Samstag, 20. April 2024

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Agnès Vardas neuer Film
Königin des essayistischen Roadmovies

Postboten, Bauern, Kellnerinnen: Für ihren neuen Film hat Agnès Varda zusammen mit dem Street-Art-Künstler JR Menschen in ganz Frankreich besucht. Ein Roadmovie über die "kleinen Leute", sagt Filmkritikerin Katja Nicodemus im Deutschlandfunk - und empfiehlt den Film allen Kinobesuchern.

Katja Nicodemus im Gespräch mit Michael Köhler | 31.05.2018
    Agnès Varda auf dem roten Teppich bei den 71. Filmfestspielen von Cannes 2018
    Die Filmemacherin Agnès Varda bei den 71. Filmfestspielen von Cannes 2018 (imago stock&people)
    Auch mit 90 Jahren ist die französische Filmemacherin Agnès Varda nicht zu bremsen. Gemeinsam mit dem Street-Art Künstler JR drehte die Mutter der "Nouvelle Vague" den Film "Augenblicke. Gesichter einer Reise". Der Film, der letztes Jahr in Cannes Premiere feierte, kommt heute in die deutschen Kinos.
    Für den Film haben sich die beiden auf Reisen begeben: Mit seinem "Fotomobil" - einem Kleinbus mit Laserdrucker - durchqueren sie Frankreich von Nord nach Süd, lassen sich treiben, suchen das Gespräch. Sie sprechen mit Postboten, Bauern, Kellnerinnen. Deren überlebensgroße Porträts plakatieren sie auf Mauern, Wände, Häuser. Dieser Film ist ein Kunstwerk über die Entstehung von Kunst, resümmiert Filmkritikerin Katja Nicodemus im Deutschlandfunk - über die Begegnung zweier Künstler, deren Haltungen, Lebensgefühle, biografische Erfahrungen zu einem gemeinsamen Blick zusammenfließen.
    Stellvertretend für Wandel in der Gesellschaft
    Und er ist auch: Ein Roadmovie über die so genannten kleinen Leute, ihre Arbeit, ihr Leben, ihre Widerständigkeit im Alltag. "Alle diese Menschen verbindet, dass sie für bestimmte Arbeitswelten stehen, auch für die Geschichte und den Wandel einer Gesellschaft", berichtet Nicodemus.
    "Zum Beispiel fahren die beiden mit dem Fotomobil in ein verlassenes französischea Dorf, in eine Bergarbeitersiedlung. Dort harrt eine einzige Bewohnerin aus, in ihrem Backsteinhäuschen. Und die erzählt vom Alltag der Bergarbeiter früher, von den verrußten Gesichtern, der harten Arbeit - und man hat das Gefühl, diese Frau hat ein Bewusstsein dafür, dass, wenn sie da verschwindet, auch ein Stück französische Arbeitergeschichte verschwindet." Es sei bewegend zu sehen, wie genau diese Frau auf ihr Häuschen plakatiert werde.
    Das Nouvelle-Vague-Hafte im neuen Film
    Varda erfindet sich laut Nicodemus mit dem Film neu, im Gegensatz zu und im gemeinsamen Reisen mit dem viel jüngeren Künstler JR. "Die Nouvelle Vague zeichnet sich durch einen Bruch mit erzählerischen Kino-Traditionen der 50-er Jahre aus", so Nicodemus, "und dieses Prinzip, die Wirklichkeit einziehen zu lassen in die Bilder, in den Ton, und das auch frei zu montieren - diese Freiheit hat sich Varda bewahrt, und diese Freiheit ist das Nouvelle Vaguehafte an dem neuen Film." Sie sei immer die Königin des essayistischen Roadmovies gewesen - und das setze sie jetzt noch einmal, auf andere, aber wieder bewegende Weise fort.