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Akyün: Islam-Konferenz soll Integration vorantreiben

Mehr Menschen, die einen liberalen Islam repräsentieren, müssen in die Islam-Konferenz, fordert die deutsch-türkische Schriftstellerin Hatice Akyün. Beim neuen Vorsitzenden der Konferenz, Innenminister Thomas de Maizière, vermisse sie den Ehrgeiz und die klaren Aussagen eines Wolfgang Schäuble.

Hatice Akyün im Gespräch mit Dirk Müller | 17.05.2010
    Dirk Müller: Runde Tische sind schön und gut, doch wenn der Runde die Teilnehmer abhanden kommen, ist Sinn und Zweck der Zusammenkunft in Frage gestellt. So geht es derzeit der Islam-Konferenz, vor vier Jahren von Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen, um die Integration der rund vier Millionen Muslime in Deutschland voranzutreiben. Der Verband mit dem Namen Islam-Rat wurde von der Bundesregierung ausgeschlossen, der Zentralrat der Muslime hat nun von sich aus den Hut genommen mit der Begründung, wir stehen für einen unverbindlichen Debattierclub nicht zur Verfügung. Keine guten Vorzeichen für den jetzigen Innenminister Thomas de Maizière, der heute wiederum zu einer weiteren Gesprächsrunde nach Berlin geladen hat.
    Am Telefon sind wir nun mit der deutsch-türkischen Schriftstellerin Hatice Akyün verbunden, zurzeit auf Lesereise in der Türkei. Guten Morgen nach Ismir.

    Hatice Akyün: Schönen guten Morgen!

    Müller: Frau Akyün, ist die Islam-Konferenz längst zu einer Alibiveranstaltung geworden?

    Akyün: Längst kann ja nicht so sein. Der Herr de Maizière hat ja erst gerade angefangen. Was natürlich sehr deutlich ist, dass er nicht mit so viel Ehrgeiz dabei ist, wie es Schäuble damals war. Das kann man schon von Anfang an erkennen. Ich habe gar nicht so richtig mitbekommen, wie er eigentlich dazu steht, ob er wirklich auch jemand ist, der das vorantreiben will, durch diese Islam-Konferenz auch die Integration voranzutreiben, weil das ist ja eigentlich der Sinn, nämlich die knapp vier Millionen Muslime, die in Deutschland leben, wirklich zum Teil der Gesellschaft, der deutschen Gesellschaft zu machen. Ich habe so ein bisschen den Eindruck, wie es auch der Herr Özdemir von den Grünen gesagt hat, dass der das so als Last sieht, dass der das jetzt weiterführen muss und im Grunde möchte er das eigentlich gar nicht. Das ist so meine Einschätzung.

    Müller: Wie können Sie diesen Vorwurf denn untermauern?

    Akyün: Ich kann ihn untermauern: Ich wünsche mir von einem Politiker, der hinter einer Sache steht, auch mal klare Ansagen. Herr Schäuble hat zum Beispiel damals einen wunderbaren Satz in einem Interview gesagt. Er hat gesagt, es gibt einen deutschen Islam. Das ist ein großartiger Satz und auch ein Zeichen an die Muslime zu sagen, ich akzeptiere euch, ihr seit ein Teil von uns. Es gibt den deutschen Islam, weil er hat getrennt. Er hat gesagt, es gibt die Nationalität, es gibt die Herkunft und es gibt eine Religionszugehörigkeit. Ich kann ja auch Deutsch sein und buddhistisch sein, ich kann ja Deutsch sein und katholisch sein und ich kann Deutsch sein und muslimisch sein, und das hat er damit gemeint. Solche schlagkräftigen Sätze fehlen mir eigentlich von dem neuen Innenminister und auch ein Zeichen zu setzen, animiert Muslime, nicht nur die Leute, die jetzt in der Islam-Konferenz sitzen, nämlich zu sagen, "Ja, ich will alles dafür tun, dass Ihr wirklich ein Teil dieser Gesellschaft werdet und dass Ihr den deutschen Islam lebt".

    Müller: Ist das denn, Frau Akyün, alles eine Frage nur des Innenministers? Wie sieht die andere Seite aus?

    Akyün: Nein, es ist natürlich nicht nur die Frage des Innenministers. Die andere Seite ist natürlich auch beleidigt, die Eitelkeiten, die da eine Rolle spielen. Jetzt sind einige Einzelpersonen aus der Islam-Konferenz heraus, sie fungieren jetzt als Berater des Innenministers, zum Beispiel die Soziologin Necla Kelek. Man weiß nicht so genau, warum sie jetzt heraus ist und jetzt im Hintergrund sozusagen den Minister unterstützt. Auf der anderen Seite sind jetzt neue Einzelpersonen dazugekommen, was ich eigentlich auch ganz gut finde. Wenn man überlegt, dass nur 20 Prozent der Muslime organisiert sind in Deutschland und 80 Prozent eben nicht, braucht man natürlich auch Einzelpersonen, die diese 80 Prozent repräsentieren. Aber es ist immer noch so ein bisschen dieses Beleidigtsein. Ihr wollt mit uns darüber nicht sprechen, dann sind wir beleidigt und wir ziehen uns zurück.

    Dass jetzt der Islam-Rat ausgeladen wurde, hat ja einen Grund. Es gibt ein Ermittlungsverfahren, abgesehen mal davon, dass sie unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen. Da geht es ja auch um Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Das sind ja sehr, sehr starke Vorwürfe.

    Müller: Das bezieht sich auf Milli Görüs.

