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Ägypten ist "tief gespalten"

Das Konfliktpotenzial sei in Ägypten sehr hoch, sagt Philipp Spalek, der sich derzeit in Kairo aufhält. Die Menschen seien unzufrieden mit Präsident Mursi und wollten handfeste Reformen sehen. Eine politische Lösung sei angesichts der zersplitterten Opposition nicht in Sicht, so der Fotograf.

Philipp Spalek im Gespräch mit Jasper Barenberg | 29.01.2013
    Jasper Barenberg: Wieder schwere Auseinandersetzungen im Zentrum von Kairo, wieder Gewalt zwischen Polizei und Demonstranten. Bei den Zusammenstößen sind in den vergangenen Tagen insgesamt inzwischen 50 Menschen ums Leben gekommen. In Kairo, aber auch in anderen Städten geht der Machtkampf zwischen Präsident Mohammed Mursi und seinen Gegnern mit aller Härte weiter. Wichtige Repräsentanten der Opposition haben ein Gesprächsangebot des Präsidenten ausgeschlagen; gleichzeitig wächst der Zorn auf der Straße, denn Mursi wird künftig auch das Recht haben, die Armee einzusetzen, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen – wie früher zu Zeiten des Diktators Mubarak.

    Am Telefon begrüße ich den Journalisten und Fotografen Philipp Spalek. Wir erreichen ihn in Kairo heute Morgen. Schönen guten Morgen.

    Philipp Spalek: Guten Morgen.

    Barenberg: Herr Spalek, Sie waren ja auch gestern auf Demonstrationen in Kairo unterwegs. Was bringt die Menschen in Rage, mit denen Sie gesprochen haben?

    Spalek: Das ist ganz unterschiedlich. Zurzeit, wie ich das in Kairo sehe, geht der Protest hauptsächlich darum, dass es ökonomische Reformen gibt, dass es Reformen im Sicherheitsapparat gibt, aber auch um ganz einfache Dinge, dass die Leute Arbeit finden, dass die Leute genug Geld haben, um zu essen, und dass einfach man merkt, dass das Land irgendwie nach vorne kommt. Die Leute haben es sehr eilig nach der Revolution und wollen ganz, ganz schnell auch handfeste Entwicklungen sehen. Allerdings ist das natürlich sehr, sehr schwierig, nach Jahrzehnten von wirklich tiefen Problemen, die sich in Ägypten aufgebaut haben, und dieser Frust entlädt sich langsam, dass es nicht schnell genug geht.

    Barenberg: Sie wünschen sich wie viele Menschen auf der ganzen Welt einfach ein besseres Leben und sie sehen, dass Präsident Mursi da noch nicht geliefert hat in den vergangenen zwei Jahren.

    Spalek: Ja, das ist absolut richtig. Sie sehen, dass es irgendwelche kosmetischen oberflächlichen Schönheitsoperationen gibt, aber Mohammed Mursi und die Muslim-Bruderschaft hat eigentlich seit einem Jahr, ob das jetzt seit der Parlamentschaftswahl ist oder seit der Präsidentschaftswahl im Sommer, keine wirklich tief gehenden Reformen gezeigt. Auch der letzte nationale Dialog, der angeboten wurde während des Verfassungsreferendums beziehungsweise kurz davor, hat eigentlich nichts gebracht.

    Barenberg: Mursi hat ja angekündigt, dass er künftig auch die Streitkräfte einsetzen wird, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Diese zusätzlichen Befugnisse wurden ihm quasi schon genehmigt. Weckt das bei vielen Menschen denn Erinnerungen an die Jahrzehnte unter Mubarak?

    Spalek: Natürlich. Man merkt schon, dass der Schritt nicht allzu groß ist wieder wie unter Mubarak, dass man Notstandsgesetze erlässt, und man fühlt sich daran auch erinnert. Allerdings muss man dazu auch sagen, das klingt immer sehr, sehr groß, wenn die Streitkräfte eingesetzt werden in Ägypten. Allerdings, denke ich, hat die Armee auch ein geringeres Konfliktpotenzial auf der Straße. Das große Problem auf der Straße ist zurzeit das Problem zwischen den Menschen und der Polizei, und das eskaliert ganz schnell in Gewalt, während wenn die Armee auf der Straße ist und nicht die Polizei, nicht die Militärpolizei, sondern die Armee selbst, dann ist ein geringeres Konfliktpotenzial da, weil das Volk sich näher der Armee fühlt denn der Polizei.

    Barenberg: Das könnte, Herr Spalek, also durchaus eine positive Wirkung entfalten, wenn Präsident Mursi diese Möglichkeit nutzt in den nächsten Wochen und Monaten?

    Spalek: Es könnte sogar deeskalierend wirken, meiner Meinung nach, in einigen Provinzen beziehungsweise in einigen Städten. Die Frage ist allerdings, wie hoch ist das Gewaltpotenzial zurzeit. In Kairo zum Beispiel sieht man: Auch wenn Mohammed Mursi jetzt zu einem nationalen Dialog aufgerufen hat mit den Oppositionsparteien, der teilweise auch ausgeschlagen wurde von der nationalen Front, ist es natürlich sehr, sehr schwer, jetzt gerade eine politische Lösung zu finden, denn einige Leute, die dort auch auf der Straße sind, gerade in Kairo, haben keine wirklichen politischen Ziele, denn das Regime zu stürzen, und sie fühlen sich keiner politischen Organisation zugehörig, also eine Art schwarzer Block, der sich da teilweise bildet. Deswegen ist da von oben auch keine Lösung schnell zu erwarten.

