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Afghanistan, die Taliban und der Westen

Mit seinem militärischen Engagement in Afghanistan wollte der Westen die Voraussetzungen für Frieden und Demokratie schaffen. Doch die Lage am Hindukusch hat sich in den vergangenen Jahren nicht grundlegend verbessert. Im Gegenteil: Die Taliban gewinnen wieder an militärischer und politischer Bedeutung.

Von Marc Thörner | 14.02.2009
    Kabul, Masud-Platz, Botschaftsviertel. AnMit seinem militärischen Engagement in Afghanistan wollte der Westen die Voraussetzungen für Frieden und Demokratie schaffen. Doch die Lage am Hindukusch hat sich in den vergangenen Jahren nicht grundlegend verbessert. Im Gegenteil: Die Taliban gewinnen wieder an militärischer und politischer Bedeutung.
    einer Filiale der Kabul Bank sind alle Fensterscheiben geborsten. Hilfskräfte kehren mit stoischen Mienen die Glassplitter auf und schaufeln sie in einen Container. Auf der Straße hat sich eine riesige Blutlache ausgebreitet. Mitten darin steht ein zerfetztes Taxi. Siddiq, ein etwa 25-jähriger Anwohner beschreibt, was soeben hier passiert ist:

    "”Das war ein Selbstmordanschlag. Ein US-amerikanischer Diplomat wollte in die Botschaft hineinfahren, als der Attentäter auf ihn zusteuerte. Von den Amerikanern wurde keiner getötet oder verletzt. Aber Passanten, der Fahrer dieses Taxis hier und ein paar Leute auf der anderen Straßenseite.""

    Vier Tote melden kurz darauf die Nachrichtenagenturen – Bilanz eines Morgens in Kabul.
    Anschläge dieser Art ereignen sich etwa einmal pro Woche, sagt Zubair Babarkarchail, Kabul-Korrespondent der unabhängigen afghanischen Nachrichtenagentur Pajhwok ... Immer enger, so der Journalist, zögen die Taliban ihren Gürtel um die Hauptstadt.

    "”Wir haben sie auch schon in unmittelbarer Nähe Kabuls registriert. Auf der Straße in die Logar-Provinz, auf der Straße in die Wardak-Provinz hatten sie Sperren errichtet und hielten Autos an. Es gibt Tore an allen vier Straßen, die aus Kabul herausführen. Befahrbar ist nur die Route durch das Nordtor, die Richtung Panjir Tal und über den Salang-Pass führt.""

    Damit die einzig sichere Straße, die aus Kabul herausführt, auch sicher bleibt, soll Lieutenant Fricaz sie bewachen. Der 24-jährige Offizier weist seine Männer in die Lage ein, warnt vor dem erhöhten Risiko, auf Straßenbomben zu stoßen. Dann gibt er den Befehl zum Aufbruch.

    Stabil und ruhig wäre die Lage hier wahrscheinlich auch ohne französische Patrouillen.
    Entlang der Straße, die auf den Salang-Pass führt, der Durchfahrt zum afghanischen Norden, leben, wie auch in der Nordregion selbst, hauptsächlich Tadschiken. Im Bürgerkrieg unterstützten sie mehrheitlich die Nordallianz um Ahmed Schah Masood, die gegen die Taliban anging. Dennoch, sagt Lieutenant Fricaz, gebe es vereinzelt Gemeinden, in denen die Taliban zu agitieren begännen. Aber in solchen Fällen betreibe die französische Armee hier eine erfolgreiche Aufstandsbekämpfung. Wie die funktioniert, erklärt er bei einem Zwischenstopp:

    "Dasselbe Konzept haben wir schon im Algerienkrieg während der Schlacht um Algier angewendet. Im Prinzip haben wir heute genau denselben Ansatz: Zuerst rein in die Gegenden, wo die Aufständischen sind. Sich auf dem Schlachtfeld mit geballter Übermacht durchsetzen. Anschließend nimmt man Schritt für Schritt Kontakt zur Bevölkerung auf. Verbessert ihre Lebensumstände, führt zivilmilitärische Projekte durch, baut Krankenhäuser, gräbt Brunnen."

