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Äußerung zu NATO-Russland-Verhältnis
"Steinmeier geht es um innerparteiliche Profilierung"

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), wirft Bundesaußenminister Steinmeier vor, sich mit seinen Äußerungen zum Verhältnis zwischen der NATO und Russland innerparteilich profilieren zu wollen. Röttgen sagte im DLF, dies sei dem Amt des SPD-Politikers nicht angemessen.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Bettina Klein | 20.06.2016
    Norbert Röttgen, CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags.
    Norbert Röttgen, CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags. (imago / Jürgen Heinrich)
    Steinmeier hatte der "Bild am Sonntag" mit Blick auf die NATO gesagt: "Was wir jetzt nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen." Wer glaube, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irre.
    Diese Äußerung sei ein "Pappkamerad", meint Röttgen. Steinmeier wisse sehr wohl, dass seine Aussagen keinen Bezug zur Wirklichkeit hätten. Ihm gehe es vielmehr um Signale an seine Partei, die SPD, in der es Zweifel an dem Kurs der Bundesregierung gebe. Berlin aber sei für die NATO ein verlässlicher Partner, betonte Röttgen. Der Kurs des Militärbündnisses aus Dialog und Abwehrbereitschaft werde einvernehmlich getragen.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: "Steinmeier übt Kritik am NATO-Manöver in Osteuropa!" Diese Schlagzeile aus der "Bild am Sonntag" sorgte dank Vorab-Veröffentlichung schon am Samstagmorgen für Aufmerksamkeit. Nanu, hatte Deutschland als NATO-Mitglied nicht eben dieses Manöver mitgetragen und auch das Auswärtige Amt?
    Am Telefon begrüße ich Norbert Röttgen von der CDU. Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Röttgen.
    Norbert Röttgen: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Wie interpretieren Sie die Äußerungen von Frank-Walter Steinmeier? Geht die SPD da auf Distanz zur NATO, oder zumindest zur Verteidigungspolitik der Bundesregierung?
    Röttgen: Ja, es ist nicht leicht zu interpretieren, weil auch in dem Bericht gerade zum Ausdruck gekommen ist, dass in dem ersten Abschnitt der Stellungnahme des Außenministers er sagt, alles was wir machen, was wir als Teil der NATO machen, was die NATO macht ist richtig, und im zweiten Teil kommen dann so düstere Warnungen, auch anonym, sie finden keinen Adressaten. Das ist Säbelrasseln, Kriegsgeheul und er jedenfalls werde den Frieden nicht aufs Spiel setzen. Man fragt sich, wer setzt ihn denn aufs Spiel. Das sind ja wirklich ungeheuerliche Vorwürfe. Ich glaube, in Wahrheit wird ein Pappkamerad aufgebaut. Auch Frank-Walter Steinmeier weiß, dass das, was er sagt, keinen Bezug zur Wirklichkeit hat. Und ich glaube, es geht um innerparteiliche Profilierung, und das, meine ich, sollte man als Außenminister nicht tun, weil dann doch die außenpolitische Lage dafür zu ernst ist.
    Klein: Kann man auch sagen, Herr Röttgen, da wird gerade so eine Art Spiel mit verteilten Rollen durchgeführt? Auf der einen Seite trägt man die NATO-Strategie mit, auf der anderen Seite - und das ist ja auch nicht neu - gibt es Signale vom SPD-Außenminister der Dialogbereitschaft an Moskau. Was ist daran falsch?
    Röttgen: Dieser Teil gehört zu dem, der überhaupt nicht falsch ist. Er impliziert nur die Unterstellung, dass irgendeiner sozusagen borniert ist und militaristisch gesonnen ist und nicht zum Dialog bereit ist. Der NATO-Generalsekretär war ja vor ein, zwei Wochen in Berlin. Wir haben alle mit ihm gesprochen, der Außenminister, ich habe auch mit ihm gesprochen. Und die Botschaft der NATO wird ja einvernehmlich getragen: Jawohl, Verteidigungsbereitschaft. Das gehört dazu. Aber Dialogbereitschaft und der politische Ansatz gehört natürlich genauso dazu, ist sogar bedeutender, denn wir wollen ja ein politisches Verhältnis und setzen nicht auf die militärische Karte. Es ist also vollkommen unstrittig und die Behauptung, dass irgendeiner das in Zweifel ziehe, die stimmt nicht.
