Donnerstag, 18. April 2024

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AfD-Aussteiger Uwe Kamann
"Die Radikalisierung ist schleichend vorangeschritten"

In der AfD haben Gegner des Rechtsaußenflügels nach Ansicht des mittlerweile parteilosen Bundestagsabgeordnete Uwe Kamann keine Chancen mehr. Kamann trat 2018 aus der Partei aus. Sie sei nicht rechtsradikal, habe aber starke Tendenzen dorthin, sagte er im Dlf. Er erwarte weitere Austritte.

Uwe Kamann im Gspräch mit Stefan Heinlein | 30.12.2019
Uwe Kamann (fraktionslos), spricht bei der 83. Sitzung des Bundestags zur Umsetzungsstrategie Digitalisierung
Uwe Kamann, ehemaliges Mitglied der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag (Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa)
Wenn der AfD-Bundessprecher Timo Chrupalla moderate Töne anmahne, sei das nur Fassade, sagte Kamann, seit 2018 fraktionsloses Mitglied des Bundestages, im Dlf. Er glaube nicht, dass sich die Gesinnung dadurch ändere. Gegner des Flügels, dem auch Björn Höcke angehört, hätten keine Chance mehr in der AfD. "Die Wahl beim Bundesparteitag hat mir eindeutig gezeigt, dass nur die gewählt wurden, die mit dem Flügel zusammenarbeiten oder aber flügelnah sind oder Flügel-Leute sind."

Das Interview in voller Länge:
Stefan Heinlein: Satte Gewinne bei den drei Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen: 2019 war für die AfD ein erfolgreiches Jahr. Die Partei sieht sich auf dem Vormarsch und träumt von einer Teilnahme an der Macht in Bund und Ländern. Allerdings: Trotz der Wahlerfolge wächst offenbar in den eigenen Reihen die Unzufriedenheit mit dem Kurs der Partei. Die Geschlossenheit bröckelt, Teile der AfD hadern mit dem wachsenden Einfluss des rechtsnationalistischen Flügels rund um Björn Höcke. Kurz vor den Feiertagen erklärte der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Lars Hermann aus Protest seinen Austritt aus Partei und Fraktion. Kein Einzelfall: Bereits vor gut einem Jahr ging der nordrhein-westfälische AfD-Bundestagsabgeordnete Uwe Kamann diesen Schritt. Seither sitzt er als fraktionsloser Abgeordneter im Parlament. Guten Morgen, Herr Kamann!
Uwe Kamann: Guten Morgen, Herr Heinlein!
Heinlein: Herr Kamann, um die aktuelle Entwicklung Ihrer ehemaligen Partei und Ihre persönliche Entscheidung zu verstehen, blicken wir zunächst vielleicht zurück: Sie waren erfolgreicher selbstständiger IT-Unternehmer, Anfang 2014 sind Sie in die AfD eingetreten. Warum haben Sie damals Ihre politische Heimat in dieser Partei gesucht und gefunden?
Kamann: Ja, Herr Heinlein, damals war die gesamtpolitisch konservative und die wirtschaftsliberale Ausrichtung dominant in der AfD. Die Gründer waren Professoren, erfolgreiche Unternehmer und wollten einfach das Diktum der alternativlosen Politik der Bundesregierung nicht weiterhin mittragen. Das war für mich auch damals ein Grund, mit einzutreten als Unternehmer, besonders aufgrund der EU-Politik. Nicht, dass wir was gegen die EU-Politik hatten als solches, sondern schwerpunktmäßig die Konstruktion der EU war uns nicht ein Dorn im Auge, aber es war eine Fehlkonstruktion aus unserer Sicht, die Fehlkonstruktion dahingehend: Wenn ich Dinge zusammenführe, ist das Wichtigste einfach, die Sozialsysteme zu harmonisieren. Das hat man nicht gemacht, man hat einfach zusammengeworfen und hat geguckt, wie es läuft. Und in der Euro-Rettungspolitik haben wir ja gesehen, was das Ergebnis daraus war.
Heinlein: Sie sind eingetreten, als Bernd Lucke Bundessprecher der Partei war, Sie sagten es, später dann folgte Frauke Petry, die dann aber 2017 die AfD im Streit verließ. Warum sind Sie dennoch zunächst in der Partei geblieben?
Kamann: Ja, Frau Petry hatte sicherlich anderweitige Gründe gehabt, die ich hier nicht weiter ausführen möchte, auch nicht kann. Warum ich geblieben bin, ist: Wenn man in einer solchen Struktur ist, dann hat man immer noch Hoffnung, und die gibt man halt – wie ein altes Sprichwort ja sagt, die Hoffnung stirbt zuletzt – relativ spät auf. Man versucht noch, alles in die Richtung mitzugestalten, die man für richtig hält. Und das war für mich die gemäßigte, das war die wirtschaftsliberale und konservative Politik. Das hat dann aber nicht funktioniert, wie ich ein Jahr später dann feststellen musste.
