Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Ärztekammer-Präsident nach NC-Urteil
"Einheitliche Assessment-Center müssen eingeführt werden"

Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery begrüßt das Urteil zum Medizin-Numerus-Clausus. Im bestehenden System hätten sich viele Ungerechtigkeiten eingeschlichen, sagte er im Dlf. Anstelle der unterschiedlichen Vergabeverfahren müsse es bundeseinheitliche persönliche Auswahlgespräche geben.

Frank Ulrich Montgomery im Gespräch mit Sandra Pfister | 19.12.2017
    Der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery spricht am 23.01.2016 in Berlin zu den Teilnehmern des Außerordentlichen Deutschen Ärztetages.
    Der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery (dpa / picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Das Bundesverfassungsgericht sagt, der NC für Medizin ist grundsätzlich okay, es dürfen weiterhin die Besten eines Jahrgangs ausgesucht werden und auch die Wartesemester dürfen Bestand haben. Aber im Detail muss sich eine ganze Menge ändern. Das schauen wir uns jetzt mal genauer an mit Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, und gleich auch noch mit Wilhelm Achelpöhler, Studierendenanwalt, der schon vielen Abiturienten geholfen hat, sich im Studium einzuklagen. Erst mal Herr Montgomery! Sie als Arzt, wie bewerten Sie dieses Urteil?
    Frank Ulrich Montgomery: Ja, erst mal guten Tag! Also das Urteil betrachte ich als einen großen Erfolg nicht nur der Kläger, sondern auch des Systems. Weil es haben sich wirklich in der letzten Zeit in das System viele Ungerechtigkeiten eingeschlichen und die kann man jetzt ausbügeln und man kann dafür sorgen, dass wir wieder chancengerechte Zugangsmöglichkeiten zum Medizinstudium haben. Deswegen beurteilen wir das Urteil als einen klaren Erfolg.
    Vergleichbare Abiture oder Ausgleichsmechanismus
    Pfister: Gehen wir mal Punkt für Punkt vor! Es bleibt dabei, dass die mit den besten Abiturnoten auf jeden Fall das Rennen machen können. Ist das für Sie in Ordnung?
    Montgomery: Ja, wobei das Urteil ja auch klare Hinweise darauf enthält, dass der große Unterschied der Abiturnoten bei uns in Deutschland ein bildungspolitisches Problem darstellt. Wenn Sie mal bedenken, dass in Bayern nur 30 Prozent eines Jahrgangs Abitur machen, in Hamburg aber 60, und dass in Thüringen 34 Prozent der Abiturienten ein Einser-Abitur haben und in Niedersachsen nur 17, dann ist Ihnen klar, dass Sie entweder diese bildungspolitische Kleinstaaterei aufgeben müssen und vergleichbare Abiture schaffen müssen oder aber Ausgleichsmechanismen vorsehen müssen, um diese Ungerechtigkeiten, diese Chancenungleichheit in den einzelnen Bundesländern auszugleichen. Dazu hat der Gesetzgeber jetzt bis zum 31.12.2019 Zeit.
    Pfister: Halten Sie das für realistisch, dass das, worum Länder seit Jahren streiten, nämlich Abschlussnoten vergleichbar zu machen, um sich da auf einheitliche Standards zu einigen, dass das jetzt binnen anderthalb Jahren umgesetzt wird?
    Montgomery: Als Vater zweier Kinder, die Abitur gemacht haben, würde ich mir das sehnlichst wünschen. Aber Sie haben mich nach Realismus gefragt und ich glaube nicht, dass wir es schaffen, in diesem Föderalismus alle Schulordnungen in allen 16 Bundesländern zu ändern. Deswegen wird es am Ende über einen Ausgleichsmechanismus gehen müssen. Es wird eine Formel geben, in der diese Faktoren berücksichtigt werden, aber die muss dann auf einer verfassungsgemäßen Grundlage erstellt werden. Hierfür brauchen wir ein Gesetz, dazu hat der Bundesgesetzgeber jetzt Zeit.
