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Ainu-Kultur
Das versteckte Volk Japans

Die Ainu wurden jahrzehntelang von Japan diskriminiert: ihr Gebiet annektiert, die Sprache und Lebensart verboten. Auch heute wird dort ihre Kultur eher als Folklore betrachtet - dabei gibt es noch viele dieser Ureinwohner, die allerdings ihre kulturelle Identität oft verborgen halten.

Von Jürgen Hanefeld | 16.04.2016
    Eine Gruppe Menschen steht im Kreis zueinander.
    Musik und Tanz sind klassische Ausdrucksformen der Ainu, die sich bis heute erhalten haben. (ARD / Jürgen Hanefeld)
    "Wir verstecken uns. Wir wollen nicht auffallen unter den Japanern. Zu lange wurden wir gehänselt und gedemütigt - als Ureinwohner. Nur in der eigenen Familie wissen wir, dass wir Ainu sind. Nur da finden wir unsere Identität."
    Masahiro Nomoto ist eine Ausnahme. Er versteckt sich nicht. Als Direktor des Ainu-Museums in Shira-oi wäre es Unsinn, seine Herkunft zu verleugnen. Doch selbst er geht sehr zurückhaltend damit um. Anders als andere ethnische Minderheiten sei sein Volk schon lange marginalisiert worden. Die meisten Ainu schämten sich, Ainu zu sein.
    Sprache der Ainu wurde 1899 verboten
    "Meine Großeltern haben noch als Ainu gelebt. Ainu war ihre Muttersprache. Aber die wurde 1899 verboten. In der Schule wurde den Kindern erzählt, Ainu seien Wilde, ihr Leben primitiv, Japaner dagegen seien zivilisiert, sie sollten diesem Ideal nacheifern. Deshalb kann aus meiner Generation niemand mehr unsere Sprache sprechen."
    Ainu ist eine ganz eigenständige Sprache, mit keiner anderen verwandt. Die junge Frau, die für die Besucher des Museums eine klassische Ainu-Legende singt, weiß, dass sie nur den Klang nachahmt. Und doch wird ein Zauber spürbar bei ihrem Vortrag im flackernden Schein des Feuers, um das sich eine Handvoll Neugieriger versammelt hat. In solch einer geräumigen Hütte aus Holz und Stroh hätten die Jäger und Sammler abends über Stunden hinweg den Geschichten gelauscht - über die Heldentaten ihrer Vorfahren im Kampf mit Dämonen.
    Nicht mehr als Folklore
    Doch auch eine Gruppe lebender Ainu kämpft gegen mächtige Gegner. Drei von ihnen streiten seit 2012 mit der Hokkaido-Universität um die Herausgabe von Skeletten ihrer Vorfahren. Der Hintergrund: Bis 1972 haben sich Archäologen als Grabräuber betätigt und die Gebeine der Ainu zu so genannten Forschungszwecken geplündert. Ein handfester Skandal, meint Uwe Makino, Autor eines gerade erschienenen Fachbuchs zum Thema. Doch paradoxerweise zugleich ein Grund, warum die Chancen der Kläger nach seiner Einschätzung gering sind:
    "Die japanische Regierung hat beschlossen, alle Ainu-Gebeine an japanischen Universitäten, das sind über 1660, in der Stadt Shira-oi auf Hokkaido zentral zu lagern. Und auch ein neues Museum soll dort entstehen. Wenn also diese Klage durchkäme, würden wohl weitere Klagen der Ainu auf Rückgabe der Gebeine folgen und dieses Prestige-Objekt wäre in Gefahr - unmittelbar vor den Olympischen Spielen 2020."
    Darin zeigt sich die Haltung der japanischen Regierung gegenüber der ethnischen Minderheit auf typische Weise: Die Ainu sollen als Teil der frühen Geschichte des Landes gewürdigt werden und als Folklore - aber nicht als lebendiges Volk, beklagt Masahiro Nomoto.
    Auch wenn es empörend ist, dass man die Knochen ihrer Vorfahren gestohlen hat, sie nun in einem Skelettspeicher zu sammeln, zeugt auch nicht von tiefer Kenntnis. Ein Beinhaus, sagt Masahiro Nomoto, gehört nicht zu unserer Kultur. Aber wir Ainu werden ja nicht gefragt.