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Ägypten
Rolle rückwärts Richtung Russland

Im vierten Jahr der Arabellion sind die Übergangsphasen zwischen Diktatur und Demokratie in den Ländern Nordafrikas längst nicht abgeschlossen. In Ägypten sitzen die säkulären Aktivisten teilweise in Gefängnissen, die Muslimbruderschaft wurde als Partei verboten. Dennoch ist Bewegung in der Politik.

Von Jürgen Stryjak | 22.02.2014
    Im vornehmen Stadtteil Kairos, Garden City, werden am 18.12.2013 in einer Konditorei Pralinen mit dem Konterfei des Oberbefehlshaber Ägyptens, Abdel Fattah al-Sisi, verkauft
    Ein Beispiel für den Personenkult um al-Sisi: Pralinen mit seinem Konterfei (picture alliance / dpa / Sebastian Backhaus)
    Die kleine, aber laute Gruppe Demonstranten protestiert hier in Kairo gegen Militärregime und Muslimbruderschaft gleichzeitig. Sie gehört zu jener Minderheit, die zwischen den Fronten steht. "Nein zur Polizei und nein zur Bruderschaft", rufen die Leute.
    Dann zünden sie eine US-Flagge an, denn Washington, so glauben sie, unterstützt das Militärregime von Feldmarschall Al-Sisi. Die Stimmung ist antiwestlich.
    Unübersichtliche außenpolitische Symphatien
    Das ist sie aber auch auf Demonstrationen der Anhänger von Al-Sisi, wenn auch aus dem entgegengesetzten Grunde. Hier glaubt man, die USA unterstützten die Muslimbruderschaft. Die außenpolitischen Sympathien und die Vorwürfe an das Ausland sind derzeit ziemlich unübersichtlich in Ägypten.
    Einer, der davon profitiert, ist Russlands Präsident Putin. Auf Demonstrationen der Sisi-Anhänger werden Plakate gezeigt, auf denen US-Präsident Obama und Putin nebeneinander zu sehen sind. Obama ist durchgestrichen. Daneben steht: "Bye bye America." Die trotzige Botschaft lautet: Wenn Obama nicht verstehen will, warum Al-Sisi unser Held ist, dann suchen wir uns eben einen anderen Freund. Und der heißt Putin.
    Eman Ragab vom Ahram-Zentrum für politische und strategische Studien und Beraterin am Regionalen Zentrum für Strategische Studien in Kairo beschreibt die wieder erwachte Freundschaft zwischen Kairo und Moskau etwas sachlicher:
    "Diese reaktivierte Beziehung ist ein Produkt der Umgestaltung der Außenpolitik Ägyptens. Seit der Revolution vom 30. Juni baut Ägypten Beziehungen zu neuen Mächten auf, zum Beispiel zu China und Russland. Man will nicht mehr nur von den USA abhängig sein."
    Militärchef Al-Sisi riss die Macht in Ägypten an sich
    In Folge der Massendemonstrationen gegen Mursi vom 30. Juni riss Militärchef Al-Sisi die Macht in Ägypten an sich. Seitdem wird außenpolitisch umorientiert. Das lässt ziemlich groteske Konstellationen entstehen – zum Beispiel als Ägypten jüngst für zwei Milliarden US-Dollar Waffen in Russland bestellte. Weil Ägypten eigentlich fast pleite ist, erhält es Milliardenhilfen aus Saudi-Arabien. Und trägt gleichzeitig Geld für Waffen nach Russland. Aber Russland unterstützt Syriens Machthaber Assad dabei, die Rebellen zu bekämpfen, die wiederum Geld aus Saudi-Arabien erhalten. Das ist an Absurdität kaum zu überbieten, verdeutlicht aber gut den gespenstischen Pragmatismus, der derzeit in der Region um sich greift.
    "Diese neuen taktischen Allianzen, glaubt Eman Ragab, werden mittelfristig den Nahen Osten prägen. Die Fachliteratur über das politische Gewebe in der Region wird wohl neu geschrieben werden müssen."
    Bleibt die Frage, ob Ägypten die Außenpolitik der sechziger Jahre neu inszeniert, als Gamal Abdel-Nasser an der Macht war und sich dem "antiimperialistischen" Osten zuwandte. Feldmarschall Al-Sisi wird ja von vielen im Land als Wiedergänger Nassers gesehen.
    "Die Allianzen im Nahen Osten verändern ihre Natur. Anstelle von ideologischen Partnerschaften treten pragmatische, taktische Bündnisse. Die Staaten suchen mit Mächten wie Russland oder den USA gemeinsame Interessen, sind aber gleichzeitig in anderen Punkten unterschiedlicher Meinung."
    Ägypten und die Sowjetunion waren in den Sechzigern ideologische Verbündete. Heute lautet das Motto also wohl eher: Eine Hand wäscht die andere. Was also will Al-Sisi von Putin?
    "Vor allem diplomatische Unterstützung für die Übergangsregierung, die er selber eingesetzt hat, und für den nächsten gewählten Präsidenten, der vermutlich Al-Sisi heißen wird. Er erwartet, dass Russland diese Entwicklung unterstützt, zum Beispiel bei den Vereinten Nationen. Immerhin sind die USA und Europa skeptisch, wenn es um die Vorstellung geht, dass ein Militärchef Ägyptens neuer Präsident wird."
    Darüber hinaus erwarte Al-Sisi wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie Kooperation beim Kampf gegen islamistische Extremisten.
    Marketing-Coup in Moskau
    Einen Marketing-Coup konnte Al-Sisi jüngst in Moskau bereits landen.
    Putin erklärte, der ägyptische Militärchef habe ihm anvertraut, dass er Präsident werden möchte. Das sei eine verantwortungsbewusste Entscheidung. Putin wünsche ihm viel Erfolg.
    Al-Sisi selber hatte es bislang offengelassen, ob er tatsächlich kandidieren wird. Jetzt gibt mit Putin ein "starker Mann" einem anderen "starken Mann" seinen Segen. Besser kann es für Al-Sisi gar nicht kommen – wo doch von allen Rufen in Ägypten, die derzeit ertönen, der nach einem "starken Mann" der lauteste ist.
    In Kairo beteuert man unterdessen, dass Ägyptens Annäherung an Moskau keinesfalls die Abkehr vom Westen bedeute.
    "Ich sehe, dass wir unsere Beziehungen zu Russland deutlich verstärken", betont Außenminister Nabil Fahmy. "Aber sie sind keine Alternative zu unseren Beziehungen mit anderen Staaten. Es geht uns um die freie Wahl. Zehn Optionen sind besser als eine. Am Ende muss jeder seine eigene Kalkulation aufstellen."
    Oder anders formuliert: Die Brautschau ist eröffnet. Wir erwarten auf dem Heiratsmarkt Eure Morgengaben und Angebote, buhlt um uns!
    In Washington, wo man die Entwicklung am Nil als Gefahr für die Demokratie betrachtet und immer wieder kritisierte, hat man die Botschaft womöglich längst verstanden. Bereits im November schmeichelte Außenminister John Kerry den neuen Machthabern in Ägypten. "Der Fahrplan zur Demokratisierung wird", sagte Kerry in Kairo, "nach allem, was wir sehen, eingehalten."