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AfD und Medien
„Für alle Parteien müssen die gleichen Standards gelten“

Der Umgang der Medien mit der AfD müsse der gleiche sein wie bei den anderen Parteien, sagt WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn. Er sprach sich im Deutschlandfunk dagegen aus, Vertreter*innen dieser Parteien nicht mehr einzuladen. Anders als wahrgenommen, seien zwei andere Parteien übrigens viel häufiger in Talkshows vertreten gewesen.

Jörg Schönenborn im Gespräch mit Sebastian Wellendorf | 25.09.2017
    Der Moderator Jörg Schönenborn steht am 22.09.2017 in Berlin im ARD-Studio zur Bundestagswahl 2017
    Jörg Schönenborn ist Fernsehdirektor beim WDR. (Maurizio Gambarini/dpa)
    Sebastian Wellendorf: Gestern Abend: Berliner Runde der Parteivorsitzenden. Es geht um Regierungsbildung, um die junge grün-gelbe Liebe, zumindest in Sachen Klimaschutz. Aber hauptsächlich geht es um den nicht pinken, sondern eher blauen Elefanten im Raum: die AfD. Und wieder fielen alle möglichen irgendwann mal gesagten Knallsätze - den anwesenden Jörg Meuthen hat's gefreut. Aber CSU-Innenminister Joachim Herrmannn hat's irgendwann gereicht:
    Ausschnitt "Berliner Runde"
    Joachim Herrmann: Die Hälfte der Sendezeit beschäftigt sich schon wieder nur mit der AfD - die Hälfte der Sendezeit nur mit der AfD.
    ZDF-Chefredakteur Peter Frey: Ich wollt grad nach was anderem fragen.
    Herrmann: Es ist völlig... Ja, aber das ist ein völliger Unfug, und da kann ich Ihnen nur sagen - und darüber wird in den nächsten Wochen auch noch zu diskutieren sein - in welchem Ausmaß die beiden öffentlich-rechtlichen Sender in den letzten Wochen massiv dazu beigetragen haben, in der Tat nicht die AfD klein zu machen, sondern groß zu machen. In einer Art und Weise der Diskussion, die wirklich völlig fehl am Platze ist.
    Wellendorf: Darüber wird zu diskutieren sein, sagt er. Also: machen wir mal. Haben wir Medien der AfD zu viel Raum gegeben zulasten der tatsächlichen Inhalte? Ich hab vor der Sendung mit dem WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn gesprochen und ihn gefragt, ob er diesen Vorwurf nachvollziehen kann.
    Jörg Schönenborn: Zunächst mal konnte ich es emotional nachvollziehen, weil das ja für die CSU wirklich ein bitterer Abend war und die Partei sich schwergetan hat mit Erklärungen. Ich glaube, dass wir sehr kritisch und selbstkritisch gucken sollten, wie wir berichten. Für die Einordnung muss man aber sagen, wir haben es nicht so oft, dass eine neue Partei im Parteiensystem auftaucht. Meine Beobachtung ist, nicht nur wir haben darüber berichtet und die Zeitungen sowieso; es spielt in vielen privaten Gesprächen eine Rolle, und vor allen Dingen fällt mir auf, dass ja auch die Politiker der anderen Parteien sehr viel über die AfD reden, auch wenn sie nicht dabei ist. Ich glaube, es ist einfach unser gemeinsames Bedürfnis zu verstehen, was da passiert.
    Wellendorf: Dennoch ist der Vorwurf, dass zum Beispiel Talkshows im Vorfeld der Wahl und auch gestern den polemischen Phrasen der AfD ein Forum gegeben haben, ohne kritisch nach Lösungen und mehr nach Inhalten zu fragen. Dabei seien wichtige Grundsatzthemen auf der Strecke geblieben. Wurde diese Kritik – das haben Sie gerade schon angesprochen – auch in den Redaktionen diskutiert, nach solchen Talkshows zum Beispiel?
