden noch große Herausforderungen für die Europäische Union sein in der Zukunft. Man denkt nach über militärische Einsätze auch. Kann man alles tun, aber man muss wissen: Es ist immer ein Kurieren an den Symptomen. Man muss erst mal anfangen zu begreifen, dass man über militärische Interventionen grundsätzlich nachdenken sollte. Sie sind keine gute Idee. Und natürlich muss man auch die Fluchtursachen aus Schwarzafrika zu bekämpfen beginnen, insbesondere beispielsweise die Zerstörung der dortigen Landwirtschaft durch subventionierte EU-Exporte nach Westafrika einstellen beispielsweise – das wäre eine Methode. Aber darüber wird in der Regel nicht nachgedacht. Es geht darum, die Symptome zu kurieren, aber nicht an die Ursachen heranzugehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.