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Außen- und Sicherheitspolitik
Was der "vernetzte Ansatz" beim Afghanistan-Einsatz gebracht hat - und was nicht

Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik folgt heute dem sogenannten vernetzten Ansatz. Militär, Diplomatie, Entwicklungshilfe und andere Instrumente sollen bei Krisen-Interventionen zusammenwirken. Das Konzept überzeugt in Teilen, hat aber seine Tücken - wie das Beispiel Afghanistan gezeigt hat.

Von Sabina Matthay | 03.12.2021
Die Bundeskanzlerin und Frau Kramp-Karrenbauer stehen neben mehreren Soldaten und anderen Wüdenträgern. Beide tragen mittelblaue Oberteile.
September 2021: Bundeskanzlerin Merkel und Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer würdigen Bundeswehrsoldaten für Afghanistan-Einsatz (Sina Schuldt/dpa)
„Vernetzung“ – dieses Schlagwort prägt seit Anfang des Jahrhunderts auch die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik - ganz besonders in Bezug auf die Beteiligung am internationalen Krisen- und Konfliktmanagement. Es reflektiert den Umstand, dass die Bundeswehr sich nach der deutschen Wiedervereinigung zur Interventionsarmee wandelte. Seither beteiligt sie sich an friedenserhaltenden und friedensstiftenden Missionen im Auftrag der Vereinten Nationen ebenso wie an multilateralen Auslandseinsätzen von EU und NATO. Beispiel Mali. Beispiel Afghanistan. Diese Missionen intervenieren in Konflikten neuen Typs. Sie greifen ein in Bürgerkriege und Aufstände in zerfallenen Staaten. Anders als klassische, zwischenstaatliche Kriege werden diese Konflikte nicht durch Entscheidungsschlachten entschieden. Es geht bei den Missionen darum, die Legitimität des eigenen Anspruchs durchzusetzen und die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen.

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Schaffung der Internationalen Schutztruppe ISAF

So wurden beispielsweise nach Afghanistan deutsche Polizisten zum Aufbau einer Polizei entsandt, italienische Richter zum Aufbau eines Justizsystems, amerikanische Journalisten zum Aufbau unabhängiger Medien; Entwicklungsorganisationen wie die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstützten die Ausbildung von Hebammen und Einrichtungen für den Drogenentzug. Sie errichteten Solaranlagen und bauten Schulen; staatliche Stellen, Ministerien in Washington, Paris und Tokio, entsandten Berater, die die öffentliche Verwaltung aufbauen und Ministerien zur Seite stehen sollten.
Um all das möglich zu machen, wurde die Internationale Schutztruppe ISAF geschaffen. Sie sollte für die nötige Sicherheit sorgen. Doch was genau ist unter dem Begriff Sicherheit zu verstehen? Der Begriff sei nicht klar definiert – kritisiert Bodo von Borries vom Dachverband der entwicklungspolitischen und humanitären Nichtregierungsorganisationen in Deutschland, VENRO:
„Man muss bei Sicherheit immer fragen: Wessen Sicherheit ist es, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die ihre Interessen in Afghanistan vertritt, oder ist es die Sicherheit der Bevölkerung vor Ort.“

Kritiker: Militär dominiert beim "vernetzten Ansatz"

Kritiker befürchten zudem, dass „Vernetzte Sicherheit“ das Militär dominieren lasse, zivile Akteure wie Entwicklungshelfer dem Militär unterstellten. Militärische Leistung sei niemals Selbstzweck, betont dagegen Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer im Mai dieses Jahres. „Sie dient dazu, zumindest eine rudimentäre Form von Sicherheit zu schaffen, damit wir überhaupt Räume haben, in denen Menschen leben können und in denen man resiliente Strukturen und Dinge wiederaufbauen kann. Deswegen muss da Hand in Hand gearbeitet werden.
Bundeswehrsoldaten stehen vor ihrem Fahrzeug in Afghanistan im Oktober 2012.
Bundeswehrsoldaten stehen vor ihrem Fahrzeug in Afghanistan im Oktober 2012 (imago/EST&OST)
„Wer hält das Heft in der Hand, wer hat welche Truppen, wie viele Divisionen hat der Papst. Die berühmte Frage steht da irgendwo im Hintergrund natürlich immer auch.“ Botschafter Ekkehard Brose ist Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. „Also, man darf das nicht vergessen, nicht verdrängen, ist nicht nebensächlich, aber es gibt viele andere Faktoren, die eine entscheidende Rolle spielen. Und als Analyseinstrument, als Haltung im Kopf ist es nach wie vor sehr wichtig, weil das Gegenteil, nämlich eine Verengung des Sicherheitsbegriffs auf irgendeinen Aspekt, sei es nur der sicherheitlich-militärische oder nur ein wirtschaftlicher vielleicht aus EZ-Perspektive oder eine Perspektive, die nur auf menschliche Sicherheit abzielt. So eine Perspektive ist zu eng.“

