Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Ken Bugul: "Riwan oder der Sandweg"
Einblicke in die fremde Welt des Harems

Wie kann eine junge, aufgeklärte Frau, die in Europa studiert und gelebt hat die 28. Ehefrau eines spirituellen Führers im Senegal werden? Die Geschichte der Schriftstellerin Ken Bugul zeigt ihren persönlichen Weg verbunden mit tiefen Einblicken in die traditionellen Strukturen der senegalesischen Gesellschaft.

Von Birgit Koß | 03.04.2018
    Buchcover: Ken Bugul: "Riwan oder der Sandweg"
    Buchcover: Ken Bugul: "Riwan oder der Sandweg" (Buchcover: Unionsverlag, Foto: imago / imagebroker / Egmont Strigl)
    Die temperamentvolle 70-Jährige echauffiert sich schnell, wenn es um ihre weit zurückliegenden Romane geht. Ken Bugul, deren Name bedeutet "eine die unerwünscht ist", sagt, das Schreiben ihrer ersten drei stark autobiographisch geprägten Bücher habe für sie eine therapeutische Wirkung gehabt. Von Feministinnen ist sie immer wieder angegriffen worden, wie sie in ihrem dritten Roman so positiv über die Polygamie habe schreiben können. Doch man könne "Riwan oder der Sandweg" nur dann verstehen, wenn man den Hintergrund des zweiten Teils der Trilogie kennt:
    "Wenn Sie das zweite Buch gelesen hätten – in dem habe ich praktisch alles aufgearbeitet, was mir in Frankreich widerfahren ist. Da habe ich dermaßen gelitten – rassistische und häusliche Gewalt und am Ende meines französischen Aufenthalts war ich eingesperrt in einer psychiatrischen Klinik. Ich wurde als Objekt behandelt, ich wurde abgelehnt, ich wurde gedemütigt und das hat mich erst dazu gebracht, zu meinen afrikanischen Wurzeln zurückzukehren."