    Akyün: Genau, das bezieht sich auf Milli Görüs, die ja dem Islam-Rat auch angehören. Und dass jetzt der Islam-Rat der Muslime sich zurückgezogen hat, hat ja jetzt gar nichts damit zu tun, sondern in erster Linie: Die haben sich zurückgezogen und haben gesagt, wir machen da nicht mit, weil wenn ihr uns als Religionsgemeinschaft nicht anerkennen wollt, weil das ist ja das Problem, warum sollen wir dann einfach ein Kaffeekränzchen machen, warum sollen wir uns da hinsetzen und weiter mit euch diskutieren, weil wir sind eine Religionsgemeinschaft. Da frage ich mich natürlich auch, was soll eine Islam-Konferenz, wenn man nicht an die Frage herangeht, wie können wir es schaffen, dass es wirklich eine Religionsgemeinschaft ist.

    Müller: Frau Akyün, das soll oder könnte ja auch das Ziel der Islam-Konferenz sein. Aber wer kann für die Muslime in Deutschland – Sie haben eben gesagt, es gibt diesen deutschen Islam; das hat der Innenminister damals, also Wolfgang Schäuble, als er noch Innenminister war, gesagt; von Thomas de Maizière vermissen Sie ähnliche Äußerungen – sprechen?

    Akyün: Im Moment, habe ich so ein bisschen den Eindruck, niemand, weil wie gesagt diese 20 Prozent, die organisiert sind, das sind eben nur 20 Prozent. Was ich ganz gut finde ist, dass es diese neuen Einzelpersonen gibt, und es gibt zum Beispiel jetzt auch gerade von einer Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, die einen Verein gründen möchte, Liberale Muslime, zu denen ich mich auch übrigens zugehörig fühle wie die meisten Muslime in Deutschland, dass man einfach sagt okay, wir gucken, schauen mal, was es in Deutschland noch so gibt, und dass man einfach sagt okay, wir wollen Leute haben, die wirklich den liberalen Islam auch repräsentieren und auch vertreten.

    Müller: Woran machen Sie das denn fest, Frau Akyün, dass die meisten Muslime in Deutschland liberal eingestellt sind?

    Akyün: Schauen Sie sich doch mal um! Es schließt sich doch nicht aus. Ich kann doch ein Kopftuch tragen und trotzdem ein liberal denkender Mensch sein. Es ist immer ein Trugschluss zu glauben, wenn jemand seine Religion lebt, oder wenn er seine Religion auch zeigt, dass der automatisch irgendwie in eine dunkle Ecke geschoben wird.

    Müller: Gehört Gleichberechtigung dazu?

    Akyün: Aber selbstverständlich! Sie meinen Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau?

    Müller: Ja!

    Akyün: Da brauchen wir doch gar nicht drüber zu diskutieren. Das ist doch selbstverständlich. Dass es Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in vielen Familien nicht gibt in Deutschland, in muslimischen Familien, ist doch kein Religionsproblem, sondern das ist in erster Linie ein soziales Problem, oder auch ein dummes Problem, oder von Menschen, die einfach nicht begriffen haben, dass das ein Teil auch der Religion ist. Ich bin muslimisch erzogen worden in einer sehr muslimischen Familie. Ich war in der Koran-Schule, ich habe meine Suren gelernt. Mein Vater ist viermal nach Mekka gepilgert, und trotzdem sind wir sehr liberal erzogen worden. Wir sind zur Schule gegangen und es war auch sehr, sehr wichtig, dass wir zur Schule gehen, dass wir auch Bildung genießen. Ich finde das immer wahnsinnig anstrengend, wenn ich unterwegs bin und Leute sagen, du bist doch Muslime, warum trägst du denn kein Kopftuch. Das ist doch meine freie Entscheidung.

    Schauen Sie sich meine Familie an. Meine Familie ist die klassische Gastarbeiterfamilie aus einem anatolischen Dorf, die Familie, die eigentlich integriert werden sollte, wo man auf den ersten Blick sagen würde, nein, die wollen sich bestimmt nicht integrieren. Wir sind sechs Kinder. Wir sind alle so unterschiedlich und interpretieren den Islam in dieser kleinen türkischen Familie schon so unterschiedlich. Wie wollen Sie denn die ganze Muslime unter einen Hut bringen? Darum geht es doch eigentlich. Den Islam gibt es nicht. Es gibt doch auch nicht das Christentum. Jeder hat doch seine eigene Art, seinen Islam, seine Religion zu leben und wie er glaubt. Allein schon diese Diskussion mit der neuen Ministerin, als sie geschworen hat "so wahr mir Gott helfe", diese Diskussion, ja welchen Gott meint sie denn jetzt, das ist nur in Deutschland möglich, solche Diskussionen. Ich war erst mal entsetzt darüber, dann habe ich gelacht darüber. Das ist doch ihre eigene Entscheidung, an welchen Gott sie glaubt. Warum muss man die Herkunft immer verbinden mit der Religionszugehörigkeit? Ich kann doch meinen Glauben so leben wie ich möchte, und so bin ich erzogen worden von meinen Eltern zu sagen, der Glaube gehört dir, das ist deine private Sache, und wie du sie auslebst, wie du deinen Glauben ausleben möchtest, das ist deine Sache. Meine Schwester trägt Kopftuch.

    Müller: Frau Akyün, ich muss Sie leider unterbrechen, weil noch viele Fragen bleiben, wir aber am Ende unserer Interview-Zeit sind. Ich danke Ihnen ganz herzlich. Vielen Dank nach Ismir. – Die deutsch-türkische Schriftstellerin Hatice Akyün.