"Den Instumentkasten gemeinsam denken"

EZ steht für Entwicklungszusammenarbeit. Der „Vernetzte Ansatz“, das organisatorische Konzept der Krisenbearbeitung, ist umfassend. Astrid Irrgang ist stellvertretende Direktorin im Zentrum für Internationale Friedenseinsätze ZIF. Sie definiert den „Vernetzten Ansatz“ als „eine Anforderung, den Instrumentenkasten für Maßnahmen und Strategien zur Konfliktbewältigung gemeinsam zu denken, aus verschiedenen Richtungen.“

Nicht immer sind alle Ressorts vertreten. So wie der Kreis der Akteure, so wechseln auch die Methoden sowie die Art und Intensität der Vernetzung von Fall zu Fall. Noch einmal Astrid Irrgang: „Der vernetzte Ansatz ergibt sich aus der Problemstellung und dem Zielbild, das man erreichen möchte. Und idealerweise, wenn man ein definiertes Zielbild hat, das man erreichen möchte, überlegt man, welche Akteure gehören an den Tisch, um die Lage zu bewerten und sie idealerweise auch zusammen zu überwinden.“

Afghanistan: größtes Versuchslabor des Konzepts

Das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze bereitet diese Akteure im Auftrag des Auswärtigen Amts auf die Arbeit in multilateralen Einsätzen vor. Denn nicht nur die Ressorts der Bundesregierung und das Personal, das sie in ein Krisengebiet entsenden, sollen vernetzt handeln; ihre Aktivitäten müssen auch mit denen anderer Nationen und internationaler Einrichtungen sowie mit lokalen Stellen im Einsatzgebiet abgestimmt und gebündelt werden. Die Intervention in Afghanistan, die unlängst für beendet erklärt wurde, war das größte Versuchslabor dieses Konzepts.
Generalleutnant Jörg Vollmer, Inspekteur des Heeres, Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Generalinspekteur der Bundeswehr Volker Wieker (l-r), stehen am 03.05.2017 beim Besuch des Jägerbataillons 291 der Bundeswehr in Illkirch bei Straßburg (Frankreich) vor den Journalisten und geben ein Pressestatement. Der terrorverdächtige
Generalleutnant Jörg Vollmer (l), hier 2017 als Inspekteur des Heeres, mit Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Generalinspekteur der Bundeswehr Volker Wieker. Vollmer war Kommandeur des deutschen Einsatzkontingents in Nord-Afghanistan. (dpa / Patrick Seeger)
Jörg Vollmer blickt zurück. Der deutsche Vier-Sterne-General ist Befehlshaber des „Allied Joint Forces Command“ der NATO in Brunssum, das für die „Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe“ - kurz: ISAF - am Hindukusch zuständig war. Als Kommandeur des deutschen Einsatzkontingents in Nord-Afghanistan hatte Vollmer 2009 und 2013 Erfahrungen mit dem „vernetzten Ansatz“ sammeln können: „Deutscher Ansatz war, sicheres Umfeld und in diesem sicheren Umfeld dann zum Wiederaufbau beizutragen. In unterschiedlichster Form, mit einer Vielzahl von Projekten, die entweder sofort umgesetzt werden konnten oder längerfristig angelegt waren. Also, das waren dann in Verantwortung des Innenministeriums Polizeiausbildung, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit MZ und deren ausführendes Organ GIZ, die dann die Projekte vor Ort durchgeführt haben.

Gleichwertigkeit von zivilen und militärschen Akteuren?

