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Afghanistan
Im Teufelskreis der Sicherheit

In Afghanistan hat sich die Sicherheitslage zuletzt drastisch verschlechtert. Viele Hilfsorganisationen haben sich aus weiten Teilen Afghanistans zurückgezogen. Das Spendenaufkommen ist rückläufig - mit Folgen für die Beseitigung der Landminen. Ackerflächen zu bewirtschaften scheint in weite Ferne gerückt.

Von Bernd Musch-Borowska | 23.06.2017
    Minenräumer in der afghanischen Provinz Kandahar
    Minenräumer in der afghanischen Provinz Kandahar (AFP/Javed Tanveer)
    Die Beseitigung von Landminen ist ein extrem gefährlicher Job. Immer wieder kommt es zu versehentlichen Explosionen, immer wieder werden Minenräumer verletzt oder gar getötet. Allein seit 2010 sind in Afghanistan, offiziellen Angaben zufolge, mindestens 90 Mitarbeiter der Minenräum-Kommandos ums Leben gekommen, mehr als 120 hätten Verletzungen erlitten, hieß es.
    Afghanistan ist nach Jahrzehnte langen Kriegen eines der am stärksten verminten Länder der Welt. Selbst in unmittelbarer Nähe von Wohngebieten gebe es Minenfelder, sagt Farid Ahmed Homayoun von der Organisation Halo Trust, die sich seit 1988 in vielen Ländern der Welt an der Beseitigung der explosiven Rückstände verschiedener Kriege beteiligt.
    "Millionen von Afghanen leben weniger als 500 Meter von Minenfeldern entfernt. Fast überall gibt es Minen und nicht explodierte Kriegsmunition. Afghanisten hat die höchste Dichte von Minenfeldern."
    Minenräumer mitunter entführt
    Besonders stark betroffen sind der Süden des Landes, also die Provinzen Helmand und Kandahar, der Norden, unter anderem die Provinz Kunduz, wo einst die Bundeswehr ihr Lager hatte und der Osten, mit den Provinzen Khost und Nangahar, sowie die Provinz Herat, ganz im Westen an der Grenze zum Iran. Alles Gebiete, in denen die Taliban in den vergangenen Monaten immer stärker die Kontrolle übernommen haben.
    Das macht die Arbeit der Minenräumer umso gefährlicher. Nicht nur, weil die Taliban ständig neue Gebiete mit Sprengsätzen verminen, sondern auch, weil die Mitarbeiter der Minenräum-Kommandos angegriffen und mitunter entführt werden.
    "Ich bitte meine Familie um Vergebung"
    Umgerechnet 270 Euro verdient ein afghanischer Minenräumer im Monat. Weil es kaum andere Arbeit gebe, habe er diesen Job übernommen, sagt Wali Mohammad, der im Auftrag der Hilfsorganisation HALO Trust Minen beseitigt - trotz der Gefahr für Leib und Leben.
    "Immer wenn ich zuhause bin, bitte ich meine Familie um Vergebung, denn das ist ein gefährlicher Job, da kann alles passieren. Ich bitte sie um Vergebung und mache mich wieder an meine Arbeit."
    Ein afghanischer Polizist inspiziert alte und entschärfte Minen
    Ein afghanischer Polizist inspiziert alte und entschärfte Minen (AFP/Javed Tanveer)
    Minenräumung ist Feinarbeit. Wenn der Metalldetektor biept, muss das gefundene Metallteil sorgsam ausgegraben werden. Handelt es sich um einen Sprengsatz, wird er kontrolliert zur Explosion gebracht.
    5.000 Minenräumer entlassen
    Jetzt müssen die afghanischen Minenräumer auch noch um ihre Jobs fürchten. Wegen Geldmangels droht eine weitere Entlassungswelle. Dabei hat die Regierung in Kabul die Minenräumarbeiten in den vergangenen Jahren bereits deutlich zurückgefahren.
    Weil sich die Sicherheitslage im ganzen Land drastisch verschlechtert hat, haben sich viele Hilfsorganisationen aus weiten Teilen Afghanistans zurück gezogen. Zugleich sei das Spendenaufkommen rückläufig, mit Auswirkungen auf das Programm zur Beseitigung der Landminen, sagt der zuständige Minister für Katastrophenschutz und humanitäre Angelegenheiten, Wais Ahmad Barmak.
    "Wir mussten das Personal kürzen und das hat direkte und indirekte Auswirkungen auf das Programm. Wir haben bereits 5.000 Mitarbeiter entlassen, wegen Geldmangels. Und angesichts der Personalnot, werden wir es kaum schaffen, unser Ziel zu erreichen."
    Hohe Opferzahl
    Eigentlich will die afghanische Regierung alle bisher bekannten Minenfelder bis zum Jahr 2023 vollständig geräumt haben. Bis das nicht erreicht sei, so heißt es, sei an Normalität kaum zu denken. Denn auch in Regionen, in denen gerade nicht gekämpft werde, lebten die Menschen wegen der Landminen in ständiger Gefahr, sagt Minister Barmak:
    "Die Zahl der Menschen, die Landminen zum Opfer fallen oder sogenannten IEDs, also improvisierten Sprengsätzen, ist immer noch sehr hoch. Rund 140 Menschen jeden Monat, über 60 Prozent davon sind Frauen und Kinder."
    Auf internationale Hilfe angewiesen
    Auch Gul Hassan zählt zu den Männern, die sich unter Einsatz ihres Lebens an der Räumung der Landminen in Afghanistan beteiligen. Er habe durchaus Angst, sagt der 25-Jährige, der eine Frau und vier Kinder versorgen muss, vor allem seit ein Kollege bei einem Unfall vor einem Jahr beide Hände verloren hat.
    "Es macht mich stolz, wenn ich dazu beitragen kann, dass meine Landsleute in einem sicheren Umfeld leben können, ohne Angst vor Landminen."
    Nicht nur wegen der vielen Kämpfe, sondern auch wegen der Landminen können viele Ackerflächen in Afghanistan nicht bearbeitet werden. Die Versorgung der Bevölkerung aus eigener landwirtschaftlicher Produktion liegt noch in weiter Ferne. Bis dahin ist Afghanistan weiter auf internationale Hilfe angewiesen.