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"Aida" mit Camouflage und Panzer

Aktualisieren auf Biegen und Brechen: Regisseur Olivier Py inszeniert Verdis "Aida" an der Pariser Oper mit Panzern und demolierten modernen Betonbauten in einer Videoinstallation. Die von Philippe Jordan zügig geleitete Aufführung überzeugt immerhin großteils.

Von Frieder Reininghaus | 11.10.2013
    Auf der Place de la Bastille mobilisierten iranische Gegner der Todesstrafe - wobei nicht ausgemacht ist, ob diese Gruppe von Oppositionellen, wenn sie in Teheran zur Macht gelangte, weniger martialisch "durchgreifen" lassen würde als gegenwärtig die Mullahs. Im Vorfeld der Eingangstüren des großen Opernhauses von Paris fanden verschärfte Karten- und Taschenkontrollen statt. Offensichtlich sollte unerwünschte Mitwirkung des Publikums bei der "Aida"-Premiere vermieden werden. Denn auch in diesem Haupt- und Staatstück des Jubilars Verdi geht es um Todesstrafe - um ein Urteil, das wegen Verrats von militärischen Geheimnissen und Fahnenflucht nach den Rechtsnormen des zweiten oder dritten Jahrtau-sends vor Christus völlig zurecht erging: Radames, der im Feldzug gegen die südlichen Nachbarn siegreiche junge Generalstabschef des Pharaos, entzieht sich der patriotischen Pflicht, außer dem ägyptischen Vaterland auch die allerhöchste Landesjungfrau zu befrieden. Er sucht sein Glück bei einer von deren Mitarbeiterinnen und provoziert dadurch die tödlichste Eifersucht.

    Es ist eine alte Geschichte - und doch kann sie immer wieder neu werden. Als optischen Rahmen setzten Olivier Py und Pierre-André Weitz ganz in Gold getauchte Herrschaftsarchitektur aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie versuchten, neuzeitlichen politischen Aspekten Nachdruck zu verleihen, indem sie die Pharaonenherrschaft mit der österreichisch-ungarischen im Italien der Risorgimento-Ära konnotierten – und den Kampf von Amonasro und dessen Leute mit der nationalen Bewegung. Das "Aktualisieren" funktioniert auf Biegen und Brechen in etwa so: Der junge Freiheitsheld, der die italienische Trikolore schwenkt, trägt nackten Oberkörper. Ein Gruß an die Gemeinde! Eine Video-Animation zeigt dazu eine Uferlandschaft mit demolierten modernen Betonbauten. Die Offiziere tragen russische Paradeuniformen aus seliger Zarenzeit, die Mannschaftsgrade Kampfanzüge in Tarnfarben. Zum Aufbruch von Radames in den sudanesischen Krieg schieben vier Statisten einen fast lebensgroßen Panzer herein. Im Keller sammeln sich drei große Haufen nackter Männerleichen an, als wären auch unsere deutschen Väter und Großväter bei Aida zu Gast und als KZ-Betreiber aktiv gewesen. Und so weiter.

    Die erboste Hälfte des Publikums hatte zuvor schon lautstark gegen die Ausstaffierung der altägyptischen Priesterkaste als römisch-katholischer Klerus protestiert, gegen das Flambieren eines großen Metallkreuzes und den ordnungspolitisch gebotenen Einsatz der sehr französisch aussehenden Soldaten. Olivier Py hat mit der oberflächlich scharfen optischen Würze den Widerspruchsgeist derer geweckt, denen schon Pierre Boulez vor einem halben Jahrhundert nachsagte, sie seien besonders reaktionär. Der Regisseur hat sein Ziel erreicht: Sein zusammengequirlter Quark erschleicht sich die Aura eines aufklärerischen Kunstwerks. Das allerdings wäre das allerletzte.

    Die von Philippe Jordan differenziert und effektsicher, insgesamt zügig geleitete Aufführung war nicht in allen großen Partien ganz optimal besetzt, wiewohl mit dem Tenor von Marcelo Alvarez für den politisch naiven Krieger Radames, mit der wuchtigen Mezzosopranistin Luciana d’Intino als Erbin des Pharaonenthrons und mit der gleichfalls nicht immer ganz spursicheren Oksana Dyka im Prinzip prächtige Stimmen aufgeboten worden waren.