Donnerstag, 25. April 2024

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Alben und Tourneen 2017
Was das neue Musikjahr bringt

2016 war ein schlechtes Jahr für den Rock 'n' Roll - dem werden angesichts der vielen Todesfälle bekannter Musikgrößen viele zustimmen. "Dass Musiker dieser Generation sterben, wird uns 2017 wohl weiter begleiten", sagte der Musikkritiker Eric Pfeil im Corsogespräch. Sein Blick auf das neue Musikjahr fällt trotzdem positiv aus.

Eric Pfeil im Gespräch mit Fabian Elsäßer | 27.12.2016
    Musikkritiker und Musiker Eric Pfeil lehnt an einer Wand
    Musikkritiker Eric Pfeil weiß, welche Alben 2017 erscheinen und welche Künstler auf Tour sind. (Deutschlandradio / Adalbert Siniawski)
    "Can 2016 please f..k off!", schrieb Pop-Königin Madonna in dieser Woche per Twitter. Anlass war der Tod von George Michael, der - wie Madonna selbst - eine Pop-Ikone der 80er- und 90er-Jahre war. Er ist viel zu früh gestorben, mit nur 53 Jahren. Und er war nur einer von vielen verfrühten Todesfällen, die wir im abgelaufenen Jahr zu beklagen hatten. Gestorben sind auch Leonard Cohen, Prince und David Bowie - um nur einige zu nennen.
    Es bleibt, hoffnungsvoll auf das zu blicken, was das neue Jahr bringt. Im Corsogespräch erzählt Musiker und Musikkritiker Eric Pfeil, welche Alben 2017 erscheinen und welche Künstler auf Tour sind.
    Eric Pfeil freut sich 2017 auf:
    Nikki Lane
    "Neues Album. Tolle moderne Nashville Country-Frau."
    Hurray for the Riff Raff
    "Eine Lieblingsband. Die mir einzig bekannte queere Country-Folk-Band aus New Orleans, das neue Album verspricht groß zu werden."
    Chuck Prophet
    "Neue Platte eines Helden, der nicht aufhört."
    Bill Callahan
    "Neues vom Meister Bill Callahan wäre toll.
    Angekündigt ist bislang nichts, es müsste aber mit dem Teufel zugehen."
    Bob Dylan
    "Der Nobelpreisträger auf - so schnell noch nie ausverkaufter - Deutschlandtournee."
    The Flaming Lips
    "Ein neues Album der (ehemals) besten Band der Welt - singorientiert und Wizard-of-Oz-inspiriert. Das lässt hoffen und bangen"
    Robyn Hitchcock
    "Die neue Platte meines Lieblingsmusikers - produziert vom Raconteurs-Mann Brendan Benson in Nashville"
    The Sadies
    "Ein neues Album der Wunderband "The Sadies", mit tollen Gästen, darunter Jon Spencer, Kurt Vile, Neil Young, Robyn Hitchcock und vielen mehr."
    Gabriella Cohen Aldous Harding
    "Tolle Künstler, die hierzulande noch keinen Vertrieb in 2016 hatten - und insofern 2017 durchstarten könnten: Gabriella Cohen und Aldous Harding - meine momentane Lieblingsstimme"

    Das Gespräch in voller Länge:
    Fabian Elsäßer: Der US-amerikanische Singer-Songwriter Chuck Prophet war das mit dem Titel "A Bad Year for Rock'n'Roll", der stammt von seinem kommenden Album "Bobby Fuller Died For Your Sins". Und damit sind wir auch schon mitten im Thema unseres heutigen Corso-Gesprächs, nämlich ein Ausblick auf das Musikjahr 2017.
    "A Bad Year for Rock'n'Roll", das war eine Empfehlung vom Musikkritiker, Buchautor und Musiker Eric Pfeil, mit dem wir ja nicht zum ersten Mal einen musikalischen Blick in die Kristallkugel wagen. Willkommen zum "Corso"-Gespräch!
    "Chuck Prophet müsste längst eine viel größere Legende sein"
    Eric Pfeil: Hallo!
