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AfD in Brandenburg
Parteienforscher warnt vor "rechtsextremem Landesverband"

Jüngste Umfragen sehen die Brandenburger AfD zeitweise Kopf an Kopf mit der regierenden SPD. Parteienforscher Gideon Botsch von der Uni Potsdam warnt: Dem AfD-Landesverband gehe es um die Zersetzung der Demokratie.

Von Vanja Budde | 25.04.2019
Andreas Kalbitz, Spitzenkandidat der AfD für die Landtagswahl in Brandenburg im September 2019, spricht beim politischen Aschermittwoch der AfD im bayrischen Osterhofen.
Andreas Kalbitz, Spitzenkandidat der AfD für die Landtagswahl in Brandenburg, hätte das Ringen um den Spitzenplatz beinah verloren (Picrure Alliance/dpa/Matthias Balk)
"Im ganzen Land werden heute Frauen und Mädchen für die Art, wie sie leben wollen, erstochen, erschossen, mit dem Beil erschlagen oder unter Allahu-Akbar-Rufen geköpft. Rund 270 Ehrenmorde in rund vier Jahren sind nur die Spitze des Eisberges. Nichtmuslime werden gemessert, diskriminiert oder beschimpft. Aber das alles dürfen wir natürlich nicht laut sagen, denn dann sind wir ja Populisten."
Parteitag der Brandenburger AfD im Januar 2019. Es gilt die Liste für die Landtagswahl am 1. September aufzustellen. Jeder kann sich bewerben, die Parteispitze hat keine Vorgaben gemacht.
Wahl- und Auszählmarathon
Nach einem 21-stündigen Wahl- und Auszählmarathon schafft es der eben gehörte Tim Krause aus Potsdam auf einen der hinteren Listenplätze. Spitzenkandidat wird der Brandenburger Partei- und Fraktionschef Andreas Kalbitz.
Die rot-rote Landesregierung habe abgewirtschaftet und gehöre aus dem Amt gejagt, sagt der ehemalige Soldat Kalbitz, der dem völkischen "Flügel" der AfD angehört. Grüne und CDU hätten als Opposition versagt.
"Man braucht die nur machen lassen, die enttarnen sich selber mit allem, was sie sagen, mit allem, was sie tun. Wenn man mit den Menschen auf der Straße spricht, dann glaubt man, dann ist man manchmal versucht zu sagen: Na, wir haben eigentlich schon 55 Prozent. Die Stimmung kippt."
Nicht bei 55 aber bei um die 20 Prozent sehen jüngste Umfragen die AfD in Brandenburg, zeitweise Kopf an Kopf mit der regierenden SPD. Bundesweit ist die AfD in keinem Land der Regierungspartei so dicht auf den Fersen wie in der Mark.
Verein "Zukunft Heimat"
Doch Andreas Kalbitz hätte das Ringen um den Spitzenplatz um ein Haar verloren: Auf Platz zwei landete mit nur fünf Stimmen Abstand und den wenigsten Gegenstimmen aller Kandidaten – Christoph Berndt. Vorsitzender des Vereins "Zukunft Heimat" in Golßen am Rande des Spreewaldes.
Christoph Berndt, Vorsitzender vom Rechtspopulistischen Verein "Zukunft Heimat",  am 1. März 2018 bei einem Bürgerforum zur Flüchtlingssituation in Cottbus. Eingeladen zu dem Forum unter dem Titel "rbb vor Ort Cottbus unerhört?!" hatte der Rundfunk Berlin Brandenburg.
Christoph Berndt dementiert, mit der rechtsextremistischen "Odentitären Bewegung" zu tun zu haben (Rainer Weisflog/imago)
Der Verein setzt sich für Heimatpflege ein, für Radwege und Erntedankfeste – organisiert aber auch Demonstrationen gegen die Flüchtlingspolitik von Bund und Land, zumeist in Cottbus. Denn dort, in Brandenburgs zweitgrößter Stadt, war die Stimmung 2018 nach Auseinandersetzungen mit Flüchtlingen besonders aufgeheizt.
Im vergangenen Jahr versammelten sich tausende Teilnehmer zu den Anti-Asyl-Protesten von "Zukunft Heimat". Unter ihnen waren auch stadtbekannte Rechtsextremisten und aus Dresden angereiste Pegida-Leute.
"Ich möchte davor warnen, dass Brandenburg vor einem möglichen Rechtsruck stehen könnte." Mike Bischoff, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag, sieht nach dem Kandidaten-Parteitag der AfD einen Schulterschluss mit dem Protest der Straße.
Auch Ursula Nonnenmacher, Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin der Grünen, meint "dass sich, falls das überhaupt noch möglich ist, der Rechtsruck in der AfD noch weiter verstärkt. Herr Kalbitz, als ein führender Exponent des rechtsnationalistischen 'Flügels', Höcke-Poggenburg-Flügel, hat jetzt hier noch Gesellschaft gefunden von Herren, die unmittelbar stehen für den Zusammenschluss mit Pegida, für Zusammenarbeit mit ‚Ein Prozent‘, mit den ‚Identitären‘."
