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Afghanistan
Unzufriedene Studenten sympathisieren mit dem IS

Von Michael Briefs | 02.06.2015
    "Die Regierung will den Konflikt mit den Taliban friedlich lösen, kommt aber keinen Schritt weiter. Dabei übersieht sie, dass von den DAISH (Kämpfer des "Islamischen Staates", Anm. d. Red.) in Afghanistan eine neue und viel größere Gefahr ausgeht."
    Zahra Hosseini studiert Archäologie. Die 21-Jährige mit den asiatischen Gesichtszügen gehört zur ethnischen Minderheit der Hazara. Die politisch engagierte Frau studiert in der als sicher geltenden zentralafghanischen Provinz Bamiyan. An ihrer Uni kann sie sich öffentlich für die Rechte von Frauen einsetzen. An anderen der insgesamt 34 staatlichen Hochschulen geht es weniger friedlich zu.
    Zum Beispiel in der ostafghanischen Provinz Nangahar gegen die Veröffentlichung der Mohammad-Karikaturen im französischen Satiremagazin "Charlie Hebdo" oder im nordafghanischen Kundus, wo deutsche ISAF Truppen im Einsatz waren.
    "Es gab Demos, auf denen dann die Polizei geschossen hat, dabei sind Studenten umgekommen, als dann zum Ramadan nicht genug zum Essen da war, zum Iftar, zum Fastenbrechen."
    Mit dem Ende der ISAF-Mission hat die internationale Gemeinschaft ihre Afghanistan-Hilfe um drei Viertel gekürzt. Jeder Uni steht nur noch ein Budget von 1.000 Dollar zu, um Lehrbücher anzuschaffen. Die verheerenden Folgen für die Ausstattung der Unis und Studentenwohnheime sind für den Afghanistan-Experten Thomas Ruttig mit dafür verantwortlich, dass die Agitation von Salafisten und Dschihadisten zugenommen hat.
    "Die organisieren sich an den Universitäten. Haben zum Teil die Moscheen, die es an den Universitäten in den Wohnheimen gibt, übernommen und bestimmen, wer da rein darf und wer nicht, wer Veranstaltungen machen darf."
    Eine afghanische NGO, die Sozialforschung betreibt, hat Studenten an staatlichen Unis befragt. Heraus kam, dass etwa 80 Prozent der Studierenden die Lehre für miserabel halten. Und dass 70 Prozent der Lehrenden inkompetent oder korrupt seien. Thomas Ruttig: "Viele Studenten, denen es besser geht, die vermeiden, in die Studentenwohnheime zu gehen, denn dort leben die, die aus entlegenen Gegenden kommen und denen es ökonomisch nicht so gut geht. Da sind die Bedingungen ziemlich schlecht."
    Die mithilfe Deutschlands ausgearbeitete Hochschulreform ist auf halbem Weg steckengeblieben. Die aktuellen Curricula sind Makulatur. Das gilt auch für das Pflichtfach islamische Kultur. Darin wird vermehrt ein extrem politischer und polarisierender Islam unterrichtet. Viele junge Afghanen haben die brutale Herrschaft der Taliban nicht mehr bewusst miterlebt und suchen im politischen Islam die Lösung ihrer Probleme. Mit dem IS als eine radikalster Wahl.
    "Es gab die ersten Parolen an Mauern. "Lang lebe der ‚Islamische Staat'". Also da braut sich was zusammen. Was nicht Taliban ist, was nicht Mudschaheddin ist, also die alten islamistischen Gruppen, sondern was völlig Neues, was sehr stark antiwestlich, antiliberal ist."
    Die noch fragile neue afghanische Regierung könnte bald den Zorn tausender unzufriedener und funktionsloser Hochschullehrer und Studenten zu spüren bekommen.
    "Das Problem ist, dass mit dem Rückgang der ausländischen Investitionen, mehr Leute die Arbeit verlieren, sich da auch eine soziale Radikalisierung anbahnen kann in dieser insgesamt antiwestlichen Stimmung."
    Angst vor Armut ist ein guter Nährboden für extremistische Organisationen. Thomas Ruttigs Analyse wird auch durch die Feldforschung afghanischer Kollegen bestätigt:
    "Da gibt es große Bedenken auch unter afghanischen Forschern, dass sich das halt jetzt auch mit dem Vorbild des IS, des ‚Islamischen Staates' in Syrien und Irak, dass sich da Solidarisierungen ergeben."
    Nicht alle Beobachter teilen diese Einschätzung. Der afghanische Islamwissenschaftler Borhan Osman erforscht neue islamistische Trends an afghanischen Bildungseinrichtungen. Der Sohn eines islamischen Geistlichen hat seine Hochschulreife in einer Koranschule erworben, die auch säkulare Bildung vermittelt. Borhan Osman bezweifelt, dass der IS eine Massenbewegung an afghanischen Hochschulen wird.
    "Ich habe die Graffitis von DAISH-Sympathisanten gesehen mit der Parole "Hoch lebe der ‚Islamische Staat'". Die jungen Afghanen wissen sehr wenig über den IS. Ihre Parolen spiegeln eher eine Faszination für Militärparaden und schwarze Fahnen wieder als eine ideologische Identifikation. Diese Leute sind unorganisiert und opportunistisch. Sie haben keine Chance, sich mit IS-Zellen im Irak und Syrien zu vernetzen."
    2009 bis 2012 war es in nordafghanische Universitäten zu Revolten militanter Studenten gekommen. Meist als Reaktion auf westliche Antiterror-Einsätze. Nach dem Abzug der ISAF-Truppen hat sich die Lage wieder beruhigt. Borhan Osman zufolge ist das Nachlassen der Proteste an afghanischen Unis auch dadurch erreicht worden, dass betroffene Hochschulleitungen strikte Gegenmaßnahmen eingeleitet haben.
    "Anders als auf dem Höhepunkt der Proteste vor fünf Jahren sind die Aufrufe zum Dschihad und Gewalt, die vom Campus ausgehen, rückläufig. Damit ist eine Strategie der Regierung in den Unruhe-Provinzen Khost und Nangahar aufgegangen, wonach Studenten ab dem zweiten Semester der Zutritt zu den Studentenwohnheimen untersagt ist."
    Noch sind IS-Gruppen an afghanischen Universitäten ein Randphänomen. Es bleibt die bange Frage, ob in den vergangenen Jahren ausreichend Zeit war, die afghanische Zivilgesellschaft gegen neue radikale Einflüsse wehrhaft zu machen. Bildung war hier bislang ein Schlüssel dazu. Jetzt, wo die Afghanen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen und viele Universitäten darniederliegen, wird das Schutzschild der Bildungsinstitutionen zunehmend brüchiger.