    Mit 33 Jahren kehrte Ken Bugul in den Senegal zu ihrer Familie zurück. Sie war psychisch und physisch am Boden – mittel- und obdachlos. Und das, obwohl sie in Europa studiert und damit angeblich das große Los gezogen hatte. Ihre Mutter schämte sich für die Gescheiterte und versteckte die ungeliebte Tochter vor den Augen der anderen Dorfbewohner. Diese Situation bildet den Ausgangspunkt des Romans "Riwan oder der Sandweg".
    "Ich war wie eine zerbrochene Puppe, achtlos weggeworfen, eines Abends auf einer menschenleeren Straße. Ich hatte mir, ohne es im Grunde wirklich zu wollen, verzweifelt gewünscht, so zu sein wie die meisten meiner Zeitgenossinnen, ich hatte Klischeevorstellungen entsprechen wollen. Eine moderne Frau hatte in einem monogamen Haushalt zu leben, hatte unbedingt zwei oder drei Kinder zu haben."
    Erfahrungen auf losen Zetteln
    Die gebrochene junge Frau beginnt im Dorf, auf der Straße ihre Erfahrungen der Kindheit und in Europa aufzuschreiben – auf losen Zetteln, weil sie über ihre Erfahrungen nicht sprechen kann. Dann begibt sie sich eines Tages in den Hof des Serignes – eines spirituellen, hoch angesehenen Führers im Senegal. Mit ihm beginnt sie schnell einen intellektuellen Austausch auf Augenhöhe, aber sie fühlt sich von diesem klugen, gütigen Mann auch körperlich angezogen. Und dann wird sie von ihm erwählt:
    "Wie könnte ich dem Mann gegenübertreten, der erst am Vorabend beschlossen hatte, mein Mann zu sein, ohne dass jemand gewagt hätte, ihm zu widersprechen?"
    Die Ich-Erzählerin wird, ebenso wie Ken Bugul selbst, die achtundzwanzigste Frau des Serignes. Sie erlangt damit einen angesehenen gesellschaftlichen Status und findet ihr Selbstvertrauen wieder. Er unterstützt ihrer Idee, ihre Erlebnisse aufzuschreiben, und gibt ihr Geld für die erste Schreibmaschine.
    "Auch die Ich-Erzählerin ist am Anfang geschockt wegen der Polygamie. Aber dann sieht sie, dass es am Hof des Serigne wirklich heitere und sehr schöne Frauen gibt. Sie sieht auch, dass die Polygamie nicht das Problem ist, sondern dass es um die Beziehungen untereinander geht. Also dieser Mythos, den man im Westen oft hat, dass der Mann das höhere Wesen ist, allein selig machend und so weiter, der bleibt uns in Afrika erspart, weil wir sagen, im Grunde genommen sind die Männer ein Mittel für die Frau, sich selbst zu erkennen und zu wissen, was sie aus einer Beziehung herausziehen möchte. Es geht nicht darum, dass die Frauen den Männern zu Diensten sind. Denn man muss dieses System des Serignes verstehen. Er hat eine ganz besondere Stellung, weil er ein sozialer Mittelsmann ist und bei den ganzen Problemen die wir haben, politisch, sozial, wirtschaftlich und bei den schnellen Veränderungen brauchen wir etwas, das sozial akzeptiert ist und legal und dazu gehört bei uns auch die Polygamie."
    Die Heiratspolitik und die Bedeutung der Jungfräulichkeit
    Ken Bugul, eine strake, emanzipierte Frau, gibt sich in Diskussionen gern als "Enfant Terrible", wenn es um ihre befristete Zeit als 28. Ehefrau geht und verallgemeinert ihre Erfahrungen mit Formulierungen wie "wir in Afrika" in unzulässiger Weise, nur um dann schnell auf andere, für sie aktuellere Themen überzugehen. Für sie persönlich, war die Erfahrung am Hof des Serigne, die Rettung aus ihrer damaligen, desolaten Situation und hat die Rollenbilder, die sie in der konservativen, französischen Schule vermittelt bekommen hatte, in Frage gestellt. All dies bringt sie in dem Roman "Riwan oder der Sandweg" sehr nachvollziehbar zum Ausdruck. Sie schreibt aber nicht nur über ihr eigenes Schicksal. Sie schildert die Erfahrungen der anderen Frauen des Serignes und gewährt damit einen tiefen Einblick in die sozialen Strukturen der senegalesischen Gesellschaft. Sie beschreibt die Heiratspolitik und die Bedeutung der Jungfräulichkeit. Es gehe dabei nicht um das persönliche und oft flüchtige Glück einzelner, sondern um die Einhaltung gesellschaftlicher Pflichten und Normen. In diesem Roman, in dem die Autorin ihre ganz eigene Ausdrucksform findet zwischen reportageartigen Elementen, politischen Exkursen, kurzen pointierten Sentenzen, gewollten Wiederholungen und einer poetischen Sprache mit einem ganz eignen Rhythmus ist sie für die westliche Welt bewusst provokant.
    "Und nun war ich in dem Dorf, in das ich zurückgekehrt war, um zu sterben oder um neu auf die Welt zu kommen, urplötzlich die Frau des Serignes geworden die Frau der höchsten Autorität weithin, der moralischen, materiellen, spirituellen Instanz, des Garanten des Paradieses fast. Man hatte mich ihm weder geschenkt noch zum Zeichen der Treue überlassen. Er hatte mich gewollt, er hatte mich genommen. Einfach so."
    Auch Begehren und Verführungen spielen eine Rolle, und die Ich-Erzählerin macht sich Gedanken zum Thema Eifersucht. Doch letztendlich lösen sich alle Fragen zum Thema Polygamie für die Geschichte und die Autorin mit dem plötzlichen Tod des Serignes. Und so setzt Ken Bugul heute eindeutig andere Prioritäten:
    "Was interessieren uns denn die Männer, das sind nicht die Probleme, die uns zuerst im Kopf herum gehen, ob wir nun einen Mann für uns alleine haben oder nicht. Für uns ist es doch viel wichtiger, - wie die wirtschaftlichen Strukturen aussehen. Afrika geht es schlecht und wir haben ganz andere Sorgen – Diktaturen, gewalttätige Konflikte, Völkermord, Boko Haram."
    "Selbst produzieren, nicht importieren"
    Schon in "Riwan" äußert sich die Autorin explizit politisch zur wirtschaftlichen Abhängigkeit des afrikanischen Kontinents:
    "Afrikas Mysterien, Afrikas Geheimnisse, Afrikas Hexer waren also Irreführung, Betrug? Dann legen wir doch andere Werte, andere Orientierungspunkte, andere Maßstäbe fest, um kommenden Jahrtausenden zu trotzen! Selbst produzieren, nicht importieren!"
    Dieser Roman ist nach fast 20 Jahren noch immer aktuell, gibt Denkanstöße in politische Richtungen und faszinierende Einblicke in die fremde Welt des Harems. Die Autorin setzt damit ein Zeichen für viele starke senegalesische Frauen. Ken Bugul schafft die Verbindung ihrer höchst poetischen Sprache mit streitbaren Themen. Der Roman, an dem sie zurzeit arbeitet, beschäftigt sich mit dem Thema Migration. Hoffen wir auf viele weitere Übersetzungen dieser kontroversen Autorin.
    Ken Bugul: "Riwan oder der Sandweg"
    Unionsverlag, Zürich 2018, 249 Seiten, 12,95 Euro.