Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Albert Schweitzer
Im Dienst am Menschen

1913 gründete Albert Schweitzer in Lambarene, im heutigen Gabun, sein legendäres Urwaldhospital. Seine Arbeit machte den Theologen, Philosophen und Arzt zur moralischen Instanz. Vor 50 Jahren starb er in Lambarene im Alter von 90 Jahren.

Von Irene Meichsner | 04.09.2015
    Älterer Mann mit Schnauzbart und einem weißen Hemd in einem afrikanischen Krankenhaus, im Hintergrund sitzen afrikanische Menschen
    In ihrer Biografie über den „Urwaldheiligen“ und Friedensnobelpreisträger von 1952 erforscht Caroline Fetscher auch die bislang kaum bekannte postkoloniale Geschichte von Schweitzers Wirken in Lambaréné (Gabun) (picture alliance / dpa / Hilgers)
    "Ich rufe die Menschheit auf zur Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben. Diese Ethik macht keinen Unterschied zwischen wertvollerem und weniger wertvollem, höherem und niederem Leben. Sie lehnt eine solche Unterschei¬dung ab. Wer von uns weiß denn, welche Bedeutung das andere Lebewesen an sich und im Weltganzen hat?"
    Albert Schweitzer war evangelischer Theologe, Philosoph, Arzt und einer der besten Orgelspieler seiner Zeit. Vor allem aber war er eine moralische Instanz, da er offenbar lebte, was er predigte.
    "Er ist ganz in Weiß gekleidet, graues Haar, mächtiger grauer Schnurrbart und hinter den buschigen Augenbrauen der immer noch vor Lebensfrische sprühende und durchdringende Blick seiner Augen," schilderte 1961 ein Reporter seine Begegnung mit Schweitzer in Lambarene, einer Stadt im heutigen Gabun, wo Schweitzer 1913 sein legendäres Urwaldhospital gegründet hatte. Am 14. Januar 1875 in Kaysersberg im Elsass als Sohn eines Pfarrers geboren, hatte er sich gegen eine Karriere als Theologieprofessor entschieden und in Straßburg extra noch ein komplettes Medizinstudium absolviert, um sein Leben fortan in den Dienst am Mitmenschen zu stellen.
    Erst stand Schweitzer in Lambarene nur ein Stall in einer verwaisten Missionsstation zur Verfügung. Doch am Ende übertraf der Erfolg seine eigenen Erwartungen, wie er im hohen Alter einem Besucher erklärte:
    "Ich hatte geplant ein Spital von 50 Betten. Und jetzt ist's ein Spital von 500 Betten."
    Die Kranken wurden von ihren Familienangehörigen begleitet.
    "Ja, das liegt da im Spital herum. Und geht miteinander wieder fort."
    Schweitzer packte überall mit an, überwachte das kleinste Detail - auch beim Bau von Häusern und Straßen. Das Spital hatte sogar eine eigene Röntgenabteilung.
    "Ja, wir haben alles. Wenn man etwas will leisten, muss man alles haben, was dazu gehört."
    Junge Leute pilgerten nach Lambarene zu ihrem Idol
    Abends spielte der Tropenarzt auf einem Orgelklavier Bach-Choräle. Auf Vortrags- und Konzertreisen trieb er Spenden ein. Seine Bücher wurden für unzählige Kinder zur Pflichtlektüre. Nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs schien der "gute Mann von Lambarene" ein "besseres Deutsch¬land" zu verkörpern. 1952 wurde ihm der Friedensnobelpreis zuerkannt; Schweitzer avancierte zum internationalen Medienstar, der sich auch für die Abschaffung von Atomwaffen engagierte.
    "Ich bekenne mich zu der Überzeugung, dass wir das Problem des Friedens nur dann lösen werden, wenn wir den Krieg aus einem ethischen Grund verwerfen. Nämlich weil er uns der Unmenschlichkeit schuldig werden lässt."
    Junge Leute pilgerten nach Lambarene, um ihrem Idol nachzueifern. Sie lernten dabei allerdings auch - so der Schweitzer-Biograf Nils Ole Oermann - einen "Meister der Selbstinszenierung" kennen. Al Imfeld, ein Publizist und Afrika-Experte aus Zürich, erinnert sich:
    "Als ich ihn sah, kam er mir vor so wie ein alter Gottvater, so ein Moses, der noch überaltert ist, und total patriarchalisch. Er hat über diese "Neger" geredet, so in dem Sinne, dass er mir sagte: Du, wir wissen eigentlich noch gar nicht, ob das Menschen sind. Das sind wahrscheinlich erst so Menschen im Kommen. Das sind Kinder. Und man muss sie auch als Kinder behandeln. Und ich hab dann am andern Tag schon gesehen, dass alle diejenigen, die da mit ihm arbeiteten, um die Hand eine Nummer trugen, und das hat er mir dann auch erklärt - die sehen alle gleich aus, alle gleich aus. Deshalb muss man sie nummerieren."
    Dem Schweitzer-Nimbus tat das keinen Abbruch. Als der "Urwalddoktor" am 4. September 1965 in Lambarene im Alter von 90 Jahren starb, trauerte ganz Deutschland. Seinem ethischen Impuls war er bis zum Lebensende treu geblieben. Dazu Erhard Eppler, der vierte deutsche Entwicklungshilfeminister:
    "Er hat gedacht, da sind Menschen in Not. Und Du, aus dem reichen Norden, Du musst denen helfen, Du kannst da nicht so leben, als gäbe es die nicht."