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Afghanistan-Sicherheitsabkommen
Für beide Seiten steht viel auf dem Spiel

Die USA und Afghanistan haben es nicht geschafft, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, sagt die Direktorin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze Almut Wieland-Karimi. Eine "sehr realpolitische Einschätzung" von beiden Seiten habe nun trotzdem zu dem Sicherheitsabkommen geführt.

Almut Wieland-Karimi im Gespräch mit Stephanie Rohde | 22.11.2013
    Dirk Müller: Zumindest ein paar Tage will sich die große Ratsversammlung Zeit nehmen, um hinter verschlossenen Türen über das Sicherheitsabkommen mit den Vereinigten Staaten zu beraten, die Loya Jirga in Kabul, wo auch die großen und die mächtigen Stammesfürsten des Landes zusammensitzen – ein Abkommen, das darüber entscheidet, in welcher Form auch das Engagement der NATO in Afghanistan bestehen bleibt.
    Was denken die Menschen über das Abkommen? Über das Sicherheitsabkommen zwischen Washington und Kabul hat meine Kollegin Stephanie Rohde mit Almut Wieland-Karimi gesprochen, Direktorin des Zentrums für Friedenseinsätze.
    Stephanie Rohde: In Afghanistan ist dieses Sicherheitsabkommen sehr umstritten, und es ist auch noch nicht sicher, ob das Parlament dem überhaupt zustimmen wird. Was ist denn so brisant an diesem Abkommen?
    Almut Wieland-Karimi: Brisant an dem Abkommen ist erst mal die grundsätzliche Frage, ob aus afghanischer Sicht man weiterhin ausländische, internationale Truppen im Land haben will. Es gibt doch sehr viele kritische Stimmen, zu denen auch der Präsident gehört, der sagt, dass Afghanistan nicht sicherer geworden sei als vor dem NATO-Einsatz und dass dieser auch viele Menschenleben gekostet habe, und insofern ist es eine grundsätzliche Diskussion, ob man so ein Abkommen schließen will, was bedeutet, dass bis zu 15.000 Soldaten weiter im Land sein sollen.
    Die Punkte, die besonders umstritten sind, ist die Frage, ob US-Soldaten auch in afghanische Häuser eindringen dürfen, um die zu durchsuchen, wenn sie vermuten, dass dort Terroristen sein könnten oder Extremisten. Das ist die eine Frage und die andere Frage, die sehr umstritten war, ist die Frage nach der Straffreiheit von US-Soldaten beziehungsweise der Schutz vor einer Strafverfolgung in Afghanistan.
    Rohde: Die USA haben damit ja ganz klare Bedingungen gestellt. US-Soldaten sollen eben nicht von afghanischen Gerichten belangt werden können. Wenn Afghanistan dem jetzt nicht zustimmt, dann werden alle Truppen abgezogen, haben die USA gedroht. Grenzt das nicht an Erpressung?
    Beide Seiten sind aufeinander zugegangen
    Wieland-Karimi: Ich glaube – und dem ist jetzt ein sehr langer, monatelanger Verhandlungsprozess vorangegangen, mit Höhen und Tiefen, und zwischendurch sah es tatsächlich so aus, als würde das Abkommen nicht zustande kommen; erst in den letzten Tagen hat sich jetzt herauskristallisiert, dass beide Seiten doch aufeinander zugegangen sind -, ich glaube, da ist eine sehr realpolitische Einschätzung von beiden Seiten. Die Afghanen oder Afghanistan weiß, dass die Sicherheitslage nicht stabil ist. Die wissen auch, dass USA der größte Geber ist für ihre nationalen Sicherheitskräfte und weitere Aufbauprogramme. Und umgekehrt wollen die USA letztendlich ja auch nicht vollkommen aus der Region abziehen.
    Es ist auch eine geostrategisch wichtige Lage. Insofern steht für beide Seiten viel auf dem Spiel. Gepokert haben beide Seiten, aber so ist es natürlich: Wenn ein Abkommen ausgehandelt wird, versucht jeder, möglichst die eigenen Interessen durchzusetzen. Ich glaube, für viele ist die Einschätzung, dass sie sagen, Gott sei Dank, in den letzten Tagen haben sie sich doch noch mal aufeinander zubewegt.
    Rohde: Sehr realpolitisch klingt ja auch, was Karzai heute gesagt hat. Er meinte, ich vertraue den Amerikanern nicht, und sie vertrauen mir nicht. Waren dann alle vertrauensbildenden Maßnahmen der vergangenen zehn Jahre umsonst?
    Situation in Afghanistan seit 2001 massiv verändert
    Wieland-Karimi: Das würde ich auf keinen Fall so sagen. Die Situation in Afghanistan hat sich tatsächlich massiv verändert in den letzten zwölf Jahren. Das Land sieht vollkommen anders aus, als es noch im Jahr 2001 aussah. Aber natürlich: In diesem Prozess haben beide Seiten schmerzhafte Erfahrungen machen müssen, dass man sich eben nicht vertrauen kann. Unter anderem hat Präsident Karzai immer wieder angemahnt, dass es keine zivilen Opfer geben darf bei Übergriffen, die sich eigentlich fokussieren auf islamistische Extremisten oder diejenigen, die den Friedensprozess in Afghanistan nicht unterstützen, aber immer wieder kam es zu zivilen Opfern.
    Insofern ist auf dieser Seite das Vertrauen eingeschränkt, und umgekehrt glaube ich, dass die Amerikaner sagen, dass sie Präsident Karzai für sehr sprunghaft halten, als nicht richtig berechenbar. Da sind, glaube ich, die Perspektiven unterschiedliche, und man hat es, glaube ich, nicht geschafft, ein Verhältnis aufzubauen, dass man sich als gleichwertige Partner sieht, die einander vertrauen.
    Rohde: Karzai misstraut Amerika, aber trotzdem muss er jetzt ja die Afghanen davon überzeugen, dass dieses Abkommen gut ist für Afghanistan. Wie sollte er das denn am cleversten machen?
    Karzai wirbt bei der Loya Jirga für das Abkommen
    Wieland-Karimi: Ich glaube schon, dass er das klug eingefädelt hat, dass er bei der Eröffnung der Loya Jirga gesagt hat, dass dieses Vertrauen zueinander schwer angeschlagen ist, aber er trotzdem für dieses Abkommen wirbt, weil er letztendlich ja nicht sieht, dass Afghanistan alleine in der Lage wäre, für Stabilität, Sicherheit im Land zu sorgen, und dass er so den Bogen schlägt.
    Er möchte ja nicht alleine derjenige sein, der dieses Abkommen unterschrieben hat, sondern er möchte, dass eine große Mehrheit – und die Loya Jirga ist eine Institution in Afghanistan, die traditionell zur Konsensbildung dient -, er möchte auf einer größeren Mehrheit fußend dann dieses Abkommen schließen können.
    Müller: Stephanie Rohde im Gespräch mit Almut Wieland-Karimi, Direktorin des Zentrums für Friedenseinsätze.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.