    Elsäßer: Eric Pfeil, warum diese Empfehlung?
    Pfeil: Diese Empfehlung von Chuck Prophet schließt natürlich ganz wunderbar ein Jahr ab, das wahrscheinlich viele genauso empfunden haben, als "Bad Year for Rock'n'Roll" mit den ganzen Toten, die es in diesem Jahr gegeben hat, wobei man da, glaube ich, realistisch sein muss, das wird uns 2017 weiter beschäftigen. Das ist schlicht was, was jetzt, glaube ich, einsetzt, dass die Leute reihenweise umfallen dieser Musikergeneration. Aber Chuck Prophet, das ist ein Song, der das Jahr eigentlich so ganz schön einpackt. Aber es ist bei Weitem nicht der beste Song von der Platte, von der dieser Song eben stammt, und die, ich glaube, im Februar erscheinen wird.
    Elsäßer: Und Chuck Prophet wäre aber noch aus anderen Gründen eine Empfehlung von Ihnen für das Jahr 2017?
    Pfeil: Absolut. Chuck Prophet müsste eigentlich längst eine viel größere Legende sein, als er tatsächlich ist. Ich gehe immer wieder auf Konzerte von dem Mann. Der spielt mit schöner Regelmäßigkeit hier in Deutschland, und die sind erschreckend leer. Aber das ist so ein wackerer, ewig tourender Musiker, der das durchzieht, der ein tolles Album nach dem nächsten rausbringt und auch im kommenden Jahr wieder in Deutschland auf Tour sein wird. Also da kann man die Hallen noch vollmachen mit seiner Leibesfülle.
    "Re-Politisierung des R&B oder der schwarzen Musik in den USA"
    Elsäßer: Noch mal kurz, auch anlässlich dieses Songs, "A Bad Year for Rock'n'Roll", ein Blick zurück eben in das Jahr 2016. Es sind ja nicht nur Musiker gestorben, es gab doch auch erfreuliche, überraschende Sachen. Also ich weiß nicht, vielleicht das neue Radiohead-Album oder Bon Iver, wo doch wahrscheinlich keiner gedacht hätte, dass es so unzugänglich klingt und dann trotzdem die Top Ten knackt in den USA.
    Pfeil: Das sind nun beides Platten, mit denen ich mich tatsächlich schwergetan habe. Radiohead, die einfach jetzt keine Band ist, vor der ich jemals niedergekniet wäre. Was Bon Iver angeht, hm, auch das ist so eine Platte – ich bin da hin- und hergerissen. Ich schätze sehr die Ambition, ich finde die aber auch unglaublich verquast, die Platte. Von daher, da reihe ich mich nicht ein in den Chor der Applaudierenden.
    Wenn man aber über positive Sachen spricht, eine Sache, die im vergangenen Jahr sicherlich sehr erfreulich war, war, was man vielleicht unter dieser Re-Politisierung des R&B oder allgemeiner gesagt der schwarzen Musik in den USA zusammenfassen kann, die sich natürlich, bedingt durch, wie es immer so ist, durch eher unerfreuliche politische Tendenzen im Mainstream – Stichwort Trump –, und das ist sicherlich eine Sache, die 2017 noch für sehr interessante Ergebnisse sorgen wird, weil das wird weitergehen. Die Reaktion auf Trump in der Popmusik, das fängt ja gerade erst an. Ähnlich interessant dürfte tatsächlich sein, was in England passiert. Viele haben ja auch da gehofft, dass diese Brexit-Angelegenheit dafür sorgen wird, dass wieder eine gewisse Ruppigkeit in diese zuletzt auch was eingeschlafene britische Popmusik kommt. Darauf ist tatsächlich noch zu warten, ob das 2017 passieren wird.
