Dienstag, 19. März 2024

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Ärztemangel auf dem Land
Wartburgkreis lockt mit Werbetour

Um dem Ärztemangel auf dem Land zu begegnen, ließ der thüringische Wartburgkreis alle Praxen ohne Nachfolger aufkaufen, um sie mit angestellten Ärzten weiter zu betreiben. Weil das aber nicht ausreichte, wird jetzt für Medizinstudenten eine Rundfahrt durch Thüringen organisiert - inklusive Praxisbesuchen.

Von Bernhard Henry | 22.05.2018
    Der Landarzt Wolfgang Dinslage behandelt am 31.01.2012 in seiner Praxis in Merzenich bei Düren einen Patienten.
    Viele Landärzte finden keinen Nachfolger: In Thüringen lässt man deswegen jetzt Medizinstudenten übers Land schippern, um ihnen das Betreiben einer Arztpraxis schmackhaft zu machen (dpa / Oliver Berg)
    Sie sind früh aufgestanden an diesem Morgen, halb acht ging der Bus ab Jena. Dreizehn Medizinstudenten steigen vor dem Landratsamt des Wartburgkreises in Bad Salzungen aus dem Bus, erwartungsvoll, was der Tag bringen wird. Tabitha Schläwicke aus Berlin studiert im 6. Semester.
    "Ich finde es einfach eine Gelegenheit, Thüringen generell ein bisschen besser kennenzulernen. (…) Man kann sich nicht wirklich aussuchen, wo man Medizin studiert. Und dann sind wir halt nach Jena gekommen. Und das ist wirklich eine superschöne Stadt, und jetzt lernt man auch mal den Rest der Umgebung kennen. Und wir machen alle diese ambulant orientierte Linie; das heißt, wir haben schon das Ziel, uns irgendwann später perspektivisch mal niederzulassen. Und deswegen finde ich das auch eine gute Möglichkeit, heute mal die Praxen kennenzulernen und zu sehen, wie es sich auf dem Land lebt. Wir hatten auch Freunde aus den höheren Semestern, die das letztes Jahr schon gemacht haben und sehr davon geschwärmt haben und meinten: Macht das mal mit!"
    "Anschauen, wie das so ist als ambulanter Hausarzt"
    Neben ihr steht der hochgewachsene Michael Hauptmann, ebenfalls 6. Semester.
    "Ich komme aus einem kleinen Dorf, 300 Einwohner. Und da wollte ich mir das sowieso anschauen, wie das so ist, als ambulanter Hausarzt womöglich tätig zu sein. Ich muss offen gestehen: Der Wartburgkreis ist jetzt für mich kein Thema; ich möchte eigentlich schon in der Heimat bleiben, im Bayerischen Wald. Aber ich wollte es eben mal vor Ort zu sehen, wie das so aussieht."
    Rein ins Landratsamt, die Treppe hoch. Oben wartet Landrat Reinhard Krebs, auf dem Tisch stehen Schnittchen und Kaffee.
    "Man muss nicht unbedingt Arzt sein in einer Großstadt mit vielem Tamtam, wo jeden Abend was anderes los ist. Das können wir übrigens auch bieten! Sondern, dass sie einfach in eine Region kommen, die geprägt ist von vielen Besonderheiten. Und dazu haben wir eine kleine Darstellung vorbereitet. Sie sehen hier schon mal einen Willkommensgruß im Wartburgkreis, wo sie ahnen, in welch schöner Umgebung sie sich befinden."
    Gute Finanzlage, Schulen und ein kleiner Flugplatz
    Reinhard Krebs legt sich ins Zeug: die waldreiche, bergige Region, die gute Wirtschafts- und Finanzlage, die vielen Schulen und Kindergärten, Freizeitmöglichkeiten, Verkehrsanbindungen. Sogar den kleinen Flugplatz Eisenach erwähnt er. Da gäbe es zwar keinen regulären Flugbetrieb, aber Ärzte hätten ja auch gern mal Privatflugzeuge.