    "Es geht um eine innerparteiliche Debatte in der SPD"
    Klein: Wird es jetzt noch mal ein Nachspiel in der Koalition geben, Herr Röttgen? Wird man versuchen, noch mal Herrn Steinmeier darauf festzulegen, was er nun eigentlich genau sagen wollte?
    Röttgen: Ich glaube, nein. Meine Interpretation ist ja, es geht hier um eine innerparteiliche Debatte in der SPD, wo es sicherlich auch in der Partei möglicherweise Zweifel an dem Kurs gibt, und es gibt vielleicht auch die Erwartung an den Außenminister, dass er sich distanziert, und diesem Druck innerparteilich, innenpolitisch hat er nachgegeben. Ich meine, das hat zur realen Politik keinen Bezug, und darum würde ich auch sagen, hier ist kein Grund, da groß nachzusetzen. Ich finde einfach, der Außenminister sollte sich auf die Außenpolitik konzentrieren und dort nicht Verwirrung stiften und Unterstellungen gegenüber Partnern und Nachbarn machen, die nur für Verwirrung sorgen können.
    Klein: Auf der anderen Seite, Herr Röttgen, muss man natürlich schon auch schauen, welches Bild der Bundesregierung da im Augenblick abgegeben wird, gerade wenn man hört, dass in Moskau das so interpretiert wird, dass Steinmeier eine der wenigen Stimmen der Vernunft ist in Berlin. Das heißt, da entsteht doch das Bild einer zerrissenen und gespaltenen Bundesregierung im Augenblick?
    Röttgen: Ja. Darum finde ich, dass der Außenminister die Außenpolitik wahrnehmen sollte und zur Geschlossenheit und Klarheit beitragen sollte und nicht zum Gegenteil. Er selber kann aber ja auch sagen, in dem ersten Abschnitt habe ich doch alles unterstrichen. Ich habe doch alle Beschlüsse mitgetragen. Wir sind doch beteiligt an dem Manöver in Polen. Wir werden doch eine Rahmennation bilden, die ein Bataillon führt in Litauen im Baltikum. Das heißt, wir machen doch alles mit. Und er hat damit Recht: Wir tragen diese richtige Politik der NATO geschlossen mit, im Kabinett, im Bundestag übrigens auch. Deutschland ist ein verlässlicher klarer Partner. Es sind jetzt nur diese, für Verwirrung vielleicht sorgenden Stimmen, und das sollte schlicht unterbleiben. Dann ist wieder alles gut.
    Klein: Nun muss man auch sagen, Herr Röttgen, mit Kritik am Säbelrasseln der NATO und mit einem Aufruf zur Dialogbereitschaft mit Russland macht man sich in Deutschland eher Freunde. Diese Rechnung könnte auch mit Blick auf Wählerstimmen ja aufgehen.
    Röttgen: Ja. Meine Sorge ist, dass genau dieses Denken dahinter steht: Wir machen alles mit, weil es richtig ist, außenpolitisch, aber vielleicht wollen wir doch innenpolitisch und innerparteilich noch irgendwie eine Sonderzugabe haben, indem wir und ich derjenige bin, der die Sorgen ausdrückt, und die anderen haben keine Sorgen, ich bin für Dialog und die anderen sind nicht für Dialog. Das ist so eine Art von aufgespaltener Rolle, die, glaube ich, mit der Verantwortung des wichtigen Amtes des Außenministers nicht in Einklang zu bringen ist. Ich glaube, dass das Aller-Allerwichtigste ist Zusammenhalt, eine klare Linie, eine klare Linie für Dialog, aber auch ein klarer Realismus, und das bringt die Bundesregierung geschlossen, CDU/CSU und SPD, in ihren Taten auf und so sollte man auch reden.