Erkenntnisse des Verfassungsschutzes
AfD-Chef Kalbitz widerspricht: Von einem Rechtsruck könne trotz der nun offiziellen Verbindung mit "Zukunft Heimat" keine Rede sein.
"Der Christoph Berndt ist ja seit anderthalb Jahren AfD-Mitglied. Ich schätze ihn persönlich sehr. Wir haben ein sehr, sehr enges Verhältnis. Er ist im Grunde ein Musterbeispiel an Zivilcourage. Weil er sagt: ‚Wir lassen uns das Recht nicht nehmen, friedlich, demokratisch, aber gerne auch mal laut auf Missstände aus unserer Sicht hinzuweisen‘."
Doch der Brandenburger Verfassungsschutz hat andere Erkenntnisse: Seit einiger Zeit bestünden enge Kontakte zwischen der rechtsextremistischen "Identitären Bewegung" und "Zukunft Heimat", teilt das Innenministerium in Potsdam mit. Der Vereinsvorsitzende Christoph Berndt weist das zurück:
"Sagt uns: Wo und wie arbeiten wir mit den ‚Identitären‘ zusammen? Dann können wir uns dazu äußern. Diejenigen, die so etwas sagen, sind dann auch in der Verpflichtung, ihre Behauptungen zu belegen."
Von NPD bis Kameradschaftsszene
An den Demonstrationen des Vereins, so der Verfassungsschutz weiter, würden außerdem regelmäßig weitere Rechtsextremisten in deutlich wahrnehmbarer Anzahl teilnehmen. Zitat:
"Diese sind zum einen der NPD und zum anderen der örtlichen Kameradschaftsszene, dem Personenkreis um die aufgelöste rechtsextremistische Hooligan-Gruppierung ‚Inferno Cottbus‘ oder der rechtsextremistischen Kampfsport- bzw. Musikszene zuzuordnen. Eine erkennbare Distanzierung des Vereins von Extremisten beziehungsweise eine hinreichende Abgrenzung von rechtsextremistischen Positionen unterblieb bislang."
Es gebe keine institutionelle Zusammenarbeit von "Zukunft Heimat" mit Rechtsextremisten, hält AfD-Chef Kalbitz dagegen.
"Sonst hätte ja der Verfassungsschutz auch Anhaltspunkte für eine Beobachtung. Das ist übrigens bei der AfD in Brandenburg genauso wenig der Fall aktuell wie bei ‚Zukunft Heimat‘."
Dessen Vorsitzender Christoph Berndt spricht von Ablenkungsmanövern, um den Verein in ein schlechtes Licht zu rücken. Er könne nicht ausschließen, dass einzelne Neonazis zu den Demonstrationen kämen, sagt Berndt.
Das seien aber Randerscheinungen, so Berndt: "Ich bin doch keine Stasi! Ich lasse mir doch nicht die Lebensläufe der Leute zeigen, die da kommen. Ich denke gar nicht daran, über Stöckchen zu springen. Alles, was wir tun und sagen und was ich tue und sage, gibt überhaupt nicht den geringsten Anhaltspunkt zu sagen 'Das ist ein Rechtsextremist'."
Da die AfD nach der Landtagswahl die Zahl ihrer derzeit neun Abgeordneten voraussichtlich deutlich erhöhen kann, wird Christoph Berndt demnächst dem Parlament angehören. Er wolle dort die Blickrichtung der Politik ändern, sagt Berndt: "Die Interessen, die wir zu vertreten haben, auch im Land Brandenburg, sind die Interessen der Einheimischen, der schon länger hier Lebenden. Das ist das Allerwichtigste."
Parteienforscher: "Rechtsextremer Landesverband"
Parteienforscher Gideon Botsch von der Universität Potsdam warnt, dass von den AfD-Kandidaten keine konstruktive Oppositionsarbeit zu erwarten sei.
"Ich denke, dass es längst um eine Zersetzung unserer Demokratie geht, und zwar gerade im Kern ihres Handlungsbereichs. Wir schätzen diese Partei in Brandenburg, den Brandenburgischen Landesverband als einen rechtsextremen Landesverband ein."
Das gelte auch für die Person des Partei- und Fraktionschefs, betont der Rechtsextremismus-Experte.
"Andreas Kalbitz hat dieses offen rechtsextreme Profil lange Zeit – bis mindestens 2015 – gehabt. Wir wissen, dass er auf einem konspirativen Zeltlager der neonazistischen ‚Heimattreuen Deutschen Jugend‘ gewesen ist, und sich insgesamt in diesem NPD-nahen, dem Neonazismus nahestehende Milieu offenkundig bewegt hat."
Andreas Kalbitz, der gerne von der Wende-Erfahrung im Osten spricht, wurde 1972 in München geboren. Er war in der Jungen Union, dann in der CSU, deren "rechten Aufbruch" er in der neurechten Wochenzeitung "Junge Freiheit" forderte. Mit 21 Jahren trat Kalbitz den Republikanern bei. Dass die damals vom Verfassungsschutz beobachtet und als rechtsextrem eingestuft wurden, sei für ihn nicht relevant gewesen.
"Ich wäre ja danach keine zwölf Jahre Soldat geworden, wenn der Militärische Abschirmdienst eine andere Einschätzung gehabt hätte".