Im Angesicht der Sterblichkeit

Wer hat Angst vor dem Tod?

Grabsteine auf dem Alten Friedhof von Schwerin, aufgenommen am Donnerstag (16.11.2006). Am Sonntag (19.11.2006) wird in Deutschland der Volkstrauertag begangen. Traditionell wird an diesem Tag zwei Wochen vor dem ersten Advent der Toten beider Weltkriege und der Nazi-Opfer gedacht.
Erinnern als "Widerstand" gegen den Tod: Grabstein auf dem alten Schweriner Friedhof. © picture-alliance/ dpa-ZB / Jens Büttner
Moderation: Svenja Flaßpöhler · 26.11.2017
Am Totensonntag gedenken wir der Verstorbenen. Aber wie gehen wir mit der Tatsache um, dass wir selbst eines Tages sterben werden? Über die richtige Haltung zum Tod diskutieren die Philosophin Christiane Voss und die Grabrednerin Gesine Palmer.
Von Epikur stammt der berühmte Satz: "Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr." Gesine Palmer kann diesem Satz nur dann etwas abgewinnen, wenn hier ein einzelner Mensch in seiner Endlichkeit gemeint ist. Der Tod der anderen nämlich geht uns, so Palmer, durchaus etwas an.
Christiane Voss macht darauf aufmerksam, dass man diesen Satz auf zweierlei Weise lesen kann. Im trivialen Sinne ist hier ein abstraktes Sterblichkeitsprinzip gemeint, das mich nicht berührt. Soweit könne Epikur zugestimmt werden. Wenn mit dem Satz aber gemeint sein soll, dass uns der Tod als Subjekte nichts angeht, ist er fragwürdig. Das nämlich würde heißen, dass der Tod für unsere Sinnbezüge keine Rolle spielt.

Wir müssen gegen den Tod protestieren

Kann man sich mit dem Tod versöhnen? Diese Frage beantworten Palmer und Voss entschieden mit nein. Gesine Palmer hält die stoische Haltung, dem Tod mit Gelassenheit zu begegnen, für eine "Katastrophe", den Ruf nach Versöhnung für eine "Unverschämtheit". Es gebe Dinge, mit denen der Mensch sich schlicht nicht versöhnen könne.
Im Leben und in der Trauer liege ein "Widerstand" gegen den Tod, ein Widerstand gegen das Verschwinden. Nur deshalb machen wir uns "die Mühe der Erinnerung". Christiane Voss hält die Rede von Versöhnung für "Kitsch". Den Satz von Michel de Montaigne "Philosophieren heißt sterben lernen" versteht sie nicht als Versöhnungsimperativ, sondern als ein Aufruf zum "Abschied von liebgewonnenen Gewohnheiten und Weltbildern". Gerade Dinge, die uns wichtig sind, müssen wir, so Voss, manchmal hinter uns lassen, um lebendig zu bleiben.
Gesine Palmer kritisiert die medialen Formen der Todesbewältigung. Der erstaunliche "Krimikonsum" hierzulande führe zu einer "Abstumpfung", die Erfahrung des Todes könne nicht mehr real werden. Und wenn dann plötzlich jemand aus dem näheren Umfeld sterbe, dann sei man vollkommen schockiert. Die Furcht des Todes können wir nicht hinter uns lassen, wir existieren in ihr, sagt Palmer mit Rekurs auf den jüdischen Philosophen Franz Rosenzweig.

Hineingehaltensein ins Nichts

Die Sprache kommt auf Martin Heidegger, der im "Vorlaufen zum Tode" die Möglichkeit des eigenen "Seinkönnens" sieht. Erst "Hineingehaltensein ins Nichts" in der Stille ermöglicht uns, die Möglichkeit des Daseins tief und ernsthaft zu ergreifen. Christiane Voss gesteht zu, Heideggers "Sein und Zeit" aufgrund des "heroischen Motivs" im Alter von 20 Jahren "toll" gefunden zu haben. Im Vorlaufen zum Tod werde die Passivität abgestriffen, dem sinnlosen Dasein Sinn verliehen, der Tod unter Kontrolle gebracht. Heute jedoch sehe sie sehr klar, dass das "alles Quatsch" und "militärischer Unsinn" sei. Heidegger mache eine Subjektivität stark, die "völlig auf sich zurückgebombt ist" und auch "selbstmitleidige Züge" trägt. Viel ertragreicher sei es, Kommunikation und Kollektivität ins Spiel zu bringen, anstatt die Einsamkeit zu stilisieren, denn erst im Miteinander könne man Erfahrungen vertiefen, auch die verschiedenen Dimensionen des Todes durchspielen.
Gesine Palmer findet die Heidegger-Kritik prinzipiell nachvollziehbar, wendet aber ein, dass Gemeinschaften, je mehr sie sich vertiefen, auch töten können. Gemeinschaften, braucht Palmer, brauchen immer ein Außen, im Zweifelsfall sogar Sündenböcke. Sie teile Heideggers Gewissensbegriff insofern, als dass ein Mensch seinen Standpunkt erst dann aufrichtig vertrete, wenn er im Fall der Fälle den Tod nicht scheuen würde.

Unendlich leben?

Wenn der Tod ein Grundübel ist, wäre es dann nicht besser, wenn das Leben gar nicht endet? Dieser Ansicht sind Silicon-Valley-Vordenker wie Peter Thiel, die den Tod durch Fortschritt und Technologie bekämpfen wollen. Christiane Voss hält dieses Bestreben für "eine neoliberale Bewirtschaftung des Todes" und für den beklagenswerten Versuch, das Unkontrollierte zu kontrollieren. Auch Gesine Palmer hält die "Generationenfolge" für essenziell, es sei tröstlich, dass sich Dinge ändern, man selbst "abbauen" dürfe und auch Traditionen "stürben". Jede Geschichte braucht ein Ende, fügt Christiane Voss hinzu - haben sich die beiden Philosophinnen am Ende der Sendung also doch noch mit dem Tod versöhnt?