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Afghanistan
US-Armee bombardiert Krankenhaus in Kundus

Bei einem mutmaßlichen US-Luftangriff im nordafghanischen Kundus wurde ein Krankenhaus der Organisation Ärzte ohne Grenzen komplett zerstört. Bei dem Bombardement starben mindestens 19 Menschen. Die US-Armee erklärte, möglicherweise habe einer ihrer Angriffe heute Nacht "Kollateralschäden verursacht".

Von Jürgen Webermann | 03.10.2015
    Bei einem US-Luftangriff in Kundus ist ein Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen zerstört worden.
    Das Krankenhaus in Kundus wurde völlig zerstört und brannte aus. Zum Zeitpunkt des Angriffs hielten sich laut Ärzte ohne Grenzen fast 200 Menschen in der Klinik auf. (picture alliance / dpa / MSF digital publications )
    Um kurz nach zwei Uhr in der Nacht griffen US-Maschinen Ziele in Kundus an, und offenbar hatte ihnen jemand falsche Koordinaten durchgegeben. Denn sie trafen das Krankenhaus der Organisation Ärzte ohne Grenzen, eine Klinik, die auch der US-Armee seit Jahren sehr bekannt ist.
    Das Gebäude wurde völlig zerstört und brannte aus. Viele Ärzte, Pfleger und Patienten werden vermisst. Einigen gelang es laut Augenzeugen, sich ins Freie zu retten. Zum Zeitpunkt des Angriffs hielten sich laut Ärzte ohne Grenzen fast 200 Menschen in der Klinik auf, die seit Tagen überfüllt ist mit verletzten Zivilisten, darunter viele Kinder. Das Krankenhaus verfügt normalerweise über rund 100 Betten.
    Das Krankenhaus liegt in Trümmern
    Mitarbeiter des Krankenhauses behandelten nach dem Luftschlag viele Verletzte, notdürftig und unter unzumutbaren Bedingungen in den Räumen des städtischen Krankenhauses von Kundus, wie es heißt - aber von außen scheint derzeit keine Hilfe den Stadtteil zu erreichen, in dem sich diese Klinik befindet.
    Es werde auf den Straßen gekämpft, sagte der Leiter der Gesundheitsbehörde in Kundus. Er habe sich aus dem Gebiet wieder zurückziehen müssen. Einem afghanischen Kamerateam gelang es, kurzzeitig in der Stadt zu filmen. Auf den Bildern sind verwüstete Büros einer ausländischen Hilfsorganisation zu sehen. Auf anderen die rauchenden Trümmer des Krankenhauses von Ärzte ohne Grenzen. Ein junger Einwohner aus Kundus steht voller Angst vor seinem Haus.
    "Die Lage ist nicht gut. Wir trauen uns kaum heraus, weil immer wieder geschossen wird. Wir haben nichts mehr zu essen. Wir haben Angst."
    Anhaltende Kämpfe hinterlassen Bild der Verwüstung
    Die US-Armee erklärte, möglicherweise habe einer ihrer Angriffe heute Nacht – so wörtlich - Kollateralschäden verursacht. Der Vorfall werde untersucht. Gemeint war der Angriff auf das Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen, das bisherigen Aussagen zufolge mehrfach beschossen wurde. Die Mediziner hatten dort tagelang Verletzte operiert und behandelt, langsam drohten ihnen schon, die Medikamente auszugehen. Ihr Krankenhaus war das letzte in Kundus, das noch halbwegs geregelt funktioniert hatte.
    Die anhaltenden Kämpfe hinterlassen in der Stadt ein Bild der Verwüstung. In mehreren Stadtteilen scheinen sich Taliban-Kämpfer zu verschanzen. Die afghanische Armee hat große Probleme, die Stadt komplett zu kontrollieren. Derzeit kommt niemand hinein. Die meisten geflohenen Zivilisten trauen sich auch gar nicht mehr nach Kundus. Eine Familie, mit der auch das ARD-Hörfunkstudio Südasien in Kontakt steht, ist in eine benachbarte Provinz geflohen, in der die Taliban jetzt ebenfalls seit zwei Tagen angreifen.
    Zivilisten geraten ins Kreuzfeuer
    Die Angst vor den Extremisten scheint viele Einwohner von Kundus regelrecht zu verfolgen. Auch in der Provinz Badachschan, durch die die Armee Verstärkung für ihre Truppen in Kundus herbei schafft, ist eine Kampfzone. Die Taliban brachten dort seit Donnerstag offenbar zwei Distrikte unter ihre Kontrolle. Auch in der Provinz Kundus kontrollieren sie einen großen Teil des ländlichen Gebietes. So scheinen sie immer noch in der Lage zu sein, ihrerseits Kämpfer oder Nachschub in die Stadt zu bringen.
    Wie viele Menschen seit dem Angriff auf Kundus am Montag gestorben sind, darüber gibt es nicht einmal ansatzweise einen Überblick. Es gibt Berichte über Zivilisten, die beim Versuch zu fliehen, ins Kreuzfeuer geraten sind. Außerdem sollen die Taliban nicht nur geplündert, sondern auch gezielt nach Mitarbeitern der Regierung, der Armee sowie von Hilfsorganisationen gesucht haben.