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Ärger um Kauder-Drohungen
"Das disqualifiziert die parlamentarische Arbeit"

Mit seiner Drohung, Bundestagsabgeordnete, die gegen Verhandlungen über ein neues Griechenland-Hilfspaket gestimmt hätten, würden aus wichtigen Bundestagsausschüssen abgezogen, habe Unionsfraktionschef Voker Kauder überreagiert, sagte Martin Morlok von der Uni Düsseldorf im DLF. Ein solches Vorgehen würde der Arbeitsaufteilung der Fraktion widersprechen.

Martin Morlok im Gespräch mit Christiane Kaess | 10.08.2015
    Martin Morlok
    Martin Morlok (imago/Karina Hessland)
    Christiane Kaess: Dass eine Fraktionssprecherin jetzt an Stelle von Unions-Fraktionschef Volker Kauder zurückrudert, der habe nicht die Absicht, Abgeordnete aus einem Ausschuss abzuziehen, das kommt offenbar zu spät. Die Aufregung ist bereits groß darüber, dass Volker Kauder gedroht hat, die Unions-Abgeordneten, die bei den Griechenland-Hilfen mit Nein gestimmt haben, könnten nicht in Ausschüssen bleiben, in denen es darauf ankommt, die Mehrheit zu behalten, etwa im Haushalts- oder Europaausschuss des Bundestages.
    Darüber sprechen möchte ich jetzt mit dem Politikwissenschaftler Professor Martin Morlok von der Universität Düsseldorf. Guten Tag, Herr Morlok.
    Martin Morlok: Guten Tag, Frau Kaess! - Wenn ich Sie gleich korrigieren darf: Ich bin im Schwerpunkt Jurist.
    Kaess: Danke schön! - Herr Morlok, hat sich Volker Kauder da zu weit aus dem Fenster gelehnt?
    Morlok: Ja. In der Sache hat er sicher eine grenzwertige Äußerung gemacht. Ich meine, das Verhältnis zwischen Abgeordneten und Fraktionen, das ist ein sehr spannendes Verhältnis, in dem nicht alles bis aufs letzte Komma rechtlich fixiert ist. Aber eines ist klar: Die Freiheit der Abgeordneten, abzustimmen wie sie wollen, die steht in der Verfassung. Die Rechte der Fraktionen sind nur abgeleitet von Abgeordnetenrechten und haben geringeren Rang, stehen nur in der Geschäftsordnung. Insofern ist im Zweifelsfall der Abgeordnete in einer stärkeren Position.
    Kaess: Wir haben ja gerade ein paar Reaktionen schon gehört, die auch zum Teil sehr scharf sind. Der CDU-Abgeordnete Alexander Funk, der sagt zum Beispiel, Kauder disqualifiziert sich als Vorsitzender. Kann man so weit gehen?
    Morlok: Ja das ist natürlich eine einseitige Stellungnahme. Die Aufgabe eines Fraktionsvorsitzenden ist, die eigene Fraktion zusammenzuhalten, und da sind viele Individualisten. Das ist eine schwierige Aufgabe. Und man muss auch sehen: Unser Parlament braucht Fraktionen. Die Welt ist so kompliziert geworden, dass man keine vernünftige Politik mehr machen kann, wenn man nicht auf wenige Gebiete sich spezialisiert hat. Wer Spezialist ist für ein Gebiet, kennt sich auf anderen Gebieten nicht aus. Er soll aber abstimmen über alle Fragen und das kann nur dadurch ausbalanciert werden, dass sich ein Fraktionsmitglied in den Fragen, in denen er nicht Spezialist ist, auf die gleich gestimmten Abgeordneten, sprich die Abgeordneten der eigenen Fraktion verlässt. In aller Regel ist das Abstimmen mit der eigenen Fraktion schlicht die Folge der Logik der Arbeitsteilung.