    "Ein Rückgriff auf diese 70er-Jahre-Outlaw-Country-Kultur"
    Elsäßer: Was mir in Ihren Kolumnen immer wieder auffällt, auch bei so ein, zwei Bands, die Sie im Vorfeld dieses Gesprächs, wo wir uns mal kurz unterhalten hatten, schon mal genannt, Sie brechen immer wieder eine Lanze für Americana oder auch für Country-Bands. Aber das ist hierzulande eigentlich immer noch ein Nischenthema, oder?
    Pfeil: Ist es wahrscheinlich, wobei man natürlich als Schreiber in so einer viel zitierten Filterblase ist. Ich habe manchmal das Gefühl, dass um mich rum ausschließlich nur noch so ganz verhallte Americana und Country-Musik gehört wird. Was das angeht, sind wir natürlich gerade auch wieder in so einer gewissen Blütezeit, weil bei vielen Musikern da so ein Rückgriff auf diese 70er-Jahre-Outlaw-Country-Kultur stattfindet, und das ist auch schon seit vielen Jahren, aber auch da werden 2017 einige sehr tolle Sachen passieren. Mit so einer Sängerin wie Nikki Lane zum Beispiel, die bringt ihr drittes Album raus im Februar. Nikki Lane, die kommt aus – ich glaube, sie ist aus Nashville tatsächlich. Die letzte Platte hat sie mit Dan Auerbach von den Black Keys produziert, die neue ist noch toller, das ist so eine sehr twangige Badass-Country-Geschichte. Die Frau ist auch live ganz toll, war letztes Jahr hier auf Tour. Die Sadies, eine kanadische Band, die im selben Genre unterwegs ist, macht eine neue Platte. Da wird als Gast Kurt Vile dabei sein. Big Thief ist eine ganz tolle Band, die Platte ist 2016 erschienen, aber die kommen jetzt direkt im Januar, sind im Januar hier unterwegs. Das ist eine ganz großartige Live-Band.
    Und dann muss ich natürlich unbedingt erwähnen, weil das wird in dem Genre, denke ich mal, die wichtigste und tollste Platte sein im kommenden Jahr, Hurray for the Riff-Raff, das ist eine Band aus New Orleans um eine puertoricanische Sängerin, Alynda Lee Segarra heißt die. Das ist eine queere Country-Band, Folk-Country-Band tatsächlich, und die stülpen sich jetzt auf der neuen Platte so ein bisschen aus in Richtung R&B, also da geht es auch, das franst in so ein paar andere Genres aus, und ich glaube, das wird eine ganz, ganz großartige Platte – wird's auch eine Tour geben im April.
    "Dieser Modernitätsanspruch an Kunst, der ist ohnehin problematisch"
    Elsäßer: Aber Retromania ist also auch immer noch nicht vorbei?
    Pfeil: Nein, also, wie sollte es auch? Ich weiß auch jetzt nicht, ob da irgendwelche Donald Trumps dafür sorgen werden, dass auf einmal alle sich ganz doll erschrecken und sich sagen, ach, jetzt machen wir mal ganz moderne Musik und zeigen Kante. Das geht ja seit Jahren Hand in Hand. Und ich finde das auch nicht schlimm. Dieser Modernitätsanspruch oder Erneuerungsanspruch an Kunst, der ist ja ohnehin ein bisschen problematisch.
    Elsäßer: Ja, weil wir ja auch längst in der Überblickskultur angelangt sind, wir können alles sehen, wir können alles nachvollziehen bei diesen üblichen Diensten und so – es ist alles verfügbar.
    Pfeil: Ich denke, gerade deswegen ist es natürlich interessant, wenn es eher um Vertiefung geht und so das Ausleuchten von noch nicht ausgeleuchteten Ecken geht als jetzt um Zwangserneuerung. Da ist natürlich auch die Figur von Bob Dylan, des Nobelpreisträgers nicht uninteressant. Auch für den wird es, nachdem 2016 ein interessantes Jahr war für ihn, 2017 nicht minder interessant wird. Er macht jetzt seine erste Deutschland-Tour als Nobelpreisträger. Die ist so schnell ausverkauft gewesen wie noch nie, logischerweise. Das wird ein lustiges Publikum nach sich ziehen, und da kommt dann im nächsten Jahr auch ein weiterer Teil dieser Bootleg-Series, also wo unveröffentlichte Aufnahmen in so Rieseneditionen rausgehauen werden. Und im kommenden Jahr, so wird gemunkelt, ist die christliche Phase dran. Das wird sehr interessant, das sind also Live-Aufnahmen mit Predigereien dazwischen.