    Pfister: Es steht auch in dem, was das Verfassungsgericht gesagt hat, wichtig ist auch: Die Hochschulen müssen Hausaufgaben machen. Denn 60 Prozent der Medizinstudienplätze vergeben ja die Hochschulen derzeit in Eigenregie und sie machen es sich manchmal relativ leicht und vergeben die Studienplätze dann doch nach der Abiturnote. Das allein, sagt jetzt das Verfassungsgericht, ist nicht okay, es muss ein weiteres Auswahlkriterium geben, das soll bitte der Bundestag bestimmen. Welches sollte das denn sein?
    Montgomery: Also die Tatsache, dass immer noch drei große Universitäten ausschließlich nach der Abiturbestnote auch ihr Auswahlverfahren gestalten, und dass auch die anderen zum Teil sehr wenig transparent und kaum nachvollziehbare Eignungstests oder Ähnliches machen, das ist schon eine Schande für die Chancengerechtigkeit junger Menschen, die ihren Lebenstraum, Arzt zu werden, erfüllen wollen. Und deswegen glaube ich, man wird sehr viel mehr berücksichtigen müssen die soziale Kompetenz eines Menschen, auch die Frage, ob er hinterher bereit ist, aufs Land zu gehen und dort als Arzt zu arbeiten, oder ob er in einem Hochleistungslabor Nobelpreisträger werden möchte. Aber auch Kommunikationsfähigkeit, Neigungen, das muss alles geprüft werden. Das kann man prüfen, das machen ja uns viele Industrieunternehmen vor, das macht auch die Bundeswehr vor mit Assessment Centern. Hier muss ein bundeseinheitlich standardisiertes, strukturiertes Assessmentverfahren eingeführt werden. Hier müssen die Universitäten nachbessern, hier müssen auch die Länder die entsprechenden Richtlinien und Rahmenvorgaben machen. Und der Bund kann im Rahmen konkurrierender Gesetzgebung hier auch was tun. Also auch hier finde ich das Urteil weise. Das Ganze ähnelt sehr den von uns vorgeschlagenen bundesweiten Assessmentcentern. Ich hoffe, dass das in diese Richtung geht.
    "Persönlich halte ich sehr viel von Auswahlgesprächen"
    Pfister: Wie genau soll das denn aussehen? Denn mittlerweile haben sich ja so viele kleine Blüten entwickelt. Also, die einen fragen dann das soziale Engagement von Bewerbern ab, die anderen wollen wissen, ob sie Pfadfinder waren, die anderen wollen wissen, ob sie irgendwie bei "Jugend musiziert" teilgenommen haben. Was, welche Kriterien gehören darein? Da gibt es ja viel Streit!
    Montgomery: Alle drei, die Sie eben genannt haben, mit Sicherheit. Da gehört sehr, sehr viel mehr mit rein. Persönlich halte ich sehr viel von – so aufwendig das auch ist und so viel Geld das kostet, aber es geht um das teuerste Studium und um einen der wichtigsten Berufe für unsere Gesellschaft – Auswahlgesprächen, die von dafür geeigneten Persönlichkeiten geführt werden. Und da gibt es ja gute Vorbilder. Mich hat immer zutiefst beeindruckt das Verfahren, das die Universität Witten-Herdecke anwendet in diesem Bereich. Die geben sich richtig Mühe. Das kostet Geld, das kostet Zeit, aber da kommt dann auch eine Gruppe von Studenten zusammen, die hinterher wirklich mit vollem Herzen und großem Engagement ihren Job machen.
    Pfister: Das heißt, nicht zurück zum guten alten Medizinertest?
    Montgomery: Ach, der gute alte … (lacht) Ein kleines bisschen Ironie liegt ja in dem guten alten Medizinertest …
    Pfister: Ja!
    Montgomery: Den können Sie doch von mir aus auch noch machen. Mein Gott, entschuldigen Sie, wir reden über ein Studium, das 300.000 Euro kostet, das die Menschen selber durch nicht bezahlte Sozialabgaben und entgangene Steuern und so weiter noch mal viel Geld kostet und das dann hinterher lebenslang für uns alle als Gesellschaft so wichtig ist. Da kann doch nun ein bisschen mehr Test und ein kleines bisschen Geld dafür nicht die entscheidende Größe sein.
