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Ai Weiweis Jahre in New York

Der Martin Gropius Bau zeigt Werke des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, der in seiner Heimat als Dissident inhaftiert war. Es werdem seine Schaffensjahre zwischen 1983 und 1993 in New York dokumentiert. Die Fotoarbeiten drehen sich um Abweichungen, die in New York keine sind: Transvestiten, Künstler, Obdachlose.

Von Carsten Probst | 16.10.2011
    Natürlich ist auch diese Ausstellung wieder eine Mahn- und Gedenkveranstaltung für den nach wie vor in Peking unter Hausarrest stehenden Ai Weiwei. Natürlich werden die Betroffenheitsformeln der Ai Weiwei-Mahn- und Gedenkliturgie heruntererzählt, seine Verdienste, sein Leiden, seine Wichtigkeit gerade heute. Er selbst unterstreicht diesen Charakter der Ausstellung noch durch das Übermitteln einer, wie es heißt, konspirativ und auf verschlungenen Wegen in den Westen gelangten Videobotschaft an die Pressekonferenz aus dem Garten seinen Hauses. Man darf sich also als irgendwie Mitverschworener fühlen, wenn Ai Weiwei die kurzen Worte an uns alle richtet:

    "Leider kann ich gerade nicht zu meiner Ausstellung in Berlin kommen, see you later."

    Das ist natürlich sarkastisch gemeint, das versteht jeder. Und natürlich versteht man auch, dass sich der seit Joseph Beuys politisch und in seiner gesellschaftskritischen Potenz marginalisierte Kunstbetrieb des Westens an Erscheinungen wie Ai Weiwei labt, weil momentan offenbar nur Ai Weiwei eine Illusion von erfolgreicher künstlerischer Rebellion gegen die übermächtigen Wirtschaftskomplotte dieser Welt symbolisiert.

    Ai Weiweis Fotografien aus seiner New Yorker Zeit zwischen 1983 und 1993 wären bestens geeignet, die Hagiografie des Rebellen fortzuschreiben. Des Dissidentensohnes, der nach dem Tod Maos Ende der siebziger Jahre mit seinen Eltern aus der zwanzigjährigen Verbannung in einem nordchinesischen Kaff nach Peking zurückkehrte, dann schon an einigen rebellischen Kunstaktionen der Künstlergruppe "The Stars" beteiligt war und schließlich, als 26-Jähriger nach Amerika ging, in jenes Reich der Freiheit, das in chinesischer Sprache "Schönes Land" heißt. Dort, in diesem schönen Land der Freiheit, sollte Ai Weiwei unter anderem bei dem Maler Sean Scully studieren, der ihn Prinzipien der westlichen Moderne lehrte, obwohl sich beide nicht gut miteinander verstanden haben sollen. In den zehn Jahren seines Lebens in einem winzigen Appartement an der Lower East Side hat Ai Weiwei Tausende Fotografien geschossen, in denen er Straßenszenen fotografiert, auch Demonstrationen und Polizeieinsätze, Frank Zappa auf dem Klo imitiert, Obdachlose und Ausstellungen.

    Doch etwas ist diesmal anders als in anderen Ai-Weiwei-Ausstellungen. Und das liegt daran, dass es plötzlich immer weniger um Ai Weiwei geht. Denn da tauchen lauter andere Gesichter in seinen Bildern auf, Besucher seiner Wohnung, die er in Schnappschüssen porträtiert hat. Vielleicht will er damit sagen: Schaut her, mit wie vielen Künstlern und Intellektuellen meiner Heimat ich schon damals vernetzt war. Tatsächlich aber ist die erste Ausstellung, in der Ai Weiweis Symbolfunktion für den politischen Widerstand seiner Landsleute andeutungsweise eingelöst wird. Wer hier in diesen Bildern zu sehen ist, hat unter dem chinesischen Regime zu leiden oder zu leiden gehabt, oder er würde leiden, wenn er nicht im Exil leben würde. Ai Weiwei hat sich dankenswerterweise die Mühe gemacht, sie alle beim Namen zu nennen - und ermöglicht so den überfälligen Blick auf alle, die gerade etwas weniger nachgefragt werden als der Urheber dieser Fotografien: Auf den Regisseur und Autor Chen Kaige, die Dichterin Shu Ting, den Dirigenten Tan Dun, den Videokünstler Wang Gongxin, die Schauspielerin Bai Ling, den Lyriker Bei Dao, den Maler Zhao Gang, den Performancekünstler Hsieh Tehding, den Bildhauer Wang Keping, den Filmregisseur Gu Changwei, den Musiker Hu Yongyan, den klassischen Maler Chen Danquing, den Maler Guo Wei, den Filmemacher Xie Fei oder den Maler Chen Yifel. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Zeit für mehr Ausstellungen über all diese.