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Albert Ostermaiers "Glut" in Worms
Theater als Tarnung ist nicht genug

Albert Ostermaiers Stück "Glut. Siegfried von Arabien" rückt die Nibelungensage in ein neues Licht. Dumm nur, dass man in seinem Sänger-, Diplomaten- und Agententhriller so viel erklären muss, meint unser Kritiker.

Von Christian Gampert | 05.08.2017
    Der Sänger Bassem Alkhouri (r) und Till Wonka als Leutnant Stern alias Siegfried stehen am 01.08.2017 in Worms (Rheinland-Pfalz) bei der Fotoprobe zu den diesjährigen Nibelungen-Festspielen auf der Bühne.
    Der Sänger Bassem Alkhouri (r) und Till Wonka als Leutnant Stern alias Siegfried bei einer Probe für die Nibelungen-Festspiele. (dpa/ picture alliance/ Uwe Anspach)
    Man mag mit einigem Recht darüber nachdenken, ob es in Worms tatsächlich um Theater geht oder eher um die Kunst der Repräsentation, die für Politiker und Wirtschafts-Hierarchen so wichtig ist. Bei exquisiten Speisen werden im lauschigen Park hinter dem Dom Kontakte geknüpft, die Damen tragen sehr hohe Hacken, und darüber scheint nach der Vorstellung ein gütiger Mond. Das ist schön.
    Andererseits dient die Nibelungen-Sage der politischen Klasse immer wieder zur Selbstvergewisserung – Mord und Totschlag sind auch heute probate Mittel der Machtausübung, und als aktueller Konflikt, der freiluft-theatralisch bearbeitet werden kann, bietet sich der Nahe Osten an, der bei dem Münchner Dramatiker Albert Ostermaier allerdings schon in der Türkei beginnt. Ostermaier setzt zwei verschiedene Reisegruppen in die Bagdad-Bahn: in der ersten Klasse fährt die Diplomaten-Crew, die, wir sind im Jahr 1915, aus Statthaltern der verfeindeten Weltkriegs-Mächte besteht – in der Hauptsache aus einem deutschen Offizier, der sich erstaunlicherweise wie Hagen von Tronje aufführt, und aus einem leicht trotteligen englischen Lord, der das britische Empire auch als Liebhaber schöner arabischer Männer würdig vertritt. Als wäre dies nicht schon kompliziert genug, fährt in der zweiten Klasse eine Theatertruppe mit, die nicht nur im Dienste des Wahren und Schönen steht, sondern nebenbei auch die persischen Ölpipelines der Engländer in die Luft sprengen soll.
    "Ich stell mich einfach mal vor: Direktor Stern. Meine Theaterkompagnie "Notung", mehr Nomen als Omen, ist meine Armee. – Was machen Sie denn mit diesem Wandertheater? Was machen Sie in Basra? – Wir machen Theater. Wir sind Gäste des dortigen Emirs. Es ist ein Kulturaustausch! – Kunst für Öl! Was spielen Sie?? – Siegfried!"
    Geschichte wird munter durcheinandergemixt
    Direktor Stern ist Jude, ein jüdischer Siegfried. Was Richard Wagner nicht akzeptiert hätte, Albert Ostermaier macht es möglich. Zu Sterns Truppe gehören neben Brünhild und Alberich auch Wotan und eine Walküre, es darf gesungen werden: Worms ist Klein-Bayreuth. Und diese deutschen Wagnerianer schmieden eine ganz neue Entente: sie wollen nicht nur den persischen Scheich Omar mit dem "Ring der Nibelungen" betören, sondern mit ihm und den Türken gegen die Westmächte kämpfen. Der türkische Polizeichef sieht schon ein wenig aus wie ein sehr heutiger Präsident Erdogan.
    Also: Albert Ostermaier packt seinen Sänger-, Diplomaten- und Agententhriller voll mit aktueller Politik. Dumm nur, dass man dabei so viel erklären muss.
    "Welche Rolle spielt eigentlich Scheich Omars Frau, Gräfin Falke, dabei? - In der Tat: Gräfin Falke macht mir die meisten Sorgen. Omar entscheidet nach Macht, aber sie nach Gefühl! Sie betreibt eine eigene Geheimdiplomatie – und einen Plan, den ich nicht durchschaue. Manchmal fürchte ich, sie will uns nur dorthin locken, um uns dann abzuschlachten!"
    Die Befürchtung ist berechtigt, denn, liebes Publikum: Scheich Omar ist Etzel und Gräfin Falke die Doppelagentin Kriemhild. Dieses muntere Who’s who wird von Autor Ostermaier aber noch weiter getrieben: ein französischer Waffenhändler mit dem Rufnamen Rimbaud fährt in der ersten Klasse mit, desgleichen eine leicht hysterisch wirkende Jungfilmerin, die unschwer als Leni Riefenstahl auszumachen ist. Bei diesen Personen wird Geschichte munter durcheinandergemixt – zu Beginn des Ersten Weltkriegs war Rimbaud längst tot und Riefenstahl 12 Jahre alt.
    Aber egal: ein Stück, das so verschwurbelt daherkommt und mit so viel Personal so wenig erzählt, hält die "Glut", die es angeblich entfachen will, von vornherein auf Sparflamme. Dazu kommen noch die Ostermaier-üblichen Pathetiken und schiefen Sprachbilder. Das Ganze spielt im Wüstensand, der Orient-Express fährt hin und her, und rein musikalisch werden nebenbei lieblichsten orientalischen Klischees zu Gehör gebracht. Der deutsche Agententrupp, der nur zu Tarnzwecken eine Theatergruppe sein darf, bringt das Problem des Abends auf den Punkt: Theater als Tarnung ist nicht genug. Auch wenn Ostermaier natürlich mit seiner Stück-im-Stück-Dramaturgie auf Hamlets Mausefalle zurückgreift.