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Äthiopische Juden
Der Kampf für mehr Einwanderung nach Israel

Jahrzehntelang bemühten sich israelische Regierungen, die Juden Äthiopiens "zurück" nach Israel zu holen. Rund 100.000 wanderten ein - bis es vor zwei Jahren auf einmal hieß, sie seien "nicht jüdisch genug". Ein äthiopischer Knesset-Abgeordneter ging dagegen an - mit Erfolg. Weitere 9.000 Äthiopier dürfen jetzt kommen, müssen aber noch einmal zum Judentum konvertieren.

Von Florian Elsemüller | 14.12.2015
    Der äthiopische Knesset-Abgeordnete Avraham Neguse
    Der äthiopische Knesset-Abgeordnete Avraham Neguse. (Florian Elsemüller)
    Gerade hat Avraham Neguse noch in der Knesset gesprochen, fünf Minuten später steigt er schon ins Auto. Eine Stunde fährt er in Richtung Süden, nach Sderot, an die Grenze zum Gaza-Streifen. Zwei Assistenten hat Neguse im Auto, aber er fährt selbst. In Sderot angekommen, leitet Neguse eine Ausschusssitzung. Sie diskutieren, wie Einwanderer im Süden Israels besser integriert werden können.
    Einwanderer sind sein Thema, insbesondere Juden aus Äthiopien – so wie er selbst einer ist. Vor zwei Jahren war Neguse schockiert, als die israelische Regierung erklärte, es seien bereits alle äthiopischen Juden nach Israel gekommen. Tausende aber, das wusste er, wollten noch einwandern, und blieben zurück. Sie seien der israelischen Regierung nicht jüdisch genug gewesen:
    "Nach jüdischem Gesetz ist nur derjenige ein Jude, dessen Mutter Jüdin ist. Diese 9.000 Juden in Äthiopien hatten aber laut israelischem Innenministerium nicht bewiesen, dass ihre Mütter jüdisch waren. Deshalb wurden sie zurückgelassen."
    Eine jüdische Tragödie
    Ein Beispiel: Ein jüdischer Mann heiratet eine nicht-jüdische Frau. Deren Kinder sind also keine Juden. Der Mann, als Jude – und auch seine Ehefrau – können nach Israel einwandern. Ihre Kinder als Nicht-Juden mussten aber bislang zurückbleiben. Durch diese Regelung wurden viele äthiopische Familien getrennt. Eine jüdische Tragödie nennt es Neguse.
    "Wir haben uns dafür eingesetzt, dass bei denjenigen, die keine jüdische Mutter haben, auch der Vater beachtet werden muss. – Und so haben wir es dann geschafft."
    Das ist die eigentliche Sensation, dass das Kabinett von Ministerpräsident Netanjahu diesem Vorschlag geschlossen zugestimmt hat. Eine Entscheidung, die nicht nur für Äthiopier die Tür öffnet.
    "Das ist ein guter, offener Weg für jeden Juden in der Diaspora, in der ganzen Welt. Auch ein Deutscher kann morgen Alijah machen."
    Das heißt, sie dürfen nach Israel einwandern – so hat es die Regierung nun per Verordnung entschieden, gültig ab sofort. Aber, um es klarzustellen, offiziell sind diese Menschen ohne jüdische Mutter noch keine Juden. In Israel müssen sie erst zum Judentum konvertieren.
    Allerdings mussten auch andere Falaschen in den vergangenen Jahrzehnten in Israel erst offiziell zum Judentum konvertieren – zur Sicherheit, weil manche Rabbis bezweifeln, dass sie echte Juden sind.
    Auch das zeigt, warum sich viele Äthiopier in Israel häufig als Juden zweiter Klasse behandelt fühlen. Viele leben heute in ärmlichen Verhältnissen. Im Alltag fallen sie nur als Putzkräfte auf – in Büros und öffentlichen Toiletten. Der Zugang zu anderen Berufen bleibt ihnen häufig verwehrt.
    Bei der Diskussion in Sderot hört auch Eden zu. Sie ist 25 Jahre alt, studiert in der Stadt – und sie ist enttäuscht. Sie hat bei der Diskussion keine Lösungen gehört.
    Zumindest, sagt sie, bekämen äthiopische Juden und ihre Probleme nun wieder mehr Aufmerksamkeit. Eden wurde in Israel geboren, ihre Eltern stammen aus dem Norden Äthiopiens. Wie Avraham Neguse auch. Er wurde 1958 geboren.
    "Ich wuchs als Hirtenjunge auf, in einem entlegenen Dorf in Äthiopien. Meine Eltern entschieden irgendwann, mich zur Schule zu schicken. 22 Kilometer, jedes Wochenende bin ich damals zu Fuß gelaufen."
    Recht auf Rückkehr
    1985 kam er nach Israel – sechs Jahre vor der legendären Operation Salamon. Äthiopische Juden waren damals vor dem Bürgerkrieg nach Adis Abeba geflohen, vor die israelische Botschaft. Aber auch die Hauptstadt Äthiopiens war umkämpft, die Rebellen rückten vor. Dann, innerhalb von anderthalb Tagen, flogen israelische Flugzeuge insgesamt 14.000 Falaschen nach Tel Aviv aus. Es war eine riesige Luftbrücke: Aufnahmen aus dem Archiv der israelischen Armee zeigen unglaubliche Szenen. Die Luftwaffe hatte Transportflugzeuge mit Matratzen ausgelegt. 1.000 Menschen sollen sich in einen einzigen Jumbo Jet gezwängt haben.
    Grundsätzlich hat jeder Jude einen Rechtsanspruch auf die israelische Staatsbürgerschaft. Seit nun 25 Jahren kämpft Neguse, dass auch die Falaschen ihr "Recht auf Rückkehr" in Anspruch nehmen können. Erst gründete er eine Nicht-Regierungs-Organisation. Dann versuchte er, sich in die Knesset wählen zu lassen. Er gründete eine eigene Partei, trat 2006 zur Wahl an, erhielt aber nur ein knappes halbes Prozent der Stimmen. Dann trat er zwei Mal auf der Liste anderer Parteien an – kam aber nicht zum Zug.
    "Das war mein viertes Mal, dass ich angetreten bin. Und jetzt sag ich meinen jungen Leuten: Schaut, wie ich mich da durchgekämpft habe – und ihr könnt das auch."
    Die Wiederaufnahme der äthiopischen Alijah ist sein größter Erfolg – und der bisher schwierigste.
    "Zwei Jahre hat es gedauert. Argumentieren, Demonstrationen, Klagen vor dem höchsten Gericht, Lobby-Arbeit. Ich habe eine Delegation von Knesset-Abgeordneten mit nach Äthiopien genommen, um ihnen die Menschen zu zeigen, die dort warten. Endlich akzeptieren die Israelis sie als Juden."
    In den nächsten fünf Jahren sollen die 9.000 Falaschen nach Israel kommen können, so steht es im Kabinetts-Beschluss. Das geht schneller, denkt er. Fünf Jahre will er sie nicht warten lassen. Das wird sein nächster Kampf, sagt Neguse.