Freitag, 29. März 2024

Archiv

Albanien
Opfer des kommunistischen Regimes hoffen auf Akteneinsicht

30 Jahre nach dem Tod des Diktators Enver Hoxha verabschiedete das albanische Parlament im Frühjahr ein Gesetz zur Öffnung der Geheimdienstakten aus der Zeit des kommunistischen Regimes. Doch bisher wird den Opfern der Zugang zu den Aufzeichnungen der gefürchteten Sigurimi, der ehemaligen Geheimpolizei, weiterhin verweigert.

Von Leila Knüppel | 07.08.2015
    Alter militärischer Bunker nahe den antiken Ruinen von Apollonia, aufgenommen am 20.09.2009. Tausende dieser Beton-Bunker und Schutzräume aus der kommunistischen Ära finden sich noch heute in allen Landesteilen, der Diktator Enver Hoxha ließ aus Angst vor der NATO rund 700.000 solcher pilzförmigen Bunker mit Schießscharte in allen Landesteilen an strategisch wichtigen Punkten errichten.
    Aus Angst vor der NATO ließ der albanische Diktator Enver Hoxha rund 700.000 solcher pilzförmigen Bunker mit Schießscharte in allen Landesteilen an strategisch wichtigen Punkten errichten. (dpa / picture alliance / Rolf Zimmermann)
    "Hier war der Eingang von dem Gefängnis, hier war ein großes Tor, ein Eisentor."
    Gezim Peshkepia blickt über das mit hohem Gras bewachsene Hügelchen. Hier stand das Arbeitslager von Ballsh. Jetzt ragen nur noch ein paar Betonstreben in die Luft.
    "Und dann – hier waren sieben von den Baracken, wo wir geschlafen haben. Hier waren 1.100 Gefangene."
    Acht Jahre war Peshkepia hier einsperrt. Inzwischen ist er 75 und lebt – in Deutschland. Eines der vielen Opfer des kommunistischen Regimes: Etwa 60.000 Albaner wurden verschleppt und in Arbeitslagern interniert. Über 7.000 überlebten die Strapazen nicht. Doch die traurige Vergangenheit des Landes: Sie sei bis heute nicht aufgearbeitet worden, sagt Peshkepia:
    "Die Namen von den Ex-Politikern sind fast die gleichen Namen von den Söhnen und Enkeln in Macht. Also, die politische Klasse ist die Gleiche."
    Schergen der Hoxha-Diktatur zur Verantwortung ziehen
    Jahrelang hatte Albanien über ein Gesetz diskutiert, dass die Schergen der Hoxha-Diktatur zur Verantwortung zieht – und Einblick in die Akten des ehemaligen Geheimdienstes des Landes ermöglicht. Immer wieder war es gescheitert.
    Im April hat das albanische Parlament schließlich die Öffnung der Geheimdienst-Archive beschlossen. Als eines der letzten ehemals kommunistischen Länder Europas. Dass sich dadurch irgendetwas ändert, glaubt Peshkepia aber nicht:
    "Was kann man erwarten?! Das ist ein Konflikt von Interessen in diesem Fall."
    Im "Institut für Studien der kommunistischen Verbrechen" holt Leiter Agron Tufa einige Studien aus dem Schrank hinter seinem Bürotisch. Ähnlich der Stasi-Unterlagenbehörde in Deutschland soll das Institut die kommunistische Vergangenheit des Landes aufarbeiten, die Öffentlichkeit darüber unterrichten. Zu wichtigen Akten hat aber auch er keinen Zugang, obwohl das Gesetz in Kraft getreten ist. Die Aufzeichnungen des Sigurimi, des ehemaligen Geheimdienstes sind tabu:
    "Per Gesetz ist es uns zwar gestattet, die Akten einzusehen, aber bisher wurden alle Anträge abgelehnt."
    Das Gesetz sieht im Grundsatz tatsächlich vor, dass Tufas Institut, wie auch andere Organisationen oder Behörden, Zugang zu den Sigurimi-Akten erhält. Tufa glaubt aber nicht, dass dies je geschehen wird. Ein fünfköpfiges Komitee entscheidet nämlich in jedem einzelnen Fall darüber, wer Einblick in welche Akten bekommt:
    "Es gibt ein bestimmtes Verfahren, damit wir eine Genehmigung erhalten. Und einer, der uns diese erteilen könnte, ist ein ehemaliger Sigurimi-Mitarbeiter."
    "Immer wieder sind Akten vernichtet worden"
    Aber selbst wenn er irgendwann einmal eine Genehmigung erhalten sollte, wäre es sehr ungewiss, ob er überhaupt noch relevante Akten finden könnte:
    "Immer wieder sind Akten aus dem Geheimarchiv vernichtet worden. Vor allem, wenn eine neue Regierung an die Macht kam. Die gewählten Politiker haben dann die Unterlagen vernichten lassen, in denen ihre Namen vorkamen. Denn egal, welche Partei gerade an der Macht ist - die meisten Politiker hatten bereits im Kommunismus das Sagen. Oder es sind deren Söhne."
    Das Komitee soll auch Unbedenklichkeits-Bescheinigungen für Bewerber ausstellen, die im Staatsdienst arbeiten oder bei Wahlen antreten wollen. Wer beim Staat aber schon einen Job hat, darf ihn behalten.
    In Ballsh blickt Peshkepia ein letztes Mal über das Gelände des ehemaligen Gefangenenlagers. Hier war er seinen Peinigern ausgeliefert:
    "Sie müssen auch vor die Justiz kommen. Das wäre für mich ideal. Auch, die Akten zu öffnen. Wir haben so viel gewartet auf das Gesetz. Aber leider war es eine Pleite."
    Peshkepia ist inzwischen 75 Jahre alt. Über die Steinstufen und Fundamente der Baracken ist längst Gras gewachsen. Bald wird kaum mehr jemand wissen, was hier einst geschehen ist.