    Rezepte aus dem französischen Algerienkrieg als Vorbild für Afghanistan? Eine solche Übertragung dürfte bei deutschen Politikern höchstwahrscheinlich Empörung auslösen.
    "PRT", so heißt die Zauberformel für die zivilmilitärischen Maßnahmen, die heute in Afghanistan angewendet wird, - das Kürzel für "Provincial Reconstruction Team" – das "Provinzwiederaufbauzentrum", in dem zivile Helfer und Soldaten gemeinsam am Aufbau des Landes zusammenarbeiten sollen. Folgt man der Bundesregierung, dann handelt es sich dabei um einen wirklich gelungenen Ansatz.

    "Das Konzept insgesamt ist eigentlich so gut, dass auch in den anderen Regionen Afghanistans die anderen Teilnehmer an den ISAF-Aktivitäten dieses Konzept übernommen haben und das zeigt auch, dass dieses Konzept ein guter Ansatz ist."

    ... sagt Thomas Kossendey, parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Andererseits räumt er ein, dass nichts mehr so ist wie noch vor sechs Jahren:

    "Als das PRT-Konzept eingeführt wurde, war es eigentlich gedacht, um den zivilen Aufbau um ein PRT herum zu koordinieren, zu schützen und voranzubringen. Dieser Auftrag ist, wenn ich an das PRT in Kundus denke, in den letzten Monaten etwas zurückgetreten zu Gunsten – oder zu Lasten – der Eigensicherung des PRTs."

    Für manche der deutschen Soldaten in Kundus dürfte sich das wie ein Euphemismus, wie eine Beschönigung bestehender Missstände, anhören. Denn, Raketenangriffe gibt es dort inzwischen ungefähr einmal pro Woche.

    "Überall auf den Dächern: tong-tong-tong-tong, überall kamen die Steine runter. Wir befanden uns im anderen Bereich, wollten dann halt zu den Unterkünften, zu den Schutzbauten. Und auf dem Weg hierher schlug dann schon die zweite Rakete ein, da hatten wir Deckung genommen hinten an den Fahrzeugen. Ja – die zweite Detonation kam, dann wollten wir weiter im Sprung und dann kam auch schon der dritte Abschuss und dann hörten wir nur noch: (pfeift). Es wurde immer lauter und wir waren Luftlinie vielleicht ... ich war ungefähr 50 Meter entfernt, aber es waren noch fünf Kameraden vor mir."

    Die zunehmenden Angriffe vonseiten der Taliban und ihr Machtzuwachs in Afghanistan scheinen darauf hinzudeuten, dass der Bezug auf Algerien, wie er vom französischen Lieutenant formuliert wurde, nicht völlig aus der Luft gegriffen ist.
    Ob in Französisch-Nordafrika, Vietnam oder anderswo - zivilmilitärische Konzepte sind bereits an vielen Orten angewendet worden. Zu scheitern begannen sie immer dann, wenn die Bevölkerung das militärische Vorgehen als repressiv und ungerecht wahrnahm. Und dieser Zustand könnte mittlerweile auch in Afghanistan erreicht sein.

    Denn seitdem die Kämpfe an der pakistanischen Grenze zunehmen und die Angriffe der US-geführten "Operation Enduring Freedom" immer mehr auch Opfer unter der paschtunischen Zivilbevölkerung einfordern, mobilisiert sich Gegenwehr, büßt in der Paschtunenregion um Kundus nun auch die Bundeswehr an Legitimität in der Bevölkerung ein.
    Die Folge: Das Ziel der Aufbauhilfe weicht dem Gebot, sich selbst zu schützen.

    "Hört sich blöd an, aber auf Codewort 'Ottermuchte' einfach ruhig bleiben, dann wissen wir Bescheid: irgendwas ist. Entweder drehen wir uns dann und gehen wieder raus oder biegen links oder rechts ab. OK? Wichtig ist: ruhig bleiben. So. Fragen? Keine? Schili, Bibo hier vorne – vorwärts, marsch."

    Wenn Offiziere der Bundeswehr oder zivile Mitarbeiter des Provinzwiederaufbauzentrums aus ihren gepanzerten Fahrzeugen aussteigen, um afghanische Gesprächspartner zu treffen, tun sie das heute nur noch umringt von einer umfangreichen Schutztruppe aus Fallschirm- oder Gebirgsjägern, inmitten von Gewehrträgern mit pittoresken bajuwarischen Rauschebärten, die jede Annäherung der Bevölkerung im Radius von fünf Metern abwehren. Besonders suspekt sind Rad- oder Mofafahrer. Denn die könnten potentielle Selbstmordattentäter sein.