    Schönenborn: Wir haben es ja jetzt seit vier Jahren mit der AfD zu tun und beschäftigen uns sehr intensiv damit. Interessant ist, dass die AfD gemessen an ihrer Anhängerschaft in den Talkshows unterdurchschnittlich vorgekommen ist in den letzten Jahren – ich weiß, die Wahrnehmung ist eine andere, aber die Zahlen sprechen da eine deutliche Sprache. Es gab viel mehr Politiker von der CSU oder von der Linken zum Beispiel, obwohl die gestern sehr viel weniger Wähler hatten – das ist sicherlich der eine Maßstab. Der andere, der mir journalistisch schwerfällt, ist, zu trennen, wann lässt man Polemik zu und wann ist sie nicht mehr zugelassen. Ich denke, es müssen für alle Parteien die gleichen journalistischen Standards gelten, und da muss man natürlich, je polemischer gesprochen wird, auch je härter nachfragen. Da gibt es schlechte Beispiele, ich finde aber auch sehr gute – Frank Plasberg vor zwei Wochen mit Alexander Gauland war exzellent vorbereitet –, und ich glaube, das ist das, was man journalistisch leisten sollte.
    "Die Grenzen muss man klar markieren"
    Wellendorf: Aber da gibt es ja die Frage, ob öffentlich-rechtliche Sender einfach nein sagen können: Nein, denen bieten wir jetzt kein Forum, das geben wir jetzt nicht eins zu eins wieder, und zwar, obwohl es sich hier um eine demokratisch gewählte Partei handelt, Stichwort Chronistenpflicht. Wie sehen Sie das?
    Schönenborn: Das ist nicht mein Verständnis von öffentlich-rechtlichem Rundfunk, das ist auch nicht mein Verständnis von der AfD. Die Partei ist ja entstanden und ist erfolgreich, weil es in der Gesellschaft offenbar Probleme und Ängste gibt, auf die die anderen Parteien keine Antwort haben. Wer gibt uns das Recht, darüber zu entscheiden, welche Sorgen der Bürger in unserem Programm thematisiert werden und welche nicht. Das wäre überheblich, und das ist sicherlich die Sichtweise der politischen Wettbewerber, das verstehe ich. Aber ich kämpfe sehr dafür, dass in unseren Programmen alle Positionen diskutiert werden können, die rechtlich zulässig, die menschlich anständig sind und die nicht gegen Grundwerte verstoßen. Diese Grenze allerdings muss man klar markieren, und da achten wir auch drauf.
    Wellendorf: Die Medien müssen dazulernen, schreibt die "Süddeutsche" zu diesem Thema.
    Schönenborn: Ja, also ich sag mal ein Beispiel, das mich eigentlich jetzt seit zwei, drei Jahren beschäftigt: Wir haben bei der AfD den Reflex, selbst in Nachrichtentexten, in Nachrichtensendungen eine distanzierende Formulierung einzubringen: die rechtspopulistische AfD. Was ist rechtspopulistisch? Politikwissenschaftlich höchst unbestimmt. Wo haben wir bei der Berichterstattung über andere Parteien solche Attribute? Also das ist ein Beispiel dafür, wie wir unsere journalistische Rolle nicht genau einnehmen. Das Gleiche ist, wenn wir zulassen, von Nazis zu sprechen. Ich glaube, dass das ziemlich geschichtsvergessen ist. Wir sollten das benennen, was ist. Es gibt in dieser Partei rechtsextreme, radikale Äußerungen, es gibt in dieser Partei konservative, nationalkonservative Äußerungen. Man braucht aber die journalistische Kompetenz, um das einordnen zu können, und darf nicht einfach mit dem großen Pinsel irgendeines Schlagworts drübergehen.
    Wellendorf: Der WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn zur Frage, inwiefern die Medien möglicherweise mit dem Populismus der AfD zu unkritisch umgegangen sind. Danke schön, Herr Schönenborn!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.