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AfD-Führung
Kampf um die Deutungshoheit

Die beiden AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke und Frauke Petry scheinen jeden Tag etwas weiter auseinanderzudriften. Es geht um Richtungs- und Führungsfragen - und viel Persönliches. Luckes "Weckruf 2015", der mittlerweile über 4.000 Mitglieder hat, hat die Gräben noch weiter vertieft. Die liberalen Weckrufer auf der einen Seite, die nationalkonservativen auf der anderen Seite.

Von Stefan Maas | 02.07.2015
    AfD-Parteisprecherin Frauke Petry und Bundesparteichef Bernd Lucke
    AfD-Parteisprecherin Frauke Petry und Bundesparteichef Bernd Lucke (picture alliance / dpa - David Ebener)
    "Guten Abend. Wollen Sie zur AfD?"
    "Richtig, korrekt."
    "Das ist hier. Einfach hier locker..."
    Frank Scheermesser steht am Kopfende eines langen Tisches und begrüßt die beiden jungen Männer in T-Shirts, die erst etwas suchend in die Runde schauten, dann aber lächelnd auf ihn zugehen.
    Scheermesser ist AfD-Mitglied fast der ersten Stunde und betreut das Kennenlerntreffen, das zwei Mal im Monat stattfindet. An diesem Abend sind sechs Männer und zwei Frauen gekommen, um sich zu informieren. Sie überlegen, Mitglieder zu werden. Manche haben ihren Antrag auch schon abgegeben. Wie Alexander.
    "Ich bin hier, weil ich mich schon lange für die AfD begeistert habe."
    Der blonde 21-Jährige trägt dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd. Er hat seine Freundin mitgebracht. Dass die Partei seit Monaten vor allem durch die Streitereien in der Führungsspitze von sich reden macht, hat ihn nicht abgehalten.
    "Für mich war also diese innerparteiliche Debatte und der Machtkampf und der Streit nur ein Zeichen von Lebendigkeit. Und deswegen bin ich gerade jetzt in solchen Zeiten, die von Differenzen geprägt sind, weitaus mehr animiert worden, um mich tatsächlich beteiligen zu wollen."
    "Ja, sind ja heute wieder ein paar mehr da als letztens. Das ist erfreulich, weil es sieht ja im Moment nicht so gut aus."
    Machtkampf und innerparteiliche Debatte
    Heike Rubert gehört neben Frank Scheermesser zum festen Team der Kennenlerntreffen. Auch sie ist überzeugte AfDlerin der ersten Stunde. Momentan aber macht sie sich Sorgen um ihre Partei. Und damit ist sie nicht alleine.
    "Das ist für die Basis sehr belastend. Im Moment ist die inhaltliche Arbeit doch sehr zum Erliegen gekommen durch diesen Richtungsstreit."
    Wirtschaftsliberal oder nationalkonservativ. Lucke oder Petry. Das sind im Moment die Pole, zwischen denen sich die Partei bewegt. Und zumindest die beiden Vorsitzenden Bernd Lucke und Frauke Petry scheinen jeden Tag etwas weiter auseinanderzudriften. Auch wenn sie inhaltlich gar nicht so weit voneinander entfernt sind, wie Bernd Lucke nicht müde wird zu erzählen. Es geht um Richtungs- und Führungsfragen - und viel Persönliches.
    Auch wenn Lucke stets betont, er habe die Partei wieder einen wollen und verunsicherte Mitglieder in der Partei halten: Sein Verein "Weckruf 2015", der mittlerweile über 4.000 Mitglieder hat, hat die Gräben noch weiter vertieft. Die liberalen Weckrufer auf der einen Seite, die anderen, die nationalkonservativen, die "Rechtslastigen", die Ausländerfeinde, die Homophoben, jene - Zitat - "Elemente", die Lucke-Unterstützer Hans-Olaf Henkel gerne aus der Partei werfen würde, auf der andere Seite. So wollen es zumindest einige gedeutet wissen - in dem aktuellen Kampf um die Deutungshoheit. Für viele andere hat der Weckruf Luckes Absturz nur noch beschleunigt. Vom Heiland zum Buhmann?