    "Ruhig. Mach ihm klar, er soll anhalten und fertig.
    Fingerspitzengefühl!"
    "Ja – entweder er bleibt stehen oder er bleibt nicht stehen."
    "Er bleibt stehen. Geht noch `n Stück weiter vor. Bissel Abstand gewinnen."

    "Schön ruhig bleiben, geht immer weiter."

    Für ihre eigentliche Aufgabe, im Gespräch mit den zuständigen afghanischen Funktionsträgern Aufbauprojekte einzufädeln, bleiben oft nur wenige Minuten.
    In einem Dorf unweit der tadschikischen Grenze soll der "Verbindungsoffizier für Aufbau" zusammen mit afghanischen Ansprechpartnern den Neubau einer Schule konzipieren.

    "”We can try to manage a contact with th GTZ. And that’s what we can do. No promise that they will start next month or at the beginning of the next year.”"

    Kaum hat man sich die Hände geschüttelt, drängt die Schutztruppe zum Aufbruch. Der deutsche Offizier drückt dem afghanischen Schuldirektor rasch einen Antrag der GTZ, der "Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit" in die Hand und gibt dann das Signal zum Aufbruch. Zurück im sicheren Panzerfahrzeug sagt er:

    "Wir hätten ihn jetzt gerne noch eingewiesen in das Ausfüllen dieses Antrags, das machen wir dann halt am Telefon mit ihm."

    Aus Sicht von Citha Maass, Afghanistan-Expertin bei der "Stiftung Wissenschaft und Politik" ist das bestehende, von der Bundesregierung so favorisierte, zivilmilitärische Konzept gescheitert:

    "Gespräche sind notwendig. Und Gespräche setzten auch voraus, dass man viele Tassen Tee mit den lokalen Vertretern trinkt. Und wenn das nicht geschieht, dann wird die Kluft zur Bevölkerung immer größer und dann bekommt man auch keine Hinweise, wo Bomben an einer Brücke gelegt werden, wie es früher noch im PTRT Kundus der Fall war. Früher – das heißt: vor zwei Jahren noch. Das heißt, je gepanzerter man fährt desto stärker ist man abgeschirmt und kann noch weniger Vertrauen aufbauen und kann deswegen auch noch weniger einen Schutz für zivilen Aufbau leisten."

    Ein neues PRT-Handbuch, herausgegeben von der ISAF, soll den jüngsten Entwicklungen jetzt Rechnung tragen. In diesem Handbuch wird eine Sichtweise formuliert, die erstaunt. So wird das einst favorisierte Ideal einer afghanischen Zivilgesellschaft zur Disposition gestellt – zugunsten sogenannter "traditioneller" Strukturen.
    In der Broschüre, die auch dem deutschen PRT als neue Handlungsanleitung dient, ist zu lesen:

    "Wahlen abzuhalten, egal wie fair oder frei sie sein mögen, macht eine Regierung nicht notwendigerweise legitim. Legitimität entsteht, wenn eine Regierung den allgemeinen Konsensus der Bevölkerung repräsentiert. Um ihre Legitimität zu fördern, könnte (die Regierung) traditionelle Strukturen einbinden."

    Was aber ist unter "traditionellen Strukturen" zu verstehen? Und wer verkörpert, repräsentiert sie?
    Da wären in erster Linie die Milizenführer, die ehemaligen Kämpfer aus dem Bürgerkrieg gegen die Taliban oder die antisowjetischen Mudschaheddin zu nennen. Inzwischen seien sie zu Distriktchefs oder Gouverneuren aufgestiegen, sagt
    Peter Ptassek, ziviler Leiter des Wiederaufbauzentrums Kundus, das den Deutschen untersteht.

    "Nehmen wir die Provinz Balkh. Da haben wir einen Gouverneur namens Atta, der ein großes politisches Gewicht hat aus alter Machtfülle heraus. Also er hat Möglichkeiten sehr konventioneller Weise: bewaffnete Leute und hat Einfluss."