Heinlein: Wann haben Sie gemerkt, dass diese Entwicklung nicht mehr aufzuhalten war? Ich habe ein Zitat von Ihnen gefunden von 2017, Sie haben gesagt, es habe eine permanente Radikalisierung in der Partei stattgefunden.
Kamann: Könnte von 2018 gewesen sein, glaube ich.
Heinlein: Ja.
Kamann: Ja, so unmerklich kommt das rüber. Wenn Sie in dieser Filterblase sich bewegen und das ist ja eine Filterblase in dem Sinne, dann merken Sie das zuerst gar nicht. Mit etwas Abstand jetzt kann ich sagen: Ich hätte das viel, viel früher merken müssen oder sollen. Ja, die Radikalisierung ist schleichend vorangeschritten und alles das, was ich bei meinem Austritt gesagt habe, was ich befürchtet habe, ist auch tatsächlich mittlerweile eingetreten.
"Radikalisierung nimmt noch weiter zu"
Heinlein: Können Sie das noch in Worte fassen, was Sie befürchtet haben? Was ist eingetreten?
Kamann: Ja, ich hatte befürchtet, dass die Radikalisierung noch weiter zunimmt, dass die radikalen Bereiche weiter, stärker an Macht und Einfluss gewinnen. Und das hat sich jetzt auf dem Bundesparteitag in Braunschweig ja auch gezeigt. Es sind hauptsächlich die gewählt worden oder grundsätzlich nur die gewählt worden, die entweder als Opportunisten mit dem Flügel paktieren oder aber, die sehr flügelnah oder sogar Flügelleute sind.
Heinlein: Ist es in Ihren Augen falsch, wenn man die AfD von heute als eine rechtsradikale Partei bezeichnet?
Kamann: Ich würde sie als Rechtsaußen-Partei bezeichnen. Rechtsradikal würde ich dann bezeichnen, wenn wirklich durchgängig alle Mitglieder rechtsradikal sind. Das glaube ich nicht. Also ich kenne den einen oder anderen oder die eine oder andere Parteifunktionärin oder Parteifunktionär, die aus meiner Sicht gemäßigt sind, die aber den Schritt vielleicht in Zukunft wagen werden, je nachdem, wie es sich jetzt noch weiter entwickelt, aber sie sind halt nicht rechtsextrem oder rechtsradikal. Deswegen würde ich als Ganzes die Partei so nicht bezeichnen. Aber sie hat starke, starke Tendenzen dorthin.
Heinlein: Dann reden wir über einen Namen, Björn Höcke. Steht er nach Ihren Beobachtungen noch mit beiden Beinen fest auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung? Er darf ja offiziell als Faschist bezeichnet werden.
Kamann: Also ich glaube, wenn man seine Vita genau betrachtet, müsste man es auf jeden Fall verneinen.
Kritik an Björn Höcke
Heinlein: Sondern? Wie würden Sie ihn bezeichnen?
Kamann: Genauso, wie Sie sagten, ich würde es verneinen. Man kann ihn nicht mehr mit beiden Beinen auf dem Boden der demokratischen Grundordnung sehen.
Heinlein: Ach so.
Kamann: Mit seinen Aussagen, die er tätigt, mit seinem Duktus, den er an den Tag legt, auch wenn er sich jetzt in letzter Zeit etwas zurückhält, glaube ich, dass das Gedankengut bei Herrn Höcke weiterhin vorhanden ist.
Heinlein: Wie hat er es geschafft, dass er tatsächlich jetzt im Hintergrund oder auch aktiv die Fäden zieht in Ihrer ehemaligen Partei? Sie hatten ja noch versucht, eine Fraktion zu bilden, eine AfD der Mitte. Woran ist das gescheitert? Warum hat letztendlich Björn Höcke die Oberhand, wie Sie sagen, gewonnen?
Kamann: Ich glaube, dass die Wut auf die aktuelle Politik dort bei vielen Mitgliedern zu großem Zuwachs bei Herrn Höcke geführt hat. Wobei ich jetzt gar nicht mehr glaube, wenn ich Sie da aus meiner Sicht ein bisschen revidieren darf, ich glaube gar nicht mal, dass Herr Höcke jetzt noch diesen Rieseneinfluss hat. Er hat seine Pflicht und Schuldigkeit getan. Ich glaube, es gibt andere Protegés, die jetzt viel stärker im Vordergrund stehen wie Herr Kalbitz, wie Herr Brandner, die aus meiner Sicht sehr stark auf der rechtsextremen Seite stehen.
Heinlein: Sie sind im Dezember 2018 aus der AfD ausgetreten. Wie haben Ihre ehemaligen Parteifreunde auf diesen Schritt reagiert? Sie sitzen ja noch im Bundestag und sehen Ihre ehemaligen Fraktionskollegen ja noch jeden Tag.
Kamann: Ja, ich würde so sagen, ein Drittel grüßt, ein Drittel verhält sich total neutral und ein Drittel ignoriert einen.