    "Der Mann ist brillant und sympathisch, und ich bin seinetwegen eingetreten, aber er überschätzt seine Rolle. Bei mir ist er kein Buhmann, aber ich bin doch ziemlich von ihm enttäuscht, weil er so Winkelzüge macht, die ich nicht in Ordnung finde."
    Dazu gehört für Borghild Niemann eben auch der Weckruf. Gehört sie also zu den anderen?
    "Bibliothekarin im Ruhestand, 68 Jahre als, zwei Kinder, gutbürgerlich, keine von den Elementen, die Herr Henkel erzählt hat. Aus der Mitte des Bürgertums. Ich mach mir Sorgen um meine Enkelkinder."
    Und um ihre Partei. Denn dass Bernd Lucke und seine Weckrufer nach dem Parteitag die AfD verlassen könnten, wenn die Vorstandswahlen nicht in ihrem Sinne ausfallen, hält sie durchaus für möglich.
    Vorbereitungen für den Parteitag
    "Guten Morgen meine Damen und Herren, vielen Dank, dass..."
    Berlin. Montagmorgen. 10 Uhr. Bernd Lucke hat zu einer Pressekonferenz eingeladen. Er hat Vorbereitungen getroffen für den Parteitag. Weil er davon ausgeht, doch zum alleinigen Parteichef gewählt zu werden, will er dafür sorgen, dass es zukünftig keine Querelen mit seiner Noch-Co-Vorsitzenden Frauke Petry mehr geben wird. Petry soll nach Möglichkeit gar nicht mehr in den Vorstand. Deshalb präsentiert er eine eigene Kandidatin für den Stellvertreterposten. Ulrike Trebesius, die Europaabgeordnete und Weckruf-Vorsitzende, soll Petry vom Platz fegen. Und noch eine Personalie verkündet Lucke. Seinen Kandidaten für den Generalsekretär-Posten. Ein neues Amt.
    "Herr Yorulmaz ist Anhänger der AfD seit fast ihrer Gründung..."
    André Yorulmaz sitzt im dunklen Anzug zu Luckes linker Seite und hat die Hände gefaltet. 32. Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters.
    "Ich bin nicht verheiratet, ich habe auch keine Kinder, sondern ich lebe in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung. Ich bejahe zwar ausdrücklich die Gleichberechtigung. Es ist aber so, dass ich mich klar bekenne zum konservativen Familienbild."
    Meinungen in der AfD gehen auseinander
    Yorulmaz sei schon in der Vergangenheit als Brückenbauer aufgefallen, erklärt Lucke seine Wahl.
    "Genau das ist etwas, was wir in der Partei brauchen, um die Streitigkeiten, die uns zurzeit belasten, zu überwinden."
    Ob er das kann, Brückenbauen, darüber gehen die Meinungen in der AfD auseinander. Geschickt, sagen die einen im Gespräch über die Wahl. Damit bremse Lucke all jene außerhalb der Partei aus, die ihr Homophobie und Fremdenfeindlichkeit vorwerfen. Auch innerhalb der Partei könne man Kritiker des Generalsekretärs sofort als Vertreter des rechten Lagers abkanzeln. Sollte Yorulmaz gleich ganz durchfallen, hätte Lucke eine Erklärung mehr dafür, warum der liberale Weckruf den rechten Rest hinter sich zurücklassen muss. Sehr problematisch, finden andere. Sie glauben, was Lucke als Befreiungsschlag verkauft, ist eher eine Verzweiflungstat. Und prophezeien: Dieser Kandidat wird ihm sogar eher schaden.
    Lucke selbst wünscht sich jedenfalls, dass am Wochenende in Essen alles in seinem Sinne läuft.
    "Herr Lucke hatte eine Mail geschrieben vor Kurzem. Da hat er geschrieben, es muss Ruhe im Karton sein. Ich glaube, im Karton muss gar keine Ruhe sein, aber außerhalb dieses Kartons, da müssen wir Einigkeit beweisen."
    "Jetzt ist er noch nicht einmal gewählt und schon widerspricht er mir." (Lachen)
    Das dürfte Lucke am Wochenende noch häufiger erleben. Denn alles ist möglich. Und am Ende könnten statt neuer Brücken nur noch Ruinen übrig bleiben.