    Und das mit dem "Einfluss" ist noch untertrieben. In und um Mazar-e Sharif kommt es einem Todesurteil gleich, öffentlich auch nur Kritik an Gouverneur Atta Mohammed Nur zu üben.

    In einem Dorf rund 20 Kilometer von Mazar- e Sharif entfernt, haben sich einige von Attas politischen Gegnern versammelt. Unter ihnen sind viele Warlords, ehemalige Kämpfer gegen die Sowjets, hochgewachsene knorrige Gestalten. Einige zittern vor Nervosität. "Bitte keine Fotos!" Und vor allem: "Keine Namen nennen", sagen sie im Flüsterton. Dann liest einer von ihnen dem ausländischen Reporter die Namen all derer vor, die der Gouverneur in den letzten Monaten angeblich durch seine Todesschwadronen hat ermorden lassen. Vielleicht, so ihre Bitte, könne die deutsche Regierung ja bei der Aufklärung der mutmaßlichen Morde helfen.

    Hätten sie Staatssekretär Kossendey gehört und dessen Meinung über Gouverneur Atta vernommen, dann hätten sie wohl kaum diese Hoffnung gehegt. Ohne Gouverneur Atta, so nämlich machte Thomas Kossendey deutlich, laufe gar nichts:

    "Im Norden wäre insgesamt die vergleichbar ruhige Situation nicht möglich, wenn wir nicht mit dem Gouverneur und mit den administrativen Spitzen gut zusammenarbeiten könnten. Ich glaube, die verbesserte Sicherheitslage ist ein beredtes Zeugnis dafür. Das konnten wir nur gemeinsam schaffen, das konnte ISAF gar nicht alleine schaffen."

    Doch nicht nur an die Adresse Gouverneur Attas richten sich Vorwürfe schwerer Menschenrechtsvergehen. Auch an die von Gouverneur Mohammed Omar von Kundus.
    Laut Informationen des "Institute for War and Peace Reporting", einer Nachrichtenagentur, die von Kanada und der EU gesponsert wird, betreiben der Gouverneur und seine Distriktchefs Menschenhandel und Kindesmissbrauch. Yacub Ibrahimi:
    "”Es gibt verschiedene Verbrechen. Zum Beispiel die in diesem Milieu verbreitete Praxis, Kampfhunde gegen minderjährige Mädchen einzutauschen. Einige haben eine Vorliebe für Minderjährige, andere für Kampfhunde – und so tauschen sie gelegentlich. Es werden illegale Steuern eingezogen, die sogenannten Lebenssteuern. Das heißt: du lebst in diesem Dorf. Ich kontrolliere es. Also zahlst du mir monatlich eine Steuer dafür. Sie können straflos morden, vergewaltigen. Weder die afghanischen Gerichte, noch die NATO-Kräfte kontrollieren das.""

    Peter Ptassek, ziviler Leiter des deutschen Wiederaufbauzentrums Kundus, zuckt die Achseln:

    "Wir haben ein Mandat, das sich darauf konzentriert, den Wiederaufbau voranzubringen, Stabilität und Sicherheit nach Afghanistan zu bringen. Wir haben kein Mandat, die Bevölkerung zu einem neuen Glauben zu bekehren, sie mit unseren Vorstellungen von Glück und Wohlstand zu impfen und wir haben auch kein Mandat, in konkreten Fällen, auch nur auf Provinzebene einen Regierungswechsel herbeizuführen."

    Ist also die Garantie auf ein Minimum an Menschenrechten, etwa die körperliche Unversehrtheit, aus Sicht des deutschen Repräsentanten auf einmal naiv, weltfremder Idealismus? Wo doch ursprünglich genau das propagiert wurde?!

    Tillmann Schmalzried, Afghanistan-Koordinator der "Gesellschaft für bedrohte Völker", wirft der Bundeswehr vor, dass sie sich allmählich in das klassische Fehlverhalten von Mandats- oder Besatzungsmächten hineinziehen lässt – Kungelei mit den Mächtigen betreibt, dem Prinzip "Teile und Herrsche" folgt – Stabilität um beinahe jeden Preis erkauft.