In den afghanischen Provinzen sollten internationale Wiederaufbau-Teams, unter dem englischen Kürzel „PRT“ bekannt, die vernetzte Krisenbewältigung vorantreiben. Diese „PRT“s waren in Feldlagern untergebracht. In Faisabad und Kunduz signalisierten Doppelspitzen aus Kommandeur und Diplomat die Gleichwertigkeit von zivilen und militärischen Akteuren. Doch mit dieser Gleichwertigkeit war es nicht weit her. Der Kommandeur des „PRT“ Kunduz, Oberst Norbert Sabrautzki, beschrieb 2011 die Schlagseite des gemeinsamen Krisenbewältigungsansatzes:
„Auf militärischer Seite haben wir viele Kräfte, die die Sicherheitskräfte ausbilden, beraten, begleiten können. Solche Kräfte haben wir auf der zivilen Seite nicht. Wir haben also niemanden, der täglich im Gouverneurspalast ist und dem Büroleiter des Gouverneurs über die Schulter schaut und ihm ständig Anweisungen geben kann, weil wir ganz einfach das Personal dafür nicht haben.“

Kunduz waren nur eine Handvoll Diplomaten und Entwicklungshelfer

Neben mehreren hundert Soldaten waren in Kunduz nur eine Handvoll Diplomaten und Entwicklungshelfer. Philipp Rotmann, heute stellvertretender Direktor der Denkfabrik GPPI, erlebte das während seiner Tätigkeit für das Auswärtige Amt in Afghanistan: „Während das Auswärtige Amt zum Beispiel dann eben von einem Vertreter, den man zwar im Sinne des politischen Primats, wie es in den Ministerien heißt, den man natürlich an die Spitze gesetzt hat, neben den militärischen PRT-Kommandeur, aber das hat ja nichts daran geändert, dass er ganz alleine war und damit natürlich sehr begrenzte Möglichkeiten hatte, wo er Präsenz zeigen konnte, was er machen konnte.“
Dieses Ungleichgewicht von militärischen und zivilen Akteuren beobachtete Ekkehard Brose auch auf anderen Ebenen des Afghanistan-Einsatzes: „Ich habe auch viel bei der NATO gearbeitet und habe miterlebt, dass ein ziviler Repräsentant der NATO als Posten geschaffen wurde in Afghanistan, aber dieser zivile Repräsentant hatte vielleicht zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Mitarbeiter in seiner Gruppe, während sein militärischer Counter Part – ein Drei-Sterne-General, manchmal ein Vier-Sterne-General – bis zu 100.000 Soldaten befehligte. Also auch da haben Sie diese disbalance.“

Fremdeln auch innerhalb der deutschen Einheiten

In den deutschen PRTs war nicht nur das zahlenmäßige Ungleichgewicht zwischen Soldaten und Zivilisten ein Problem. Man fremdelte auch innerhalb der deutschen Einheiten miteinander. General Vollmer: „Ich habe viele Besucher gehabt als Regional Kommandeur Nord. Täglich lief da ja irgendeine Delegation. Es war ausgesprochen schwierig, die anderen Ressorts, deren Vertreter, was immer unsere Idee war, wir briefen hier gemeinsam, wir stellen gemeinsam vor, was wir machen, da zu bewegen. Und damit ist das Narrativ sehr stark verengt worden auf ein rein militärisches. Völlig zu Unrecht, denn es war immer ein ressortübergreifender gemeinsamer Ansatz.“
Der Mangel vernetzter Denkkultur war jedoch nicht nur Mentalitätsunterschieden zwischen Soldaten, Diplomaten und Entwicklungshelfern im Einsatz geschuldet - die konnten im Alltag oft pragmatisch überwunden werden. Der Mangel war auch Folge einer Abgrenzung, die die beteiligten Ministerien selber vornahmen. Ekkehard Brose, heute Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, erinnert an eine Erfahrung kurz nach Einführung der PRTs 2004: „In dieser Anfangsphase war es so, dass das so, dass das BMZ unter Leitung von Frau Wiezcorek-Zeul damals dezidiert dagegen war, dass Kräfte, Mitarbeiter des BMZ, in einem deutschen PRT überhaupt Aufnahme finden sollten. Weil sie sich ideologisch dagegenstemmte, dass es geschützt durch deutsche Bajonette dort deutsche Entwicklungshelfer ihren Dienst dort tun würden.
Natürlich war das nur in der Anfangsphase so und hat sich dann etwas abgemildert, diese Antipathie, die da bestand. Aber das zeigt schon mal vom ganzen Ansatz her, dass da nicht von Anfang an ein Konsens bestand. Sondern dass unterschiedliche Ressorts in Deutschland unterschiedlich darüber dachten.“