    Heiterkeit im Raum. Krebs weiß, dass er so leicht keine neuen Mediziner für seinen Landkreis anwirbt. Aber die Lage ist ernst: Praktisch keine der Arztpraxen, deren Inhaber in Rente gehen, kann neu besetzt werden.
    "Der Aufwand, denke ich mal, lohnt sich auf jeden Fall. Ich bin jetzt nicht derjenige, der genau nachhakt, ob derjenige, der hier war, dann auch kommt. Und wer sich jetzt nicht bemüht, der bleibt auf der Strecke. Denn das ist ein echter knallharter Wettbewerb."
    "Sie behandeln die Patienten vom Baby bis ins Greisenalter"
    Nächste Station: eine Allgemeinarztpraxis in Tiefenort. Claudia Rubisch führt sie seit 2001.
    "Meine Name ist Rubisch, ich begrüße sie hier, freue mich, dass sie da sind. Wir haben hier einen ganz großen Vorteil. Das ist: Auf dem Dorf - jeder kennt jeden. Sie kennen die Familie, das ist ganz doll. Sie behandeln die Patienten vom Baby bis ins Greisenalter. Stellen sie Fragen, was sie wissen möchten!"
    Es gibt viele Fragen: Wie oft machen sie Hausbesuche? Wie oft Notdienst? Wie viele Stunden arbeiten sie pro Woche? Wie weit ist der nächste Kardiologe entfernt? Wie haben sie das mit drei kleinen Kindern geschafft?
    "Eine neue Praxis ist viel Arbeit. Sie müssen Patienten kennenlernen; dann müssen sie sich auch viel auf die Schwestern verlassen. Ich hatte ein eingespieltes Team übernommen: Wenn die mir gesagt haben, "Wenn Clara ruft, haben sie eine halbe Stunde Zeit, die übertreibt's immer. Aber wenn Friedel ruft, dann müssen sie gleich fahren, da ist es ein Notfall!"
    "Gibt's weitere Fragen oder Punkte, die sie vielleicht doch jetzt noch interessieren?"
    Werbetour wird nicht unbedingt hier zum Erfolg führen
    Die Stunde ist rum. Nächste Station: Bad Salzungen. Wieder Schnittchen, Suppe und kalte Getränke. Der Chefarzt stellt das Klinikum vor. Der Geschäftsführer ist sich im Klaren, dass die aufwändige Werbetour nicht unbedingt gerade hier zum Erfolg führen wird.
    "Das ist ein ganz schöner Aufwand. Es geht ja darum, auch wenn die jungen Leute sich im ländlichen Bereich niederlassen, haben auch diese Regionen was davon. Und insofern geht es darum zu erklären, wie gut und wie richtig es ist, auch als niedergelassener Kollege im ländlichen Raum zu arbeiten und für die Menschen da zu sein, die Versorgung zu sichern."
    Geschafft nach sechs Praxisbesuchen
    Die Studenten aber sind, nach noch fünf weiteren Praxisbesuchen, geschafft und zufrieden.
    "Also, ich hatte nicht erwartet, dass so viele verschiedene Einrichtungen sehen, und die Organisation ist super! Auf jeden Fall eine gute Möglichkeit, sich ein bisschen zu orientieren."
    "Wir dachten, es ist auf dem Dorf ein bisschen schwierig, Fuß zu fassen, wenn man da erst so mittleren Alters hinkommt und das schon so eine eingeschworene Dorfgemeinschaft ist. Aber sie meinte, das war gar kein Problem, und man wird da gern und mit offenen Armen empfangen."
    "Also, ich kann mir jetzt auf jeden Fall besser vorstellen, später mal auf dem Land zu leben vielleicht oder wenigstens die Weiterbildung hier auf so einem ländlicheren Gebiet zu machen. Also, ich bin ja ein bisschen ohne Erwartungen reingegangen, und war offen für alles, und bin schon positiv überrascht."
    "Man wurde schon motiviert, hier aufs Land zu gehen. Es war auf jeden Fall nicht abschreckend."