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Aktiv gegen Erschöpfung
Konzepte zur Behandlung des Chronischen Fatigue-Syndroms

Das Krankheitsbild ist schillernd: Müdigkeit, körperliche und geistige Erschöpfung. Dazu können Gelenk- und Muskelschmerzen kommen, Fieber, Depressionen. Geschätzt leiden an die 300.000 Menschen in Deutschland am Chronischen Erschöpfungssyndrom.

Lennart Pyritz im Gespräch mit Christian Floto | 20.01.2015
    Eine Frau hält den Kopf in den Händen.
    Für das Chronische Erschöpfungssyndrom gibt es oft keine eindeutige Diagnose. (imago / Science Photo Library)
    Christian Floto: Jetzt haben Wissenschaftler die Wirksamkeit bestehender Therapien noch einmal unter die Lupe genommen.
    Mein Kollege Lennart Pyritz hat sich über den aktuellen Forschungsstand der rätselhaften Erkrankung informiert. Welche Ursachen machen Mediziner für das Chronische Erschöpfungssyndrom verantwortlich?
    Lennart Pyritz: Es gibt keine körperlichen Auffälligkeiten oder Laborwerte, die eine eindeutige Diagnose möglich machen. In Deutschland behandeln viele Ärzte CFS als eine psychosomatische Krankheit. Als Ursachen sind zum Beispiel Traumatisierungen oder toxische Umwelteinflüsse in der Diskussion. International wird CFS als neurologische Erkrankung eingestuft, auch von der WHO. Eine klare Trennung zwischen psychischen und körperlichen Symptomen scheint also schwierig.
    Ich habe mit Carmen Scheibenbogen gesprochen, sie ist Professorin und leitet die Immundefekt-Ambulanz an der Berliner Charité und behandelt dort regelmäßig CFS-Patienten. Sie denkt, dass CFS meist durch einen Infekt durch unterschiedliche Bakterien oder Viren, beispielsweise das Epstein-Barr-Virus, ausgelöst wird. Das Immunsystem bekämpft diese Infektion. Zum Problem komme es dann, wenn das Immunsystem dauerhaft aktiv bleibt. Damit leide der Körper unter Dauerstress. Und das hat auch Folgen für die Psyche.
    Floto: Welche Behandlungsansätze gibt es derzeit gegen das Chronische Erschöpfungssyndrom?
    Pyritz: Eine norwegische Studie gibt Hinweise darauf, dass sich CFS mit monoklonalen Antikörpern behandeln lässt – mit einem Arzneistoff, der eigentlich in der Krebsimmuntherapie eingesetzt wird. Meist steht aber noch die Behandlung der Symptome im Vordergrund: Schlafprobleme beheben, Schmerzen lindern, Fieber kurieren. Also übliche spezialmedizinische Behandlung mit Medikamenten. Dazu kommen Strategien zur Stressbewältigung: Autogenes Training, Yoga, Verhaltenstherapie, Aktivitätstagebücher, den Patienten ein Gefühl für den bewussten Umgang mit sich selbst geben. Carmen Scheibenbogen hat auch betont, dass sich Patienten nicht nur zurückziehen und hinlegen sollten, sondern eine gewisse Grundfitness und Beweglichkeit bewahren.
    Floto: Im Fachmagazin "The Lancet Psychiatry" ist gerade eine neue Studie zur Behandlung der Chronischen Erschöpfung erschienen. Was wurde dort untersucht?
    Mehrere Therapiemethoden verglichen
    Pyritz: Da muss ich ein wenig ausholen: 2011 gab es eine Studie in der vier Behandlungsmethoden für CFS verglichen wurden: einmal die übliche spezialmedizinische Behandlung. Dann die spezialmedizinische Behandlung in Kombination mit einer anderen Therapie. Erstens: Verhaltenstherapie, die den Patienten helfen soll, anders über ihre Krankheit, ihre Symptome nachzudenken. Zweitens eine schrittweise angepasste Bewegungstherapie mit einem Physiotherapeuten. Und drittens eine Therapie, in der die Patienten selbst ihre Aktivität regulieren, je nachdem, wieviel Energie sie verspüren.
    Am erfolgreichsten waren die Ansätze mit Verhaltenstherapie und schrittweiser Physiotherapie. Wissenschaftler aus Großbritannien haben sich jetzt die Daten dieser beiden Therapien noch einmal vorgenommen, um genau die Faktoren zu bestimmen, die die Wirksamkeit ausmachen.
    Floto: Und was waren die Ergebnisse?
    Pyritz: Ein Faktor trägt der Studie nach besonders zur Wirksamkeit beider Therapien bei: Und zwar der Abbau von Angst davor, dass körperliche Bewegung, Aktivität, die Symptome der Chronischen Erschöpfung verschlimmern könnte. Das könne über eine gezielte Bewegungstherapie geschehen oder indem man direkt die Ängste angeht. Fazit der Forscher also: Verhaltenstherapeuten könnten CFS-Patienten zu mehr körperlicher Aktivität ermuntern, einfaches Laufen zum Beispiel.
    Floto: Wie schätzen andere Mediziner die Ergebnisse der Studie ein?
    Pyritz: Jede Reduktion von Stress sei wichtig für CFS-Patienten, hat Professorin Carmen Scheibenbogen kommentiert, auch der Abbau von Ängsten. Insofern kann sie die Ergebnisse nachvollziehen. Sie betont aber auch, dass sei nur ein kleiner Baustein in der Symptom-Therapie, vor allem für Betroffene, die sich aus Sorge vor Überlastung kaum noch bewegen.
    Professor Michael Stark, Psychiater und Psychotherapeut am Asklepios Westklinikum Hamburg, mahnt zu Vorsicht bei der Umsetzung. Er weist auf noch unveröffentlichte Messungen hin, die er gemeinsam mit einem Sportwissenschaftler gemacht hat. Danach haben CFS-Patienten einen erhöhten Muskeltonus, vergleichbar mit einem Sportler nach hartem Training. Die Erschöpfungsgefühle hätten demnach eine körperliche Ursache. Das Bewegungstraining müsste also sehr behutsam gestaltet sein, um eine Überlastung zu vermeiden. Am Anfang gehe es vor allem um Entspannung.