    Elsäßer: Stichwort Nobelpreis, oder, wenn man mal etwas mehr in Kleinere guckt, es gibt schon seit zehn Jahren am Konzerthaus Dortmund ein Pop-Abo, das es weiter geben wird. Wird U im Jahr 2017 endgültig das neue E?
    Pfeil: Ist das nicht längst schon passiert? Ich weiß es nicht, oder passiert das nicht längst schon nebeneinander? Das war jetzt auch tatsächlich nie so meine Lieblingstrennung, muss ich sagen. Da bin ich vielleicht auch aus einer Generation, wo man das so nicht mehr empfunden hat.
    "Ein bisschen hin- und hergerissen, was den Nobelpreis angeht"
    Elsäßer: Aber vielleicht hat sich mit dem Nobelpreis da wirklich noch mal was vollzogen, was die Feuilletons schon lange herbeigeschrieben haben?
    Pfeil: Ja, was in den Feuilletons ja –
    Elsäßer: Oder schon passiert ist.
    Pfeil: Eben, schon passiert ist. Da war ich auch selber dran beteiligt. Und ist ja natürlich auch immer die Frage, ob das wünschenswert ist. Ich war, was den Nobelpreis angeht, auch so ein bisschen hin- und hergerissen. Ich hab mich erst mal gefreut, und dann habe ich aber gedacht, hui, was heißt das jetzt wieder. Ich finde, da ist der Fall Bob Dylan eben interessant, weil man wird sehen, was das bei den Konzerten im nächsten Jahr nach sich zieht, wenn da unruhig sich Luft zufächernde Damen und Herren sitzen, die sich eher über so eine gediegene Reproduktion freuen, und dann kommt der alte Mann da auf die Bühne und rumpelt die Bude voll. Also, das wird, glaube ich, sehr lustig oder sehr schlimm, ich weiß es noch nicht.
    Elsäßer: Sehr schlimm ist auch, sind ja auch so die Ankündigungen vieler großer alter Namen, was da nächstes Jahr wieder so alles an Live-Events auf uns zu rollen wird, zum Beispiel Aerosmith, also so ewig Tote, von denen wir es irgendwie auch immer wieder haben, fällt mir gerade ein, wenn wir zusammensitzen. Und deswegen diesmal meine Frage an Sie, Sie haben jetzt drei Wünsche frei, welche Bands müssen sich dringend 2017 auflösen?
    "Muse können sich gern auflösen"
    Pfeil: Au, das ist schön. Ich dachte, die Frage kommt jetzt, welche müssen sich unbedingt wiedervereinigen. Wer muss sich denn auflösen? Hm? Ach, ich hab schon so viel Böses über Radiohead gesagt, das meine ich alles gar nicht so, das ist eine Okay-Band. Muse können sich gern auflösen. Gegen die Auflösung von Boss Hoss hätte ich auch nichts, aber das ist ein einfacher Feind. Sind Unheilig schon aufgelöst?
    Elsäßer: Ich fürchte, nein.
    Pfeil: Ich glaube, die machen so eine ewige Abschiedstour, auch das –
    Elsäßer: Ja, auch die Scorpions haben uns das 2010 schon versprochen, und sie sind uns bis heute erhalten geblieben.
    Pfeil: Scorpions sind jenseits von Gut und Böse. Das können die ruhig weitermachen.
    Elsäßer: Ausblicke auf das Pop-Jahr 2017 waren das von und mit dem Musiker, Autor und Kritiker Eric Pfeil, der übrigens selber auch auf Wohnzimmertour gehen wird als Musiker im kommenden Jahr. Vielen Dank für den Besuch!
    Pfeil: Danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.