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Alban-Berg-Zyklus in Berlin
Strenge und Klangsinn

Alban Berg gehört zu den prägenden Komponisten des 20. Jahrhunderts. Daniel Barenboims Berliner Staatskapelle hat ihn zu seinem 130. Geburtstag mit dem Zyklus, der fast das gesamte Werk Bergs umfasst, geehrt. Ein nachhaltiges Plädoyer für den Reichtum des Bergschen Oeuvres, findet unser Rezensent.

Von Julia Spinola | 16.03.2015
    Daniel Barenboim
    Daniel Barenboim hat die Doppelgesichtigkeit des Komponisten berücksichtigt. (dpa / picture alliance / Mohamed Omar)
    Alban Berg gilt als der Romantiker der Schönberg-Schule. Ingeniös hat er in seiner Musik Atonalität und Zwölftonstruktur mit allerorten herumgeisternden tonalen Elementen verschmolzen. Das berühmteste Beispiel dafür ist sicher das Zitat des Bach-Chorals "Es ist genug" im Adagio seines Violinkonzerts. In Barenboims Berliner Aufführung mit Pinchas Zuckerman als Solist, erklang es jedoch keineswegs als Chiffre einer dröhnenden Erlösungsgewissheit. Eher traf diese fabelhaft pathosfreie und daher umso anrührendere Interpretation jenen aus "Zartheit, Nihilismus und Vertrauen ins Hinfälligste gemischten" Ton, den Adorno an Berg bewunderte.
    Auf der anderen Seite ist Bergs Musik in ihrem Formenreichtum, ihrer Konstruktivität und ihrer expressiven Abgründigkeit durchaus nicht weniger radikal als die von Schönberg. Im Konzertsaal begegnet man Bergs Musik jedoch meist in einer Lesart, die entweder die eine oder die andere Seite dieser Doppelgesichtigkeit hervorhebt. Aufführungen, die Bergs Musik mit üppigstem spätromantischen Pathos versehen, konkurrieren mit solchen, in den seine Partituren mit unbarmherziger Kälte seziert werden, als wäre seine Modernität erst noch zu beweisen. Barenboim zeigte nun in seinem fabelhaften Berg-Zyklus, der beinahe das gesamte Oeuvre umfasste, dass beide Aspekte unmittelbar zusammen gehören, ja einander bedingen und auseinander folgen. Konstruktion und Ausdruck sind in Bergs Musik so eng miteinander verzahnt wie bei kaum einem anderen Komponisten. Schon die Orchesterfassung der "Sieben frühen Lieder" lässt die Vielschichtigkeit der späteren Werke anklingen.
    Bariton Thomas Hampson singt Alban Bergs "Sieben frühe Lieder"
    Alban Bergs "Sieben frühe Lieder" wurden zwischen 1905 und 1908 komponiert und 20 Jahre später auf eine Weise instrumentiert, die beinahe einer Neukomposition gleichkam. Sie schlagen eine Brücke von Bergs musikalischer Kindheit in der Tradition Schumanns und Brahms' über seine Lehrzeit bei Schönberg bis hin zur Meisterschaft der "Drei Orchesterstücke", des "Kammerkonzerts" und der Oper "Wozzeck". In Berlin wurden sie jetzt nicht wie sonst üblich von einem Sopran gesungen, sondern von dem Bariton Thomas Hampson, der sich wohltuend zurücknahm und sich davor hütete, das subtil in den Orchestersatz eingewobene Melos der Lieder durch ein hemmungslos überquellendes Sängergefühl zu malträtieren.
    Barenboim wiederum hob im transparenten Spiel seiner Staatskapelle die Raffinessen des Orchestersatzes so hervor, dass die Lieder beinahe klangen wie Orchesterstücke mit obligater Singstimme. Ähnlich interpretierte er die 1925 entstandene Konzertarie "Der Wein", mit Anna Prohaska als einer ingeniösen Solistin, die hier genau jenen virtuos-künstlichen Ton der Sopranpartie traf, in dem sich schon die "Lulu" ankündigt. Mit dem bunt-ornamentalen Jugendstilgewächs, das man Berg bisweilen meint anhängen zu können, hatte das Ganze wohltuend wenig zu tun. Auch die kunstvoll verdichteten Miniaturen der Altenberg Lieder Opus 4 schliff Prohaska mit ihrer prägnanten Gestaltung zu funkelnden Kristallen.
    Keine andere Musik seiner Zeit sei so menschlich wie die von Berg, sagte Adorno. Es greift allerdings zu kurz, zu glauben, dass diese Menschlichkeit vor allem in der Rückbesinnung auf die Tonalität, im wienerischen Espressivo, in den Walzer- und Ländleranklängen von Bergs Musik zu finden sei. Oft genug stehen die volkstümlichen Elemente auch geradezu für das Gegenteil. In den 1914 entstandenen "Drei Orchesterstücken" Opus 6 zum Beispiel mutieren sie zu regelrechten Chiffren einer "Banalität des Bösen".
    Transparentes Spiel
    Die scheinbar lose Folge dreier prototypisch ausgeformter Bewegungsarten entfaltet in den "Drei Orchesterstücken" eine dramatische Zugkraft, in der das klassischromantische "per aspera ad astra" ins Katastrophische umgedeutet erscheint. Die Musik taucht im Präludium aus einem amorphen Urzustand auf, verfällt mit dem Reigen in einen manisch kreisenden Taumel und mündet mit dem Marsch in einen martialisch vorangetriebenen, nur mit der äußersten instrumentalen Gewalt des "großen Hammers" aufzuhaltenden Triumphmarsch des Bösen. Barenboim machte im transparenten Spiel der Staatskapelle das weitverzweigte motivische Geflecht des Bergschen Orchestersatzes bis in die scheinbar unentwirrbaren Motivverknotungen und Klangauftürmungen des "Marschs" hinein durchhörbar und nachvollziehbar.
    Ein nachhaltigeres Plädoyer für den Reichtum des Bergschen Oeuvres, als es Barenboim in Berlin nun gab, kann man sich kaum wünschen.