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Aktuelle Medizin-Studie
Neue Medikamente sind teuer und bringen oft wenig

23 Medikamente mit neuen Wirkstoffen oder Wirkstoffkombinationen gelangten 2013 erstmals auf den deutschen Markt. Ein messbarer Zusatznutzen - im Vergleich zu schon vorhandenen Medikamenten - lässt sich nur bei zehn dieser Medikamente ausmachen. Das ist das Ergebnis des neuen Innovationsreports, an dem die Techniker Krankenkasse beteiligt ist.

Von Dieter Nürnberger | 07.09.2016
    Ein Arzt hält Tabletten in der Hand.
    Teuer, aber wirkungslos? Eine Studie der Techniker Krankenkasse macht diese Tendenz bei neuen Medikamenten zum wiederholten Mal aus. (imago/STPP)
    Die meisten der 23 neuen Medikamente sind onkologische Präparate, sie werden bei der Krebsbehandlung eingesetzt. Doch bringen sie dem Patienten auch wirklich einen Durchbruch bei der Therapie?
    Die Techniker Krankenkasse spricht lediglich von einem fraglichen Mehrwert. In Zusammenarbeit mit dem Socium-Forschungszentrum an der Uni Bremen gab sie heute den vierten Innovationsreport heraus. Das Ergebnis deckt sich mit den Erfahrungen der vergangenen Jahre: Einen messbaren Zusatznutzen - im Vergleich zu schon vorhandenen Medikamenten - konnten die Forscher nur bei 10 der 23 Präparate feststellen. Fakt hingegen sei, dass die Kosten für die Kassen dadurch überproportional anstiegen, so Jens Baas, Vorstandschef der Techniker Krankenkasse:
    "Die Qualität der Wirkstoffe ist ungefähr gleich gut beziehungsweise gleich nicht gut. Aber die Ausgabenwirksamkeit ist doppelt so hoch. Die Kosten für eine einzelne Wirkstoffverschreibung sind von bisher rund 700 Euro auf nun 1.400 Euro gestiegen. In der Summe geben allein wir jährlich rund 50 Millionen Euro nur für diese Medikamente aus."
    Keine Pluspunkte in der Bewertung
    Ein Zusatznutzen wäre beispielsweise die Möglichkeit, mit dem neuen Präparat erstmals ein Leiden medikamentös zu behandeln. Aber auch eine bessere Verträglichkeit, bessere Therapie-Ergebnisse oder ein deutlich günstigerer Preis brächten Pluspunkte in der Bewertung.
    Petra Thürmann ist Direktorin des Philipp-Klee-Instituts für klinische Pharmakologie in Wuppertal. Sie sieht seit Jahren eine bestimmte Tendenz in der Forschung. Es gehe leider nicht um die Entwicklung von Medikamenten, die vor allem die "Volkskrankheiten" wie Bluthochdruck, Diabetes, Depressionen oder Rückleiden in Angriff nehmen würden:
    "Vielen älteren Herrschaften mit Rückenschmerzen oder Kniegelenks-Arthrose können wir nur Medikamente geben, die ihnen den Magen ruinieren oder ein erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko bescheren. Da ist wirklich nichts in dieser Richtung dazu gekommen."
    Experten warnen vor weiteren Kostenexplosionen
    Anhand dieser Entwicklung warnen Experten nun vor weiteren, künftigen Kostenexplosionen. Schon in rund 4 Jahren, sagt Wolf-Dieter Ludwig, Vorstandsvorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, würden neuartige Wirkstoffkombinationen den Markt in der Krebstherapie dominieren. Jährliche Medikamentenkosten von bis 200.000 Euro pro Jahr und Patient seien zu erwarten:
    "Dann wird unser solidarisch finanziertes Gesundheitssystem wirklich gemelkt. Das wäre kein großes Problem, wenn sich die Preise dafür tatsächlich am Nutzen orientieren würden. Aber selbst die Industrie gibt ja inzwischen zu, dass das nicht der Fall ist. Der Preis orientiert sich in erster Linie an dem, was der Markt bereit ist zu zahlen."
    Die Pharmaindustrie wies Vorwürfe an ihrer Preispolitik heute umgehend zurück - der Arzneimittelverband vfa warf den Autoren der Studie eine unzulässige Pauschalierung vor.
    Wolf-Dieter Ludwig von der Deutschen Ärzteschaft verweist hingegen auf das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz von 2011. Es sollte eigentlich überproportionale Kostenanstiege bei Medikamenten begrenzen. Das Gesetz sei sinnvoll, sagt Ludwig, die Politik müsse aber nachbessern, damit es verlässlicher wirken könne.