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Ägypten nach dem Sinai-Anschlag
Trauer, Wut und ein schwächelnder Präsident

Die Brutalität des Anschlags auf eine Moschee traf die Ägypter bis ins Mark. Ausgerechnet Staatschef Abdel Fattah al-Sisi, einst Feldmarschall der Armee, konnte bislang nicht für Sicherheit sorgen - das schafft Raum für Rivalen.

Von Carsten Kühntopp | 02.12.2017
    Ein Foto vom 25. November 2017 zeigt die Rawda-Moschee, etwa 40 Kilometer westlich der Hauptstadt des Nord-Sinai, El-Arish, nach einem Schusswaffen- und Bombenangriff.
    Ein Foto vom 25. November 2017 zeigt die Rawda-Moschee, etwa 40 Kilometer westlich der Hauptstadt des Nord-Sinai, El-Arish, nach einem Schusswaffen- und Bombenangriff. (AFP / STR)
    In der einen Hand eine Kerze, in der anderen einen ägyptischen Wimpel: In der abendlichen Innenstadt von Kairo sind Menschen zusammengekommen, um der Opfer des Anschlags auf eine Moschee im Nord-Sinai zu gedenken.
    "Wir wollen nur eines sagen: Der IS, diejenigen, die andere zu Ungläubigen erklären, die Wahhabiten − sie haben dieser Nation einen Gefallen getan. Ganz so, wie sie die Christen Ägyptens bombardiert haben, bringen sie jetzt die Muslime Ägyptens um − alle Ägypter sind ihr Ziel! Sie haben uns geeint, zwischen Muslimen und Christen gibt es keinen Unterschied, wir sind alle Ägypter."
    Die Moschee war die größte in Al-Rawda, mit dem Attentat verlor der Ort auf einen Schlag ein Viertel seiner männlichen Bevölkerung. Was die Gläubigen zum Ziel machte: Das Gebetshaus galt als sufistisch, und radikale Islamisten sehen Sufisten als Ungläubige.
    Präsident Abdel Fattah al-Sisi reagierte so, wie er auch früher schon auf Anschläge reagierte: mit militärischer Gewalt. Kampfflugzeuge hätten verschiedene terroristische Ziele zerstört, meldeten die Medien; die Luftwaffe unterlegte Aufnahmen startender Jets mit markiger Musik.
    Tiefsitzende Unzufriedenheit in Nord-Sinai
    Seit Langem ist der Nord-Sinai ein sehr unruhiger Teil des Landes. Mehrere hundert Polizisten und Soldaten sind dort während der vergangenen Jahre bei dem Versuch ums Leben gekommen, Militante niederzuringen. Dschihadisten gelang es, eine tiefsitzende Unzufriedenheit örtlicher Stämme mit der Regierung ausnutzen und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Das gipfelte darin, dass der IS den Sinai zu einer Provinz seines Kalifats erklärte.
    Einige Tage nach dem Überfall auf die Moschee legte al-Sisi nach. Bei einer Rede gab er dem Armeechef eine Frist von drei Monaten, um für Ruhe und Ordnung auf dem Sinai zu sorgen:
    "Mit der Gnade Gottes und dank der Anstrengungen von Armee und Polizei wird Ägypten Stabilität und Sicherheit (dort) zurückerlangen. Und sie können dabei jede brutale Gewalt, die nötig ist, anwenden."
    Trauer, Schock, Wut − die ganz besondere Brutalität des Anschlags traf die Menschen bis ins Mark. Deshalb bezweifeln nur wenige Ägypter, ob sich Terroristen, die Guerilla-Taktiken anwenden, tatsächlich mit den konventionellen Möglichkeiten einer Armee bekämpfen lassen. Ein Passant in Kairo:
    "Ich will eine Antwort, die abschreckt. Jeden Tag hören wir, dass jemand gestorben ist. Ich habe genug davon. Wir leben hier nicht im Dschungel, sondern dies soll eigentlich ein sicheres Land sein. Aber wo ist die Sicherheit, wo? Das kann nicht sein."
    Ein Schwergewicht will al-Sisi herausfordern
    Dass ausgerechnet Staatschef al-Sisi, einst Feldmarschall der Armee, für die verlangte Sicherheit bisher nicht sorgen konnte, schafft Raum für seine Rivalen − und das wenige Monate vor der Präsidentschaftswahl im Frühjahr. Zudem leidet al-Sisis Beliebtheit darunter, dass die einfachen Leute bisher nichts von der etwas besseren Lage der Wirtschaft spüren.
    Deshalb will nun Ahmed Shafiq gegen al-Sisi antreten. Als ehemaliger Ministerpräsident und einstiger Luftwaffen-General ist Shafiq ein politisches Schwergewicht. Bei der Wahl vor fünf Jahren unterlag er Mohammed Mursi nur knapp.
    In einer Videobotschaft kündigte Shafiq nun an, bald aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo er derzeit lebt, nachhause zurückzukehren. Und er sprach sich für ein freieres politisches Klima in Ägypten aus:
    "Ich glaube fest daran, dass in unserem Land jeder Erfolg, ob groß oder klein, nur möglich ist, wenn wir ein ziviles, demokratisches und stabiles Regierungssystem haben, das sich auch der Kritik und der Überprüfung aussetzen muss."
    Ob es an der Wahlurne tatsächlich zu einem Duell zwischen al-Sisi und Shafiq kommen wird, ist aber fraglich. Denn noch hat der Präsident nicht erklärt, ob er wirklich wieder antreten möchte. Und Shafiq könnten Korruptionsvorwürfe, die die Justiz nach seiner Rückkehr aus der Schublade holen dürfte, zum Verhängnis werden.