    "Die Bundeswehr ist laut ISAF-Mandat in Afghanistan, um die lokalen Strukturen dabei abzusichern, einen Rechtsstaat zu bilden. Wenn sie dazu verkommt, die Strukturen darin zu unterstützen, einen Rechtsstaat zu verhindern, dann hat sie ihren Auftrag verfehlt. Man kann nicht einfach sagen: Das sind nun mal die Leute, mit denen wir zu verhandeln haben, deshalb können die machen, was sie wollen. Auf diese Weise kriegen wir keinen Rechtsstaat in Afghanistan hin."

    Das "Zurück zur Tradition", wie es im neuen Handbuch der ISAF gefordert wird, lässt sich bereits am afghanischen Justizsystem festmachen. Besser gesagt: ein "Zurück" zu dem, was manche als afghanische Tradition ansehen. Weiß Peter Ptassek, der zivile Leiter des deutschen Provinzwiederaufbauzentrums, auf Grundlage welcher Rechtsordnung die Strafjustiz basiert, die in der Provinz, in der er Verantwortung trägt, zum Einsatz kommt?

    "Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass bei Gouverneur Omars Sicherheitskonferenz die Mullahs die Einführung der Scharia forderten, woraus ich entnehme, dass es nicht in dem Maße der Fall zu sein scheint, wie sie sich das wünschen."

    In der Nachbarprovinz von Balkh ist man offensichtlich bereits weiter. Shamsurrahman Mohmand, Vorsitzender des Provinzgerichts in Mazar-e-Sharif:

    "Dies ist ein hundertprozentig islamisches Gericht. Das bedeutet: Jedes Gesetz entspricht der Scharia, auch das Strafgesetz.Wenn wir beispielsweise einer Person einen Diebstahl hundertprozentig und ohne Zweifel nachweisen könnten, dann würden wir entscheiden, dem Betreffenden die Hand abschlagen zu lassen."

    "Sollen wir wirklich gehen, wenn es schwierig ist? Wir reden über ein Land, meine Damen und Herren, in dem vor sieben Jahren noch Menschen gesteinigt worden sind."

    ... hatte Ende Bundesaußenminister Steinmeier noch Ende 2008 im deutschen Bundestag gesagt. Doch den Extremismus, den zu bekämpfen die Bundeswehr in Afghanistan eigentlich die Aufgabe hat, definiert die Bundesregierung inzwischen anders:

    Kossendey: "Wir müssen aufpassen, dass wir den Afghanen nicht etwas überstülpen, was weder zu deren Kultur, noch zu deren Religion passt. Wir haben in der Region ja durchaus andere Länder – Sie nannten Saudi Arabien – die Rechtssysteme haben, die mit unseren nicht vergleichbar sind. Und ich glaube nicht, dass es Aufgabe von ISAF ist, hier Vormund zu
    spielen."

    Tatsächlich ist die Rechtsauffassung, die in Berlin als "Bestandteil afghanischer Kultur" betrachtet wird, in Afghanistans offizieller Rechtsprechung und Tradition nie zuvor angewendet worden. Sie geht zurück auf die in Saudi-Arabien verankerte wahhabitische Lehre, eine extrem konservative, puritanische Auslegung des Islam, die erst in den 80er Jahren mit den saudisch unterstützten antisowjetischen Mudjaheddin an den Hindukusch gelangte. Verfochten wird sie heute insbesondere von der islamistischen Hekmatyar-Fraktion, die in den Augen Präsident Karzais heute ein wichtiger Verbündeter ist.

    Von einem Zurück zur afghanischen Tradition könne also keine Rede sein, so Tillmann Schmalzried, Afghanistan-Koordinator der "Gesellschaft für bedrohte Völker". Die derzeitige Entwicklung sei von Abdul Rasul Sayyaf angestoßen worden, einem der neuen Verbündeten von Präsident Karzai.

    Schmalzried: "In Wirklichkeit hat Sayyaf, der alte große Warlord Afghanistans, der noch übrig ist, und in der Politik eine wichtige Rolle spielt, Druck auf Karzai ausgeübt und so ist Shinwari reingekommen. Shinwari war bis 2006 oberster Richter. Er hat relativ schnell Hunderte von Mullahs und fundamentalistische Moslems in oberste Richterpositionen gebracht."

    Und diese beiden Alt-Mudjaheddin Sayyaf wie Shinwari waren beide langjährige enge Verbündete Osama Bin Ladens.
    Afghanistan heute: Im Jahr Sieben des Bundeswehr-Mandats.