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Affen mit Kultur

Ethologie. - Unter Menschen sind unterschiedliche Kulturen selbstverständlich. Doch auch unsere nächsten noch lebenden Verwandten, die Schimpansen, zeigen regionale Verhaltensunterschiede, die von vielen Forschern als unterschiedliche Kulturen gesehen werden. Forscher aus den USA und Großbritannien berichten jetzt in von dem Versuch, sozusagen im Zoo eine Tradition zu etablieren.

Von Volkart Wildermuth | 22.08.2005
    Es muss nicht immer Beethoven sein. Für Verhaltensforscher ist alles, was in einer Gesellschaft üblich und anderswo selten ist, Teil der Kultur. Zur Zeit gehört im Großstadtdschungel der Smart dazu, das Charity Armband und das Ethno-Tatoo. Auch im richtigen Urwald finden sich regionale Traditionen. In Westafrika knacken Schimpansen Nüsse mit Steinen, in Ostafrika ist diese Technik unbekannt, obwohl es weder an Nüssen noch an Verstand und schon gar nicht an Steinen mangelt. Professor Andrew Whiten von der Universität im Englischen Fife hat diese Anfänge der Werkzeugkultur selbst in Feldstudien beschrieben. Jetzt wollte er untersuchen, wie solche Traditionen ihren Anfang nehmen. Das geht nicht im Urwald, das geht nur im Zoo.

    Im amerikanischen Atlanta gibt es ein großes Affen-Forschungszentrum, in dem mehrere Schimpansengruppen leben. Andrew Whiten hat für sie einen Apparat konstruiert, in dem sich leckere Trauben verbergen. Um sie zu erhalten, müssen die Affen mit einem Stöckchen entweder eine Sperre wegstochern, oder sie aus dem Weg heben. Der Forscher trainierte zwei ranghohe Weibchen entweder in der Stocher- oder in der Hebetechnik. Dann brachte er sie in ihre jeweilige Gruppe zurück. Unter den neugierigen Blicken ihrer Artgenossen fingen die Expertinnen sofort an, sich Trauben zu verschaffen, jeweils mit der frisch gelernten Technik. Nur kurze Zeit später hatten die anderen Gruppenmitglieder den neuen Trick verstanden. Und so wurde in einem Käfig eifrig gestochert und nebenan gehoben. Nur eine dritte Affengruppe ohne Expertin kam nicht hinter das Geheimnis des Apparates und ging leer aus. Whiten:

    "Es ist sehr beeindruckend. Wir haben diesen Apparat, der für alle gleich ist. Wir rollen ihn zur einer Gruppe, und sie fangen alle an, das Hindernis wegzuheben. Dann rollen wir ihn zur anderen Gruppe, und die verhalten sich komplett unterschiedlich. Wir konnten hier zum ersten mal das Entstehen einer Tradition im Experiment beobachten."

    Nun sind Schimpansen erfinderisch. In der Stochergruppe entdeckten einige Mitglieder die Hebetechnik, in der Hebegruppe fingen einige an zu Stochern. Wenn es bei dem neuen Verhalten nur um Nachahmung geht, dann sollten auf Dauer in beiden Käfigen beide Techniken angewandt werden. Das hatte Andrew Whiten zumindest erwartet:

    "Zwei Monate später verwendeten fast alle Affen die in ihrer Gruppe übliche Technik. Sie passten sich an. Das ist ein Niveau des sozialen Lernens, mit dem wir nicht gerechnet hatten, das hat uns überrascht. Das ist wie eine Rückkoppelung. Sobald es Unterschiede zwischen Gruppen gibt, werden sie durch diese Neigung zur Anpassung verstärkt."

    Anpassung ist ein wichtiges Kennzeichen auch der menschlichen Kultur. Die entscheidende Stütze der Tradition ist nicht die Fähigkeit von anderen zu lernen, sondern die Neigung, das zu tun, was alle tun. Selbst wenn etwas anderes effektiver ist. Bei den Affen führte das Stochern zum Beispiel deutlich schneller zur Traube, als das Heben. Trotzdem blieb die Tradition des Hebens stabil.

    "Das ist verwirrend, aber bei uns Menschen ist es genauso verblüffend. Warum passen sich Menschen der Mehrheit an, warum müssen sich Teenager alle gleich verhalten und zum Beispiel rauchen? Vielleicht lautet die Antwort, dass es einfach eine gute Daumenregel ist, das zu machen, was alle tun. Denn häufig handelt es sich um ein Verhalten, das sich über die Jahrhunderte als nützlich erwiesen hat. Dass Schimpansen genauso anpassungswillig sind, zeigt uns, dass in ihrem Leben die Kultur viel wichtiger ist, als wir uns das vor zehn, 20 Jahren vorstellen konnten."

    Werkzeuggebrauch, wie das Aufhämmern von Nüssen mit Steinen oder das Angeln von Ameisen mit Grashalmen, erlaubt den Schimpansen Dürreperioden zu überstehen. Das dürfte der Grund sein, warum die Affen Neugier, Nachahmungsvermögen und eine Neigung zur Anpassung entwickelt haben. Quasi als Nebenprodukt sind dabei auch völlig sinnfreie Moden entstanden. In den Mahale Bergen hält Schimpanse beim Lausen die Hand über den Kopf des Partners, in Gombe greift er dagegen traditionell zu einem Ast. Auch die Balzrituale sind unterschiedlich. In einer Gruppe gilt lautes Zerknacken von Blättern als erotisch, andernorts weiß die Schimpansin mit diesem Signal rein gar nicht anzufangen.