    Pfister: Die Wartezeiten waren immer noch ein entscheidender Punkt. Ein Fünftel der Studienplätze in Medizin wird ja über Wartezeiten vergeben. Siebeneinhalb Jahre, haben wir gerade gehört, ist die maximale Wartedauer im Moment. Die Verfassungsrichter sagen, es muss eine maximale Wartezeit eingeführt werden. Was soll das sein? Vier Semester, acht Semester, zehn Semester? Es ist ja willkürlich. Was soll das Ihrer Meinung nach sein?
    Montgomery: Ich würde mich da auch jetzt so ad hoc und spontan nicht auf eine Zahl festlegen wollen. Das Gericht sagt ja, dass Wartezeiten, die länger als vier Jahre sind, dysfunktional sind. Vor allem deswegen, weil sie ja eh in der Zeit die jungen Menschen davon abhalten, etwas anderes, für die Gesellschaft auch sehr vernünftig Seiendes zu studieren. Und ob da vier Jahre nun der Weisheit letzter Schluss ist, weiß ich nicht. Aber wir wissen, dass die, die siebeneinhalb Jahre gewartet haben, nur zu 60 Prozent das Studium erfolgreich absolvieren, während die, die von vornherein angefangen haben, mit einem sehr viel höheren Prozentsatz das tun. Also, das Gericht sagt, Wartezeiten länger als vier Jahre sind dysfunktional. Und ich nehme an, da wird man ein bisschen noch dran forschen müssen, aber ich könnte mir vorstellen, dass irgendetwas in der Dimension herauskommt. Und dann muss man auch eben einsehen, dass man durch falsche Vorleistungen und auch vielleicht durch nicht ausreichend nachgewiesenes soziales Engagement dann eben auch keine Chance hat, den Studienplatz zu bekommen. Aber das Verfahren war dann fair und für alle gleich.
    "Wir hätten uns gewünscht, dass 1.000 zusätzliche Studienplätze herauskommen"
    Pfister: Noch mal ganz grundsätzlich: Wenn wir in Deutschland Ärztemangel haben, wenn wir so viele junge Leute haben, die Ärzte werden wollen, aber niemals eine Chance haben werden, auch nach der Umsetzung der Kriterien, die dieses Urteil ausmachen, nicht: Was löst dieses Urteil, solange die Bundesländer nicht mehr Studienplätze schaffen?
    Montgomery: Die Bundesländer, wenn sie nicht mehr Studienplätze schaffen, werden auf Dauer natürlich auch, werden wir alle weiter mit einem Ärztemangel leben müssen. Aber wir dürfen auch nicht vergessen: Das Schaffen neuer Studienplätze heute, bis die dann in drei Jahren umgesetzt sind, diese jungen Menschen sechs Jahre lang studiert haben, vielleicht auch sieben, und dann am Ende noch fünf bis sieben Jahre eine Facharztweiterbildung gemacht haben, bevor sie sich niederlassen dürfen, bevor sie in die freie, eigenständige Versorgung gehen dürfen - das alles ist ein Prozess von 15 bis 20 Jahren. Das kann man auch nicht beschleunigen, das ist einfach so. Deswegen würde ich nicht so sehr auf diese langfristigen Dinge schauen. Wir hätten uns gewünscht, dass 1.000 zusätzliche Studienplätze dabei herauskommen. Aber das Gericht hat sehr klar gesagt: Unter Gerechtigkeitsaspekten sollte es die Zulassungs-, Verteilungskriterien prüfen, aber nicht die Frage der Studienplätze. Und denken Sie an eines: Haben wir ausreichend Universitätskliniken, Fragezeichen? Haben wir ausreichend Betten, an denen man den Unterricht vollziehen kann? Haben wir ausreichend Lehreinheiten? Nicht nur, weil das alles viel Geld kostet, man muss auch die Belastbarkeit des Systems, der Kliniken, der Patienten und auch der Lehrenden mit berücksichtigen, deswegen wachsen hier keine Bäume in den Himmel. 1.000 zusätzliche Studienplätze ist das Maximum, was ich mir vorstellen kann. Auch das kostet wahnsinnig viel Geld, ich hoffe, dass der Staat auch darüber noch nachdenkt.
    Pfister: Sagt Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. Was bedeutet das Urteil zum NC für Studienbewerber? Darüber reden wir gleich mit einem Anwalt, der schon einige eingeklagt hat. Danke, Herr Montgomery!
    Montgomery: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.