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Älterwerden
Stilvoll in die besten Jahre

Manche Menschen werden nicht alt, sie werden zum Klassiker. Falten bekommen sie wegen des Vintage-Looks. Die Journalistin Susanne Mayer ermutigt in ihrem neuen Buch "Die Kunst, stilvoll älter zu werden" dazu, den Verlust von Schönheit im Alter anteilweise durch Eleganz zu ersetzen.

Von Barbara Sichtermann | 17.06.2016
    Ein älteres Paar hält am Silvesterabend eine Flasche Champagner in der Hand
    Älterwerden mit Stil (imago/Westend61)
    Wenn man dieses Buch zur Hand nimmt, sollte man vorweg ein erlesenes Parfüm und nach Möglichkeit handgenähte Schuhe tragen, außerdem ein Glas edlen Champagners in Reichweite, sonst könnte es geschehen, dass die Lektüre mit einem Sturz des Selbstwertgefühls einhergeht. "Die Kunst, stilvoll älter zu werden", heißt das Buch von Susanne Mayer, und es enthält eine Fülle von Anregungen, sich in dieser Kunst rechtzeitig zu üben. Schließlich gibt es machbare und käufliche Schönheit auf dieser Welt, die nicht mit dem Alter dahinwelkt, die auch die betagte Dame und den Herrn knapp jenseits der besten Jahre noch zum Blickfang aufwertet.
    Man muss allerdings ein Bewusstsein für stimmige Farbkombinationen, ein Gefühl fürs Material von Sakkos, Pumps, Schmuck und Wäsche sowie einen hervorragenden Friseur haben, um in dieser Liga der schicken Alten oder tollen Alternden mitzuspielen. Und man sollte über eine gewisse Weltläufigkeit verfügen, also etwa in Manhattan, Paris, Florenz, Stockholm und Phnom Penh häufig zu Gast sein und Freunde haben, die auch älter werden und darüber reden mögen. Zum Beispiel Karl, den Mayer als "Stilikone" vorstellt.
    "Man kann Karl überall antreffen, in Genua an der Riviera oder in Turin, in Berlin sowieso, natürlich in London. Wir haben uns in Hamburg verabredet, im 'Paris', eine Alternative zu in Paris, wo Karl auch schon fast zu Hause ist. Alles an Karl sitzt. Die schmal geschnittene, sich nach unten verjüngende Hose in einem minimalen Schwarz-weiß - besser gesagt: Dunkel-Hell-Würfelmuster, wie eine ironische Anspielung auf die Arbeitskleidung eines Kochs. Zur klein gemusterten Hose trägt Karl heute schwarze Merinowolle, eine wirkliche Überraschung. Ihm sei ja ein ganzes Leben lang Wolle eher unangenehm gewesen. Pullover überhaupt. Aber bei diesem Exemplar sind die Nähte sichtbar nach außen genäht, was den Pullover qualifiziert für die feine Kategorie der für den Karl'schen Stil typischen auffälligen Unauffälligkeiten. Er weist mit zierlich aufgesetztem Finger auf das diskrete Perlmuster hin."
    Der alternde Dandy
    Es ist klar, dass ein alternder Mensch, der sich derart leidenschaftlich mit dem schönen Schein beschäftigt, gar nicht dazu kommt, den Verfall seines Körpers überhaupt zu bemerken, schließlich bleiben das Clair-obscur des Würfelmusters und die feine Kategorie der auffälligen Unauffälligkeiten intakt, und man darf sich darin spiegeln. Karl zitiert gern Oscar Wilde: "Nur oberflächliche Menschen urteilen nicht nach den Äußerlichkeiten", und er lässt diese Worte ganz so in das Flair des Hamburger Café Paris hineinfallen, als seien sie von ihm selbst. Ein paar fremde Federn gehören zum besten Schmuck.
    Über weite Strecken wundert man sich schon, mit wie viel Akribie die Autorin die einschlägigen Valeurs aus der Welt der Mode, des gelungenen Auftritts, der feinen Küche und der Gartenkunst schildert, allein ihre Farbenlehre weckt Bewunderung oder auch Ungeduld je nachdem, ob man gar nicht genug kriegen kann von all den tollen Sachen, mit dem der alte Mensch seine Fassade ausstaffieren und seine Lebensfreude steigern kann oder ob man auf andere Problemfelder überwechseln möchte. Erst mal heißt es: Geduld. Und ein paar "Übungen zum Wahrnehmen älterer Damen und Herren".
    "Café Paszkowski, Florenz. Sie steht an der kurzen Seite der Bar. Eine Frau im weißen Wollmantel, dazu eine weiße Schlumpfmütze verwegener Eleganz. - Jenisch Park, Hamburg. Kleine, runde Frau. Sie trägt zitronenfarbene Hotpants und darüber eine Bluse aus bronzefarbener gesmokter Seide, die sich eng um ihren Busen und die darunterliegenden Kugeln schmiegt. Haare in Apricot. - Hauptbahnhof Berlin. Dame, sehr schlank, im pudrig weiß-rosafarbenen Seidenmantel, dazu eine Dreiviertelhose in Burgundrot. Wehender Schal aus blauroter Seide."
    Was ist geblieben?
    Nun weiß man ja, Susanne Mayer schreibt nicht für die "Vogue", sondern ist Redakteurin der Wochenzeitung "Die Zeit", da müsste also noch mehr kommen. Und es kommt. In ihre lange Trostrede über den Verlust von Schönheit im Alter, der anteilweise eben durch Eleganz und "Stil" zu ersetzen sei, ist eine kleine Mayer-Biografie in Teilstücken eingestreut. Was hat frau nicht alles ändern wollen, als das Leben anfing, und wie wenig ist davon in Erfüllung gegangen! Immerhin etwas - hie und da. Aber im Grunde nicht genug. Oder? Mayer versteht es sehr gut, das Ungefähre, Halbe, Bruchstückhafte, das eine Lebensbilanz ausmacht, deutlich zu machen, besonders wenn es um Fragen großer sozialer Reichweite geht wie die Emanzipation. Sie schafft das durch immer neue Einschränkungen und Abstriche, Rückverweise und Gegenbeispiele, durch ein Mäandern der Gedanken, die Erfreuliches gegen Enttäuschendes halten und dann still im Zweifel stecken bleiben.
    "Ich lese seit Jahren in der Zeitung, dass Frauen es jetzt nach oben schaffen. Es ist sagenhaft, wie viele tolle Jobs es gibt, die erstmalig von einer Frau eingenommen werden. Die Zahl der Professorinnen hat sich hochgeschraubt, von fünf oder acht Prozent (als ich studierte) auf sagenhafte 20 Prozent (wo meine Kinder jetzt studieren). Ja, bravo! Ich habe mitbekommen, dass es jetzt sogar eine Frau gibt, die nach der Geburt ihrer Zwillinge gleich wieder an ihrem Topmanagement-Job bei Yahoo auftauchte. Ich weigere mich, das für einen Fortschritt zu halten."
    Alterstypische Resignation? O nein, wie auch in Sachen schöner Schein ist Mayer bei der Frage nach der Zukunft der Emanzipation streng, gerecht und noch voller Hoffnung. Ihr Ausweg, einstweilen: Sie nimmt es mit Humor. Und mit Gelassenheit. Das ist das Geheimnis von "Die Kunst, stilvoll älter zu werden". Das Buch benennt viele bittere Wahrheiten. Aber meistens so, dass man lesend schmunzeln darf.
    Susanne Mayer: "Die Kunst, stilvoll älter zu werden. Erfahrungen aus der Vintage-Zone"
    Berlin Verlag 2016, 224 Seiten