    "Abgeordnete brauchen Mut vor den Thronen der Fraktionsvorsitzenden"
    Kaess: Jetzt haben wir aber einen ganz speziellen Fall hier, wo das offenbar etwas schwieriger ist. Die Meinungsfreiheit, die Sie angesprochen haben, der Abgeordneten im Grundgesetz und daneben die Fraktionsordnung, steht sich das gegenseitig im Weg?
    Morlok: Das ist ein Reibungsverhältnis. Das kann man nicht bestreiten, dass das ein Konflikt ist, und in diesem Konflikt muss man suchen, wie können beide Interessen in Einklang gebracht werden. Sehen Sie, im Ausschuss wird die Detailarbeit geleistet, und es ist ein legitimes Ziel einer Fraktion, dass im Ausschuss im Ergebnis so abgestimmt wird, wie auch die Mehrheitsverhältnisse im Plenum sind. Wenn im Ausschuss nämlich anders abgestimmt würde als hinterher im Plenum, dann könnte man die ganze Ausschussarbeit vergessen. Also es ist ein legitimes Schutzgut, dass im Ausschuss die Plenarmehrheit auch erhalten bleibt. Nur: Im Ausschuss soll ja nicht nur die vorgegebene Linie der Regierung oder des Fraktionsvorsitzenden durchgesetzt werden, sondern dort soll ja die Sacharbeit gemacht werden. Da braucht es Spielraum für die Argumente der Abgeordneten, eben auch für abweichende Argumente der Abgeordneten. Also zu sagen, ihr dürft im Ausschuss nicht gegen den Stachel löcken, das disqualifiziert ja die parlamentarische Arbeit.
    Kaess: Und in diesem Zusammenhang sagt zum Beispiel die CDU-Abgeordnete Veronika Bellmann, wenn immer alle Neinsager entmachtet werden, hat die Union bald ein Besetzungsproblem. Glauben Sie, diese, ich nenne es mal, Einschüchterung von Volker Kauder, die wirkt?
    Morlok: Ohne Wirkung bleibt sie sicher nicht. Aber da muss man sagen, Abgeordnete brauchen auch Mut vor den Thronen der Fraktionsvorsitzenden. Die Abgeordneten haben eine rechtlich starke Stellung, aber Rechte muss man auch verteidigen und sich darauf besinnen. Im Übrigen: Meine Position ist ein bisschen raffiniert. Ich würde sagen, ein Abgeordneter, der ständig im Ausschuss gegen die Fraktion sich stellt, der kann abberufen werden, weil dieses arbeitsteilige Verhalten nicht möglich ist. Aber für unzulässig halte ich eine Abberufung aus einem Ausschuss wegen der Stimmabgabe im Plenum. Das stört ja nicht die Funktionslogik. Also Schutzgut ist die Arbeitsfähigkeit der Ausschüsse, aber nicht die Einheitlichkeit der Fraktion im Plenum.
    Morlok: Kauders Vorschlag wäre politisch nicht durchzuhalten
    Kaess: Wie erklären Sie sich diese Äußerung von Volker Kauder? Steht da eine gewisse Nervosität dahinter?
    Morlok: Ja, offensichtlich. Ich meine, wir haben ja eine erhebliche Anzahl (von 60 spricht man ja) Abgeordneten, die sich anderweitig geäußert haben, und da hat er offensichtlich ein bisschen überreagiert. Im Übrigen muss man auch Folgendes sehen: Ich erinnere an die Logik der Arbeitsteilung. Wenn man Spezialisten im Parlament hat, wie sieht das denn aus, wenn ich ausgerechnet die Spezialisten von den schwierigen Ausschüssen, von den schwierigen Fragen abziehe. Wie will man der Öffentlichkeit erklären, dass diejenigen, die sich seit Jahren mit Griechenland-Hilfe beschäftigt haben, genau diejenigen sind, die nicht mehr im Ausschuss sein sollen. Das ist politisch nicht durchzuhalten.
    Kaess: ... sagt Martin Morlok. Er ist Professor an der Universität Düsseldorf. Danke für diese Einschätzungen.
    Morlok: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.