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Älter als gedacht?
Chinesische Forscher finden fossile Vielzeller

Vor 1,8 Milliarden Jahren wurden auf der Erde die Voraussetzungen für die Evolution geschaffen. Bisher glaubte Paläontologen, dass diese Entwicklung im Verborgenen ablief, aber eine Entdeckung aus China könnte diese Bild nun ändern.

Von Dagmar Röhrlich | 18.05.2016
    Zu sehen sind Fossilienfunde aus Nordchina, die rund 1,56 Milliarden Jahre alt sind
    Die Fossilien aus dem Yanshan-Gebiet in China sind rund 1,56 Milliarden Jahren alt (Nature Communications)
    Fossilien, die mit bloßem Auge zu sehen sind, tauchen recht spät in der Erdgeschichte auf: Von ein paar Ausnahmen abgesehen, begann die Evolution erst vor rund 630 Millionen Jahren auf Größe zu setzen. Doch Fossilien, die im Yanshan-Gebiet in Nordchina entdeckt worden sind, bringen es mit 1,56 Milliarden Jahren auf mehr als das doppelte dieses Alters.
    "Wir haben insgesamt eine Kollektion von 200 Fossilien, die bis zu 8 Zentimeter breit und 30 Zentimeter lang sind. 53 dieser Fossilien weisen klare Formen auf: Sie sind gerade wie Gürtel, keil- oder zungenförmig. Ihre Umrisse sind immer scharf begrenzt. Im Grunde sehen sie aus wie der Seetang heute."
    Für Maoyan Zhu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Nanjing steht fest, dass diese rätselhaften Lebewesen große, mehrzellige Eukaryoten waren - also Lebewesen mit Zellkern, zu denen die Pantoffeltierchen ebenso gehören wie Menschen.
    "Wir interpretieren diese Organismen nicht als Kolonie von Einzellern, sondern als mehrzellige Lebewesen, als so etwas wie Seetang. Sie betrieben wahrscheinlich im flachen Bereich eines Meeres mit sehr klarem Wasser Photosynthese. Einige Fossilien zeigen Strukturen, die so aussehen, als hätten sie sich damit am Meeresboden verankert."
    Mit rund anderthalb Milliarden Jahren lebten diese Organismen zu einer Zeit, aus der die bislang ältesten überhaupt bekannten Eukaryoten stammen: Das sind allerdings mikroskopisch kleine Einzeller. Trotzdem ist Andrew Knoll von der Harvard-University überzeugt, dass diese flachen, klingenförmigen Strukturen keine Bakterienkolonien waren:
    "Schon allein Größenstatistik und Form schließen aus, dass es sich um Fragmente von Bakterienmatten handeln könnte. Unserer Meinung nach handelt es sich sicher um mehrzellige Eukaryoten. Allerdings nicht um komplexe Eukaryoten wie Tiere, sondern um sehr einfache, ohne ausdifferenzierte Gewebe oder Organe. Wir wissen, dass solche einfache Formen mehrfach im Lauf der Erdgeschichte entstanden sind, gut über 20 Mal."
    Der Sprung von einzelligen Eukaryoten zu einfachen mehrzelligen sei offensichtlich klein, urteilt Andrew Knoll. Auch heute bestehe Tang lediglich aus fast identischen Zelllagen:
    "Der Grund, dass wir diese Organismen für Eukaryoten halten, ist einfach der, dass wir aus der Bakterienwelt nichts kennen, was in einer ähnlichen Form auftritt. Am ehesten gleichen sie einfachen, vielzelligen Eukaryoten."
    Nick Butterfield von der University of Cambridge, der nicht zu der Forschergruppe gehört, hat sich die Arbeit angesehen. Er ist von der Argumentation seiner Kollegen nicht wirklich überzeugt:
    "Verstehen Sie mich nicht falsch, diese Fossilien sind interessant. Aber ich glaube, dass das letzte Wort darüber, noch nicht gesprochen ist, ob es wirklich mehrzellige Eukaryoten sind. Wir kennen heute eine Gattung von Cyanobakterien, die große, scharf begrenzte und regelmäßige Kolonien bildet. Ich sage nicht, dass die Fossilien in diese Gattung gehören, denn ihr Aufbau ist anders. Aber eine solche Möglichkeit muss sicher ausgeschlossen werden, ehe wir davon reden, dass es vor 1,56 Milliarden Jahren so etwas wie großen mehrzelligen Seetang gegeben hat."
    Es ist also umstritten, ob diese Fossilien nun von Bakterienkolonien stammen - oder von mehrzelligen Eukaryoten. Und damit gesellen sie sich zu den vielen anderen Funden aus der Zeit vor der Entstehung der Tiere, über deren Natur sich die Paläontologen uneins sind.