Nicht-Regierungsorganisationen wahrten Distanz

Nicht-Regierungsorganisationen wahrten ohnehin Distanz zu den PRTs. Sie wollten von Einheimischen nicht mit der Bundeswehr assoziiert werden, um nicht zur Zielscheibe gewaltsamer Übergriffe zu werden. Vor allem aber sei es um die Unabhängigkeit der Nicht-Regierungsorganisationen gegangen. Bodo von Borries vom Dachverband VENRO: „Die NROs haben generell natürlich eine politische Distanz, brauchen sie auch für ein unabhängiges Arbeiten. Wir wollen eine vielfältige, selbständige Zivilgesellschaft dort fördern und nicht Durchführungsorganisationen, die nur im Sinne der internationalen Akteure dort irgendwelche Dinge machen. Dazu brauchen wir die Distanz auch. Und wir wollen natürlich auch in die politischen Bereiche gehen, z.B. unabhängige Medien oder Menschenrechtsorganisationen, die brauchen diesen Abstand auch, um kritisieren zu können, um politische Entscheidungen in Frage zu stellen, um gegen zivile Opfer vorgehen zu können. Dass diese Themen angesprochen werden können, das braucht diesen Freiraum.“
Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer begrüßt die Bundeswehr-Soldaten in Taschkent.
August 2021: Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer begrüßt nach dem Endes des Evakuierungseinsatzes der Bundeswehr die Soldaten in Taschkent (Marc Tessensohn / BUNDESWEHR / AFP)
Nach Einschätzung von Philipp Rotmann, heute stellvertretender Direktor der Denkfabrik GPPI, waren die Akteure in Afghanistan anfangs nicht ausreichend vorbereitet: Weder auf Aufgaben im Rahmen eines Staatsaufbau- oder eines Krisenmanagementprojekts. Noch darauf, mit anderen an einem Strang zu ziehen. „Der Bedarf plötzlich in einem Land, in dem keine effektive Regierung da ist, in dem man die politischen Strukturen, die politische Ordnung erst wieder im Aufbau unterstützt, in dieser Situation dann effektiv politisch auf sehr lokaler Ebene zu arbeiten, dafür war erstmal niemand, auch die Militärs auch nicht wirklich vorbereitet. Das mussten die alle unterwegs lernen in diesen Jahren.“

Die Grenzen der Vernetzung

Afghanistan zeigte auch auf, dass der „Vernetzung“ Grenzen gesetzt sind: Je mehr Akteure beteiligt waren, desto schwerer wurde die Verständigung auf gemeinsame Ziele und deren Verwirklichung – ein Grund für das Scheitern der Intervention am Hindukusch. Das Ende des Afghanistan-Einsatzes sei eine gute Gelegenheit zur Überprüfung des „vernetzten Ansatzes“ auf deutscher Ebene, sagt Astrid Irrgang vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze:
„Ich glaube, das ist eine Chance ist für eine neue Regierung, den vernetzten Ansatz nochmal zu reflektieren und zu überlegen, wie man ihn innerhalb der Ressortlandschaft integraler so aufstellt, dass er wirklich in die DNA aller Beteiligten kommt. Afghanistan bietet uns sicherlich aber reichlich Stoff zu reflektieren, wo unsere Fehlannahmen waren. Das müssen wir tun, um die Glaubwürdigkeit für unsere Instrumente auch zurückzugewinnen.“
Denn: In den 20 Jahren, die die Intervention andauerte und in denen der „Vernetzte Ansatz“ umgesetzt werden sollte, gelang es nicht, Afghanistan wirtschaftlich auf eigene Beine zu stellen, eine korruptionsfreie öffentliche Verwaltung und eine unabhängige Justiz aufzubauen. Und: Die Zahl der Toten ist hoch: Rund 70.000 afghanische Soldaten und Polizisten und mindestens 48.000 afghanische Zivilisten wurden von den Aufständischen getötet. Die Lage heute: Nach dem Abzug des Interventionsbündnisses halten die Taliban wieder die Macht in Händen. Das Land ist in einem desaströsen Zustand. Die Menschen hungern.