"Das Unbehagen ist latent vorhanden"
Heinlein: Mit Lars Herrmann ist ja jetzt ein weiterer AfD-Abgeordneter Ihnen gefolgt und hat Partei und Fraktion verlassen. Erwarten Sie, dass noch weitere AfD-Politiker den neuen Kurs der Partei nicht mehr mitmachen, auch dieses Unbehagen spüren, das Sie geschildert haben?
Kamann: Ja. Ich glaube, das Unbehagen ist latent vorhanden bei einigen, aber auch bei Lars Herrmann sieht man eindeutig, sobald es dann an die Existenz geht... Also es gibt aus meiner Sicht viele Bundestagsabgeordnete, die zukünftig aufgrund der fehlenden Radikalisierung nicht mehr gewählt werden. Es sind ja noch viele, die weiterhin im Berufsleben stehen. Und wenn diese Abgeordneten dann wieder in der freien Wirtschaft aktiv werden müssen mit dem Brandmal, sage ich mal, AfD, dann wird es sehr schwierig werden. Also erwarte ich, dass mindestens so sechs Monate vor der Wahl, vor der Neuwahl, wenn eine Neuwahl kommt, oder Ende der Legislaturperiode der eine oder andere zusätzlich noch austreten wird, um mit einem, ich sage mal, parteilosen Aspekt in die zukünftige Berufswelt dann einsteigen zu können.
Heinlein: Kay Gottschalk und Georg Pazdersky, das waren ja ehemalige Führungsfiguren in der AfD, sie wurden jetzt in Braunschweig auf dem Parteitag nicht mehr wiedergewählt. Sind das Männer, sind das Fraktionskollegen, ehemalige, von Ihnen, die tatsächlich auch auf dem Absprung sind?
Kamann: Das würde ich nicht sagen. Also bei Herrn Gottschalk und auch beim Pazdersky, das glaube ich nicht, dass die auf dem Absprung sind. Ich glaube, die werden das wieder versuchen, weil sie aus meiner Sicht heraus aus einem eher inneren Verhältnis heraus absolut auf dieses Mandat oder auf diese Macht, die diese Partei dann hat, auch angewiesen sind.
"Flügelgegner haben überhaupt keine Chance mehr"
Heinlein: Aber es gab ja von Gottschalk und anderen einen Appell der 100, das ist gar nicht so lange her, ein Schreiben von führenden AfD-Funktionären gegen den Personenkult um Björn Höcke. Der ist weitgehend verpufft. Warum?
Kamann: Ja, weil, wie ich vorhin schon sagte, weil der Flügel und auch die flügelnahen Bereiche haben sich dermaßen positioniert, mindestens auf der Bundesebene, dass Flügelgegner als solches überhaupt gar keine Chance mehr haben. Das ist auch, was ich am Anfang unseres Interviews gesagt habe. Die Wahl jetzt im Bundesparteitag hat mir eindeutig gezeigt, dass nur die gewählt worden sind, die entweder mit dem Flügel zusammenarbeiten, also Opportunisten aufgrund ihrer Wahlchancen zu erhöhen, oder aber flügelnah sind beziehungsweise Flügelleute sind.
Heinlein: Also wenn der neue Bundessprecher Tino Chrupalla die AfD jetzt als Regierungspartei etablieren will – und er mahnt ja auch moderatere Töne an –, ist das aus Ihrer Sicht nur Fassade? Dahinter steckt tatsächlich eine knallharte, rechtsnationalistische Politik?
Kamann: Es ist definitiv eine Fassade. Gerade auch Herr Chrupalla, der kommt ja aus Sachsen, aus dem Osten, und im Osten kommen Sie nur in entsprechende Führungspositionen, wenn Sie sehr, sehr stark flügelaffin sind. Ich glaube nicht, dass die Gesinnung sich dadurch ändert, nur weil man gemäßigte Töne anspricht. Das glaube ich einfach nicht.
Heinlein: Wenn Sie zurückblicken auf die Zeit vor einem Jahr, ein Jahr ist es her, dass Sie die AfD, die Partei und die Fraktion verlassen haben, Herr Kamann: Haben Sie diesen Schritt je bereut?
Kamann: Im Gegenteil, im Gegenteil. Gerade jetzt, ein Jahr ist es jetzt her, und ich kann also zurückblicken, dass ich alles richtig gemacht habe aus meiner Sicht heraus. Und das hat auch damit zu tun, dass man viel stärker jetzt seine politische Einstellung auch in den politischen Alltag einbringen kann. Ich spreche sehr viel mit Kollegen aus der CDU, aus der FDP, sogar mit den Grünen. Und dort kann ich natürlich jetzt nicht direkt was bewirken, aber vielleicht mit Anregungen das eine oder andere auch mitgestalten.
Heinlein: Können Sie sich vorstellen, Frage zum Schluss, bitte eine kurze Antwort, sich in einer anderen Partei politisch zu engagieren, etwa in der Union der Mitte, um Alexander Mitsch, oder den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen?
Kamann: Das würde ich jetzt im Moment so nicht sagen. Das könnte passieren, aber nicht, dass ich jetzt das anstreben würde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.