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Ästhetische Splitter eines Übersehenen

Kein gescheiterter, aber doch ein übersehener Schriftsteller war Gerhard Amanshauser. Die nun veröffentlichten Aufzeichnungen sind ein Anlass, den Essayisten, Aphoristiker und Satiriker sieben Jahre nach seinem Tod wiederzuentdecken.

Von Florian Felix Weyh | 18.07.2013
    Jahrelang brach er zu einem nachrangigen Autorentreffen ins Kärntner Kuhdorf Fresach auf, um dort ein Niemand unter Niemanden zu sein. Illusionen darüber machte er sich nicht: Fahre "zum Treffen der misslungenen Schriftsteller", notierte er in seinem Tagebuch und erkannte scharfsichtig:

    "Jeder Scheiternde glaubt natürlich, er sei unter den Gescheiterten die geheime Ausnahme."

    War Gerhard Amanshauser ein Gescheiterter? Unter den Literaten seiner Generation gehörte der 1928 geborene, 2006 gestorbene Salzburger Luftikus zu den Übersehenen. Weil er literarische Zusammenrottungen à la Wiener oder Grazer Schule hasste ...

    "Überhaupt: die unangenehme körperliche Ausstrahlung der meisten ‚Dichter‘ und ‚Dichterinnen‘!"

    ... und als Einzelperson zwar mokant wie Thomas Bernhard sein konnte, aber dessen monomanische Züge missen ließ, die jenen unfehlbar auf den Marktplatz trieben, blieb er selbst in der an Sonderlingen nicht eben armen österreichischen Literatur ein Einzelgänger. Aus der vorgezeichneten bürgerlichen Existenz des Studenten der Elektrotechnik durch grundlegende Lebensskepsis in die Schreibklause verbannt, schmeckte ihm das damit verbundene Identifikationsangebot überhaupt nicht:

    "Nachdem ich mich eine Zeitlang als Schriftsteller gefühlt habe, nimmt dieses Gefühl wiederum ab. Ich bin einer, der vortäuschte, ein Schriftsteller zu sein. (…) Muss man nicht beträchtlich dumm sein, wenn man als Schriftsteller herumreist und auch noch an sich glaubt? Sich auch noch wichtig vorkommt? Bedeutungsspeck ansetzt?"

    Das klingt kokett, ist aber als Demutshaltung durchaus glaubwürdig. Gerhard Amanshauser machte nicht viel von sich her; andererseits konnte er ganz vorzüglich andere Schriftsteller niedermachen, und von der berühmten Grazie des österreichischen Schmähs blieb dann nicht viel übrig:

    "Gleich danach eine Lesung Hochhuths, eines durch und durch deutschen Nichtskönners widerlicher Art, dessen angestrengte Metaphern von unfreiwilliger Trivial-Komik strotzen: in Glanzpapier verpackte Moral."

    Zugegeben, Rolf Hochhut schlecht zu finden, fällt noch nicht aus dem Rahmen, doch dem guten Erich Fried zu attestieren, er habe »wie ein Fachlehrer für Menschlichkeit« Zensuren verteilt, ist zumindest nicht mehr comme il faut. Dass von H.C. Artmann bis Gerhard Rühm die österreichischen Kollegen und Konkurrenten ihr Fett abkriegen, versteht sich von selbst, und nicht mal Freundschaft trübte Amanshauser den Blick.

    Viele kritische Eintragungen widmen sich Hermann Hakel, einem hierzulande kaum bekannten Homme de Lettres, von dem der schöne, auch bei Amanshauser vermerkte Satz stammt: "Hirn trägt man nicht offen, sondern in Schale." Der zwanzig Jahre ältere jüdische Intellektuelle hat Amanshauser zeitlebens zu fördern versucht, doch blieben die Mühen des Hinkenden, einen anderen Hinkenden für Olympia zu qualifizieren, notwendig erfolglos. Reicht purer Schriftstellerklatsch für ein Buch über 400 Seiten? Vermutlich nicht, aber Amanshausers Aufzeichnungen enthalten ohnehin weit mehr: ästhetische, politische und philosophische Gedankensplitter, sowie viele Alltagsbeobachtungen eines Mannes, der originell und treffsicher formulieren konnte. Ein eben aus der Entziehungskur zurückgekehrter Fernsehredakteur erinnert ihn "an einen gekochten Fisch", und bei politischer Prominenz spießt er in einem beiläufigen Satz das Wesentliche auf:

    "Am 5.11. fuhr ich nach Wien zur 20-Jahr-Feier des Residenz Verlages, wozu auch der Bundespräsident erschien, den ich aber, bei meiner Kurzsichtigkeit, von den anderen prominenten Anzugträgern nicht unterscheiden konnte. Warum trägt er keine Krone?"

    Kurzsichtig war Amanshauser indes nur, was seine Augen anbetraf. Ideologisch stand er, der HJ-Führer gewesen war und sich diesen Jugendirrtum nicht verzeihen konnte, gleich weit entfernt von allen Extremen. "Ich erwecke den Anschein, eine Art Linker zu sein", kommentierte er missmutig den fälschlichen Eindruck, den eine Lesung hinterlassen hatte. Zwar geißelte er den Kapitalismus ebenso wie die Machtentfaltung der katholischen Kirche, vorm Kommunismus grauste ihm jedoch kaum weniger. Dass zu seiner persönlichen Bescheidenheit auch hin und wieder kleiner Luxus gehörte, belegt eine Zugfahrtnotiz aus dem Jahre 1983:

    "Ich ärgerte mich darüber, dass die Reisenden nicht bereit waren, im Speisewagen ihr Geld hinauszuwerfen, dachte an meinen Vater, der nie in ein Lokal gehen wollte, der ‚unnützen‘ Ausgaben wegen, überhaupt an das Knausern der hiesigen Leute, die für Maschinen und illusorische Freuden sparen, für Entstellungen der Umgebung und widerliche Projekte: umgestülpte Midasse, die überall, wohin sie ihr Geld streuen, Schmutz erzeugen."

    Allein für die "umgestülpten Midasse" als Verkörperung falsch begriffenen Wohlstands muss man Amanshauser lieben. In der literarischen Öffentlichkeit fand der Essayist, Aphoristiker und Satiriker leider kaum Widerhall und verdient die Neuentdeckung eines Werks, das zu Unrecht als rätselhaft gilt. Sein spielerischer Umgang mit Sprache ließ Amanshauser allerdings ins Visier echter Rätselsyndikate geraten:

    "Ich erhielt einen Brief: Ein Herr vom ‚Arno-Schmidt-Dechiffrier-Club‘ (…) forderte mich, einen angeblichen Arno-Schmidt-Kenner, auf, dunkle Passagen, von denen er einige anführte, zu dechiffrieren, wofür pro Passage ein Honorar von 80 – 120 DM bezahlt würde. Die ‚Kultur-Initiativen‘ sind heute unfreiwillige Aprilscherze."

    Vielleicht aber sollte ein Mäzen post mortem einen Lektürepreis auf Amanshauser ausloben – er würde zur Verschriebenheit der Person und Verschrobenheit des Werkes gut passen.

    Gerhard Amanshauser: Es wäre schön, kein Schriftsteller zu sein
    Residenz Verlag, 398 Seiten, 26,90 Euro. ISBN: 978-3701715947.