    Klein: Sehen Sie es auch als einen Bestandteil einer Strategie, die heute Morgen auch ein bisschen kolportiert wird, man würde jetzt doch auch versuchen, verstärkt Signale hin zu einem möglichen rot-rot-grünen Regierungsbündnis zu senden? Nun wissen wir, es hat von Grünen-Politikern auch Kritik gegeben an Steinmeier, aber nicht von allen. Jürgen Trittin zum Beispiel ist ihm ja beigesprungen, auch Bernd Riexinger von der Linkspartei. Sollen wir das auch in diesem Zusammenhang einordnen?
    Röttgen: Ja. Ich glaube, Sie müssen den Autor der Äußerungen fragen, was er eigentlich damit meint.
    Klein: Hätten wir gerne gemacht, Herr Röttgen.
    Röttgen: Bitte?
    Klein: Hätten wir gerne gemacht, ja.
    Röttgen: Ja, sehen Sie mal. So müssen wir jetzt spekulieren. Aber ich habe ja schon jetzt auch mehrfach gesagt: Ich glaube, dass es hier um innerparteiliche und innenpolitische Profilierung geht, und insofern bin ich Ihrer Interpretation sehr nahe. Bei den Grünen ist Jürgen Trittin, den ich schätze, glaube ich, für NATO-Kritik - da tut man ihm kein Unrecht - traditionell gut zu haben. Ich glaube, wenn diese Äußerungen auf Unterstützung der Grünen im Allgemeinen kalkulieren, dann ist das eine Fehlkalkulation. Die Fraktionsvorsitzende etwa der Grünen im Europaparlament, Frau Harms, hat sich ja sehr dezidiert geäußert in ihrer Ablehnung, auch was das Sanktionsthema anbelangt, und ich glaube, dass die Grünen in dieser Frage jedenfalls ganz überwiegend den Kurs sogar der Bundesregierung ganz klar und eindeutig unterstützen.
    Nicht in Brexit-Debatte einmischen
    Klein: Ich weise noch mal darauf hin: Das war jetzt nicht meine Interpretation, das war die Frage nach einer Interpretation an Sie, Herr Röttgen. - Ich würde gern noch mal den Bogen schlagen zu dem Thema, das wir vor wenigen Minuten auch schon angerissen haben. Europa schaut in diesen Stunden und Tagen auf den kommenden Donnerstag und auf die Frage, ob die Briten sich wohl dafür entscheiden werden, die Europäische Union zu verlassen. Wir haben gerade einen Tory-Politiker noch mal im Originalton gehört, der sagt, alle deutschen Politiker, die sich dazu äußern, die in die Debatte eingreifen, die die Briten vielleicht sogar ermahnen, in der EU zu bleiben, die helfen eigentlich den EU-Gegnern. Wagen Sie es trotzdem, heute darüber zu sprechen?
    Röttgen: Wir sprechen ja darüber, aber auch meine Einschätzung ist aus vielen, vielen Besuchen und Gesprächen in Großbritannien, in England und in London, dass in der Tat wir das als eine britische, innerstaatliche, in Teilen übrigens sogar innerparteiliche Tory-Debatte sehen müssen, und dass der Versuch, mit guten Argumenten von außen Einfluss zu nehmen, im besten Fall wirkungslos, im eher wahrscheinlichen Fall kontraproduktiv sein könnte.
    Klein: Haben sich deutsche Politiker schon zu viel geäußert? Wolfgang Schäuble etwa ist ja immer wieder zitiert worden mit seinen Worten, "in is in and out is out".
    Röttgen: Ja. Es ist jetzt meine Meinung und ich habe daraus für mich Schlüsse gezogen. Es muss jeder für sich sehen. Aber meine Einschätzung ist, lasst die Briten es entscheiden. Es ist eine sehr aufgeheizte Debatte. Das ist ja jetzt auch deutlich geworden mit schwersten Vorwürfen innerhalb der Tory Party gegeneinander. Und da wird auch alles, was gesagt wird, tendenziell eher instrumentalisiert. Ich glaube, allein die emotionale Botschaft, wir Deutschen würden euch vermissen, wir wollen euch dabei haben, das kann man sagen, das darf man sagen, das ist nicht schädlich, sondern vielleicht positiv. Aber alles andere, da meinen die Briten, das ist unsere Sache zu entscheiden.
    Klein: … sagt der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke für Ihre Zeit, Herr Röttgen.
    Röttgen: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.