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Albanien
Wie Ylli Bodinaku vor 25 Jahren aus Tirana floh

Kaum bekannt ist der Fluchtversuch eines Albaners, der am 2. Juli 1990, also heute vor 25 Jahren, mit seinem Lkw durch die Mauer der deutschen Botschaft in Tirana fuhr. Ylli Bodinaku wollte mit seiner Frau und seinen beiden Kinder Albanien verlassen, um in Deutschland eine bessere Zukunft zu finden. Seine Tat hatte Signalwirkung auch für viele andere.

Von Karla Engelhard | 02.07.2015
    Ylli Bodinaku mit Orden und Foto seines Mauerdurchbruchs am 2.Juli 1990
    Ylli Bodinaku mit Orden und Foto seines Mauerdurchbruchs am 2.Juli 1990 (deutschlandradio.de / Karla Engelhard)
    Ylli Bodinaku ist ein Held. Der 57-jährige Albaner mit dem grauen Bürstenhaarschnitt und dem gutmütigen Gesicht erzählt gern seine Geschichte, die nicht in den albanischen Geschichtsbüchern steht. Dabei gelang dem Albaner am 2. Juli 1990 eine spektakuläre Flucht aus Tirana, mithilfe einer Mitarbeiterin der Deutschen Botschaft:
    "Die Deutsche gab uns den Tipp, kommt nicht durch den Eingang, sondern über die Mauer!"
    Ylli Bodinaku fuhr mit dem Lkw durch die Mauer, mit Frau und seinen zwei kleinen Kindern an Bord. Freunde und Bekannten wollten ihm folgen und mitkommen nach Deutschland. 44 Menschen flohen durch das Loch in der Mauer, vor der Armut in Albanien, dem Chaos und dem politischen Druck. Der deutsche Botschafter konnte die Flüchtlinge nicht in Empfang nehmen, er war verreist.
    "Der Botschafter war ich - in dieser Zeit, denn ich habe mit meiner Familie in der Wohnung des Botschafters übernachtet. Man hat mich isoliert und Essen gebracht, ich durfte nicht auf den Hof. Scharfschützen hatten Stellung bezogen. Man sagte mir, dass die mich töten wollen."
    In nur wenigen Tagen kamen mehr 3200 Männer, Frauen und Kinder auf das Gelände der deutschen Botschaft. Zehn Tage campierten sie dort, notdürftig betreut vom Botschaftspersonal. Der albanische Staat ließ das Gelände bewachen und immer wieder Wasser und Strom abdrehen.
    "Schon am ersten Abend kam ein Fax von Außenminister Genscher an uns, der Dolmetscher übersetzte es so: Ihr seid die ersten Schwalben, die den Sommer ankündigen und der Lkw-Fahrer ist ein Held."
    Damals fühlte sich Ylli Bodinaku gar nicht heldenhaft. Er musste seine Mutter zurücklassen. Auf einer Kassette, die er im Rekorder ließ, versprach der 37-Jährige zurückzukommen, wenn die Mutter ihn braucht. Der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher ließ alle 3.200 Flüchtlinge aus der deutschen Botschaft von Tirana nach Deutschland ausreisen. Mit Bussen wurden sie außer Landes gebracht. Ylli Bodinaku landete in Mannheim in einer Autowerkstatt. Er verdiente gut, doch als seine Mutter krank wurde, wollte er schnell zurück nach Albanien.
    "Meine Mutter war krank und ich hatte versprochen zurückzukommen, denn ich hasste nicht mein Land, sondern die Regierenden."
    Sein deutscher Meister überließ ihm die alte Einrichtung der Werkstatt. Der Albaner kaufte einen Lkw und brachte alles nach Tirana. Auf dem Feld der Familie, vor den Toren der Stadt, baute Ylli Bodinaku seine eigene Autowerkstatt. Seine Söhne sind mittlerweile erwachsen und Automechaniker, wie der Vater.
    "Beide Söhne arbeiten gut. Der ältere Sohn bekommt von mir eine eigene Werkstatt, der jüngere bleibt bei mir."
    Aus der isolierten sozialistischen Volksrepublik Albanien ist ein offenes Land geworden - aus dem einstigen Flüchtling Ylli Bodinaku ein wohlhabender Mann, mit 500er Mercedes, einem Haus, einem Swimming Pool und einem Lebensmotto:
    "Schlechten Boden kannst du fruchtbar machen, doch schlechten Leuten geh aus dem Weg."