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Akademischer Austausch mit Israel
Made in Germany zieht als Marke

Die Zahl der israelischen Studierenden in Deutschland nimmt zu. Für viele ist der Holocaust keine Hindernis. Sie interessiert der Lebensstandard, die Studienfächer oder auch das Land an sich. Umgekehrt studieren Deutsche in Israel und erleben eine andere Diskussionskultur, bei der die Vergangenheitsaufarbeitung kein Tabu ist.

Von Andrea Lueg | 04.06.2015
    Das Label "Made in Germany" steht immer noch für Qualität.
    Israelische Studierende zieht das Prädikat "Made in Germany" nach Deutschland (imago/Jochen Tack)
    "Meine Großmutter kommt aus Berlin, meine Familie musste Berlin 1933 verlassen, weil sie Juden waren." - "Das ist eine neue Generation, wir haben mit der Vergangenheit nichts zu tun, für Leute in unserem Alter ist es eine ganz andere Welt, wir müssen weitermachen, nach vorne schauen."
    Berlin ist angesagt - bei jungen Israelis so wie bei vielen jungen Menschen in der ganzen Welt. Die Tatsache, dass sich trotz der deutschen Geschichte immer mehr für ein Leben in Deutschland interessieren, hat auch der Deutsche Akademische Austauschdienst registriert. Im vergangenen Jahr hat er ein Information-Center im quirligen Tel Aviv eröffnet. Israel gehört zu den Top-Ländern in der Forschung und es gibt schon viele Kooperationen. Aber: Da geht noch mehr, meint Verena Shiffermann, die das DAAD Büro in Tel Aviv führt. "Wir haben natürlich Berlin für viele als ersten Verknüpfungspunkt, aber von da aus gehen dann wirklich viele, auch durch unsere Arbeit hier im Information Center, sehen dann auch, dass es noch ganz andere Städte in Deutschland gibt, wo man studieren kann."
    Da steht dann auch schon mal Clausthal-Zellerfeld auf dem Zettel oder Bochum oder Aachen. Ein breites Spektrum von Fächern interessiert die jungen Israelis. "Humanmedizin ist von großem Interesse, künstlerische Fächer, genauso aber Ingenieurwissenschaften, Made in Germany das zieht wirklich als Marke, das ist etwas, was junge Israelis interessiert."
    Verena Shiffermann sieht in dem Trend eine langfristige Entwicklung, die sie auf jeden Fall noch ausbauen möchte. 298 Israelis kamen 2014 mit dem DAAD nach Deutschland, umgekehrt 438 Deutsche nach Israel. Angesichts der Tatsache, dass Deutschlands Bevölkerung zehnmal so groß ist wie die Israels, scheint das Interesse also dort im Verhältnis viel größer zu sein. "Es gibt so eine Deutschland-Begeisterung und vor allem auch eine Berlin-Begeisterung, davon wird einem auch ständig erzählt, wie toll es in Deutschland ist und wie hoch der Lebensstandard ist und wir sprechen schon davon, dass das Leben in Israel viel härter ist als in Deutschland."
    Israelische Studenten sind älter
    Erzählt Judith von Heusinger, die drei Monate für einen Forschungsaufenthalt an der Hebrew University in Jerusalem ist. Israel ist ausgesprochen teuer, das hat Judith von Heusinger auch schon festgestellt, 600 Euro kostet zum Beispiel ein Zimmer im Wohnheim. Für ihre israelischen Studienkollegen gibt es im Uni-Alltag aber noch deutlich mehr Stressfaktoren: "Die sind natürlich alle viel älter, weil die schon bei der Armee waren, ich bin jetzt 30 und die sind Mitte 30 oder auch 40, die haben mit Mitte 20 mit dem Studium begonnen, haben dann oft zwei drei Kinder bekommen, die sie jetzt gerade noch großziehen und die müssen außerhalb der Uni oft noch arbeiten gehen."
    Der Militärdienst in Israel dauert drei Jahre und danach gehen viele erst mal für eine Weile auf Reisen. Günstigere Mieten, niedrigere Lebenskosten, keine Studiengebühren, womöglich ein Stipendium und mal für eine Weile raus aus dem Nahost-Konflikt - das klingt für viele Israelis verlockend. Judith hingegen ist von ihrem Forschungsaufenthalt in Jerusalem ausgesprochen angetan. Ihre Professorin ist eine Koryphäe auf ihrem Forschungsgebiet und in ihrer Forschungsgruppe kann sie sich auf hohem Niveau austauschen – wenn auch manchmal auf ungewohnten Wegen. "Hier ist es ganz üblich, dass man wissenschaftliche Diskussionen während eines Spazierganges führt, dass heißt, ich werde immer wieder zum Spaziergang eingeladen und dann diskutieren wir aber inhaltlich, während wir durch den botanischen Garten flanieren."
    Judith von Heusinger ist Soziologin und forscht zu Konflikten, mit dem Schwerpunkt Südostasien und Zentralasien. Vom Nahostkonflikt allerdings hatte sie keine Ahnung, bis sie nach Jerusalem kam. Das ändert sich jetzt im Gespräch mit ihren Kollegen. Auch ihr Deutsch-Sein ist in der Uni kaum Thema.
    Vergangenheitsaufarbeitung ist kein Tabu
    Im privaten Gespräch aber sind viele Israelis an Judith von Heusingers Herkunft interessiert. "Mich sprechen Menschen darauf an, wenn sie selber Familienmitglieder haben, die aus Europa emigriert sind. Wir sprechen dann auch tatsächlich manchmal über Vergangenheitsaufarbeitung in Deutschland und es wird auch darüber gesprochen, dass Europa so eine kritische Haltung gegenüber Israel hat im Moment.
    Die Soziologin sieht ihren Aufenthalt in Israel als großen Gewinn, auch wenn sie sich an manches, wie sie tägliche Kontrolle am Uni-Eingang erst gewöhnen musste. "Ich finde tatsächlich auch die Gebäude interessant, weil die so gebaut sind, dass sie im Notfall zum Bunker umfunktioniert werden können, das heißt, es gibt so Fenster, die wie Schießscharten funktionieren, wo man auch nicht reinschießen kann." Die Sicherheitslage, meint Judith von Heusinger, die manche Deutsche davon abhalte nach Israel zu kommen, habe man nach einer Weile gar nicht mehr so im Kopf. Und schließlich lebten die Israelis damit jeden Tag.