Wunsch nach mehr gemeinsamer Reflexion

General Jörg Vollmer hätte sich bereits während der 20 Jahre Einsatz mehr gemeinsame Reflexion gewünscht: „Wenn man denn Kritik üben will oder etwas lernen will aus dem Ansatz in Afghanistan, dann ist das kritisch zu hinterfragen, ob wir wirklich gemeinsam uns immer wieder überprüft haben, haben wir das erreicht oder sind wir auf dem guten Weg dahin, was wir uns vorgenommen haben, ganz konkret im Falle Afghanistan.“
Die kritische Reflexion des „vernetzten Ansatzes“ ist schon deshalb nötig, weil sich Deutschland auch weiterhin bei multilateralen Kriseneinsätzen engagiert, beispielsweise in Mali. Dort beteiligt sich die Bundesrepublik zum einen an der UNO-Friedensmission „Minusma“ - zum anderen an der Ausbildungsmission der EU mit polizeilichen Verbindungsleuten, militärischen Beratern und Entwicklungsfachleuten.  Bei der Überprüfung des ‚Wie‘ sollte man es nicht belassen. Philipp Rotmann: „Das Problem dabei ist, dass der vernetzte Ansatz die Frage nicht beantwortet, was sind die richtigen Lösungen für die jeweiligen Probleme. Man braucht erstmal eine problemadäquate Zielsetzung.“
Die Frage des Ziels steht auch für General Vollmer im Vordergrund: „Wir müssen grundsätzlich immer überlegen, was ist denn eigentlich nationales Interesse? Was wollen wir erreichen in einer Region, in einem Land? Darüber müssen wir uns erstmal national darüber klar sein. Und eine klare nationale Position erarbeiten. Ressortübergreifend. Das dann einbinden in die Koalition, mit der wir dort arbeiten, ob das unter NATO-Mandat ist, ob im Rahmen der EU oder ob das in einer Koalition der Willigen ist. Erstmal brauchen Sie eine nationale Position – was ist deutsches Ziel?“

Echtes Koordinationsgremium gesucht

Bei dieser Festlegung sieht Ekkehard Brose die Politik in der Pflicht: „Ziele müssen für größere Einsätze politisch gesetzt werden. Auch da, auf dem Wege dahin, braucht man so etwas wie einen vernetzten Ansatz. Man muss nämlich im Innern verschiedene Ministerien an einen Tisch bekommen, muss verschiedene Aspekte durchdenken und daraus Ziele gewinnen, und ihnen auch eine gewisse Verbindlichkeit geben.
Nach Einschätzung des Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheit ist ein Mentalitätswandel in Exekutive und Legislative, in Ministerien und Parlamentsausschüssen dringend nötig. Der müsse aber auch politisch gewollt sein. Für eine strategischere und kohärentere Außen- und Sicherheitspolitik hält Brose zudem ein echtes Koordinationsgremium für angeraten. So ein Gremium sieht die Koalitionsvereinbarung des Ampel-Bündnisses nicht vor. Doch dass die nächste Bundesregierung am „vernetzten Ansatz“ als außen- und sicherheitspolitischer Leitidee festhält und die Konfliktbearbeitung institutionell stärker verzahnen will, davon zeugt die Ankündigung, die sie gemacht hat: Künftig sollen drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik gemeinsam aufgewendet werden.

"Auch bitteres Anschauungsmaterial durch die afghanische Erfahrung"

Thomas Kleine-Brockhoff vom German Marshall Fund hegt daher keine Zweifel, dass der „vernetzte Ansatz“ Zukunft hat: „In Afghanistan ist ja einiges vor die Hunde gegangen. Und der Vernetzte Ansatz muss selbstverständlich in der Aufarbeitung des Afghanistaneinsatzes überprüft werden – was darin hat funktioniert, was hat daran nicht funktioniert, was war Selbstbetrug, was war Hybris? Selbstverständlich gehören diese Fragen auf den Tisch. Aber das bedeutet doch nicht, dass man einen ‚whole-of-government‘, also einen Versuch unternimmt, die Kräfte einer Regierung und ihre Instrumente zu bündeln, das ist ja der 'vernetzte Ansatz', dass der im Prinzip falsch sei. Wir müssen uns allerdings fragen, welche Ziele genau damit zu erzielen sind und welche Instrumente wie miteinander zusammenpassen. Ich glaube, da hat man nun ausreichend Anschauungsmaterial durch die afghanische Erfahrung, auch bitteres.“