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Alarm am Adriastrand

Umwelt. - Italienische Forscher trafen sich zum ersten Klimagipfel ihres Landes überhaupt in Rom. Dort sorgte eine Bilanzierung der bereits eingetreten Veränderungen für Betroffenheit unter den Teilnehmern und weckte den Ruf nach drastischem Umsteuern.

Von Thomas Migge | 17.09.2007
    "Die Idee zu dieser Konferenz hatten wir, weil die Umstände uns dazu zwingen, endlich umfassend über die Probleme zu diskutieren, die der Klimawandel bei uns in Italien provoziert. Als die Nachrichten aus der Adria bekannt wurden, war uns klar, dass wir nicht mehr länger warten dürfen, um nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen und uns zu engagieren."

    Die römische Umweltforscherin Barbara Martinelli zeigte sich während des ersten italienischen Umweltgipfels, der in den Räumen der Welternährungsorganisation FAO stattfand, sehr besorgt. Sie und die anderen rund 500 Fachleute, die an dieser Konferenz teilnahmen, schwiegen betroffen, als das ganze Ausmaß der Auswirkungen des Klimawandels auf Italien am Beispiel des adriatischen Meeres überdeutlich wurde. Meeresforscher fanden heraus, dass in diesem Jahr die Strömung, die das Wasser des adriatischen mit dem restlichen Mittelmeer verbindet, ausgeblieben ist. Es finde, so die Fachleute, kein kompletter Wasseraustausch und keine Wasserzirkulation mehr statt. Eine Zirkulation, die in der nördlichen Adria durch die starken Bora-Winde verursacht wird. Diese Winde sind sehr kühl und sorgen in der Regel auf diese Weise für das Abkühlen der Wasseroberfläche der Adria. Diese Abkühlung führte in der Vergangenheit zu einem komplizierten Prozess innerhalb des adriatischen Meeres, bei dem kalte und warme Wasserschichten aufeinander reagieren. Die eher kälteren Wasserschichten wurden in der Regel nach Süden transportiert, mit einer Strömung, die für den kontinuierlichen Wasseraustausch der Adria mit dem übrigen Mittelmeer verantwortlich ist. Barbara Martinelli:

    "Es ist sehr bezeichnend, was in der Adria geschieht. Das Wasser der Adria wird seit Jahren immer wärmer. Auch die Bora-Winde sind nicht mehr so kühl wie in der Vergangenheit. Die Folgen lassen sich überall im adriatischen Becken beobachten. Der fehlende Wasseraustausch hat zum Beispiel die Produktion jener Mikroalgen dramatisch reduziert, die für das Überleben zahlloser Meerestiere verantwortlich sind. Das führt zu erheblichen Schwierigkeiten für das gesamte Ökosystem der Adria."

    Die auf Drängen von Umwelt- und Klimaforschern von der Regierung organisierte Konferenz fasste, zum ersten Mal überhaupt, Daten zusammen, die deutlich machen, inwieweit Italien unter dem globalen Klimawandel leidet. Dem grünen Umweltminister Alfonso Pecoraro Scanio zufolge - und er beruft sich dabei auf ein zusammenfassendes Dossier der wichtigsten italienischen Umweltforschungsinstitute - sei Italien dasjenige Land der EU, dass am meisten unter den Folgen des Klimawandels zu leiden habe. Die auf der Konferenz veröffentlichten Daten - Resultate eines nationalen Check-up aller durch den Wetterwandel betroffenen Bereiche - beeindrucken: 52 Prozent der gesamten italienischen Landfläche sind von Verwüstung bedroht. Zwölf Prozent des Territoriums in Süditalien, müssen bereits als verwüstet bezeichnet werden. In den letzten 15 Jahren haben die italienischen Gletscher 25 Prozent ihrer Eismassen eingebüßt. In den letzten 100 Jahren sind die jährlichen Durchschnittstemperaturen um ein bis 1,5 Grad gestiegen. Weltweit stiegen im Vergleich dazu die Temperaturen im Durchschnitt um nur 0,7 Grad. Dazu Anselmo Cagnatti vom nationalen Wissenschaftsinstitut CNR:

    "Wir müssen uns dem Problem stellen, dass hier ein historischer Klimawandel im Gang ist, der verschiedene Fronten betrifft: im Vergleich zum Zeitraum 1960 bis 1970 sind die heißen Tage zwischen Juni und September im Jahrzehnt 1990 bis 2000 um 40 Prozent gestiegen. Das führt im Süden zu einem dramatischen Wassermangel und treibt die Verwüstung voran. Ganz zu schweigen von den Folgen für das Meer. Dass das Gesamtbild des italienischen Klimawandels so schlimm ausfällt, hätten wir nie erwartet"

    Immer heißere Sommer und immer regenreichere Winter. Es regnet öfter und stärker, was zu immer häufigeren Erdrutschen führt - mit immer mehr Toten und Verletzen und enorm hohen Gebäudeschäden. 1800 Kommunen sind von Erdrutschen infolge von sintflutartigen Regenfällen bedroht, vor allem in Mittel- und Norditalien. Die Liste der erschreckenden Forschungsdaten, die auf der römischen Konferenz vorgetragen wurden, war lang. Die Tatsache, dass sich die Regierungs- und Oppositionsparteien nur mit lauen Worten zu diesen Daten äußerten, lässt nichts Gutes für Italiens Zukunft erwarten. Italien hat zwar das Kyoto-Abkommen mit unterzeichnet, klagte der Umweltminister, aber in fast keinem Punkte habe sich sein Land bis dato bemüht, die einzelnen Programmpunkte auch nur anzugehen. Die umweltpolitischen Kosten dieser, so der Minister der italienischen Grünen, "Ignoranz dem Klimawandel gegenüber", fallen immer höher aus. Im letzten Jahr lagen sie bereits bei rund drei Milliarden Euro.