    Barenberg: Mancher Beobachter, Herr Spalek, spricht ja davon, dass sich die Opposition radikalisiert. Ist das auch Ihr Eindruck?

    Spalek: Ich kann jetzt nur von Kairo reden, aber ja, teilweise schon. Das Gewaltpotenzial ist meiner Meinung nach zurzeit sehr, sehr hoch.

    Barenberg: Halten Sie es denn für klug, Sie haben es selber angesprochen, die Opposition schlägt das Gesprächsangebot aus, den Dialog. Halten Sie das für klug?

    Spalek: Halte ich schon, denn Mohammed el-Baradei hat selber gesagt, indem Mursi ihn einlädt und er sich in den Präsidentschaftspalast zu einem nationalen Dialog bewegt, kauft Mursi ein sehr verzerrtes Bild. Das heißt, nach außen hin wird präsentiert, dass Mursi den Dialog sucht und dass sich etwas verändern soll und dass er auch die Nähe zur Opposition sucht. Allerdings hat er selber gesagt, seit dem letzten Dialog, also im Dezember, hat sich gar nichts geändert. Also es sind alles nur irgendwelche kosmetischen Operationen, die dort durchgeführt werden, aber an sich dahinter verbirgt sich keine wirkliche Veränderung, hinter diesem Angebot, und da kommt auch nichts bei raus. Dementsprechend finde ich das auch sinnvoll, dass man so was ablehnt.

    Barenberg: Und das hat damit zu tun, dass die Glaubwürdigkeit insgesamt von Mursi gelitten hat, nicht nur was die Lebensbedingungen der Menschen angeht, sondern auch, was seine politischen Vorstellungen, seine politischen Pläne angeht?

    Spalek: Ja, das auf jeden Fall. Und ansonsten auf der Straße auch viele… Ich meine, man muss dazu sagen, die Leute, die auf der Straße sind, die Aktivisten, das ist auch nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung. Der große Teil sitzt auf der Couch zuhause und guckt sich das, was passiert auf der Straße, im Fernsehen an, und da verliert er auch langsam einen Ruf, denn er ist anscheinend nicht in der Lage, auch die Situation auf der Straße in den Griff zu kriegen.

    Barenberg: Haben Sie denn den Eindruck, dass es eine Alternative zu Mursi gibt, dass die Menschen, die dort demonstrieren, eine Person im Auge haben oder eine Gruppe, die ihrer Ansicht nach die Geschicke besser lenken könnte in Ägypten?

    Spalek: Nein. Ich bin zurzeit der Meinung, dass das Land ziemlich tief gespalten ist – jetzt nicht nur in zwei Teile, also pro und anti Muslim-Bruderschaft, sondern man hat ja auch schon vorher gesehen, bei den letzten Präsidentschaftswahlen, aber auch bei den Parlamentschaftswahlen: die Entscheidung zwischen den einzelnen politischen Gruppierungen ist sehr schwer. Es gibt wahnsinnig verschiedene Richtungen, ob das die Sozialisten, ob das die Liberalen sind, aber auch die Partei von Amanour und so weiter. Es ist gerade schwer, sich auch als Opposition auf irgendeinen Kandidaten zu einigen oder einen nationalen Einheitskandidaten sozusagen zu finden.

    Barenberg: Wenn das so ist, Herr Spalek, die große Unzufriedenheit mit der Bilanz von Präsident Mursi bisher, die große Zersplitterung der Opposition auf der anderen Seite und manchem auf der Straße, der sich radikalisiert, welche Entwicklung würden Sie sagen nimmt das Land in den nächsten Tagen, in den nächsten Wochen? Was erwarten Sie?

    Spalek: Das wird sich zeigen, wie der Sicherheitsapparat reagiert. Die letzten Tage wurde von beiden Seiten sehr, sehr stark provoziert. Tränengas wurde sehr, sehr niedrig gefeuert, das teilweise auch die Protestler am Kopf getroffen hat. Es wurde vom Sicherheitsapparat provoziert, dass die Leute auch weiter Steine schmeißen. Es wurden Beleidigungen ausgetauscht andererseits natürlich auch von den Demonstranten. Das heißt, es wird sich, denke ich, auf der Straße entscheiden, ob der Konflikt wirklich weitergeht und weiter eskaliert. Anders herum ist natürlich die Frage politisch, inwieweit ist Mohammed Mursi wirklich auch willig, ernsthafte Zugeständnisse an die Opposition zu machen. Das wird nun dieser nationale Dialog zeigen, der allerdings nicht so national ist, wie es nach außen dargestellt wird, denn der Großteil, Hamdin Sabahi, Mohammed el-Baradei und Amr Mussa, die die nationale Einheitsfront bilden, haben das Angebot abgelehnt. Also ich sehe für die nächste Zeit erst mal keine wirklich tief gehenden Entwicklungen, die politisch das Land aus dem Schlammassel rauskriegen könnten.

    Barenberg: Sagt der Journalist und Fotograf Philipp Spalek heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.